Äußerungen – und ihre Sinndeutung

Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums.

Äußerungen – und ihre Sinndeutung

Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen.

Dieser Entscheidung des Bundesgerichtshof lag die Klage eines bekannten Fernsehmoderators und entertainers zugrunde, die die beklagte Verlegerin auf Unterlassung von Wort- und Bildveröffentlichungen sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Gegenstand des Rechtsstreits ist zum einen eine in der Zeitschrift „neue woche“ im Heft Nr. 31 vom 26.07.2019 veröffentlichte Wort- und Bildberichterstattung unter der Überschrift „H[…] L[…] – Schockfotos! Was ist bloß mit seiner FRAU los?“, zum anderen ein in der Zeitschrift „FREIZEIT REVUE“ veröffentlichter Beitrag im Heft Nr. 31 vom 24.07.2019 mit der Schlagzeile auf der Titelseite: „H[…] L[…] – EHE-TRAGÖDIE – Aus Liebe opfert er seinen großen Traum“. Im inneren Teil ist unter der Überschrift „H[…] L[…] – Aus Liebe opfert er seinen großen Traum“ ein Artikel veröffentlicht, der sich in Wort und Bild mit dem Umzug der Eheleute L. von B. nach M. befasst.

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Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Berlin hat dem Unterlassungsbegehren der Moderatorengattin und den daneben gestellten Klageanträgen auf Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten in vollem Umfang stattgegeben und dabei die Verlegerin unter anderem verurteilt, es zu unterlassen, in Bezug auf die Moderatorengattin zu behaupten und/oder behaupten zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen „EHE-TRAGÖDIE“ wie geschehen auf der Titelseite der „FREIZEIT REVUE“ Nr. 31 vom 24.07.2019 (Ziffer 2a des Tenors des landgerichtlichen Urteils) sowie außergerichtliche Kosten an die Moderatorengattin zu zahlen (Ziffer 4 des Tenors des landgerichtlichen Urteils)1. Auf die Berufung der Verlegerin hat das Berliner Kammergericht das landgerichtliche Urteil lediglich hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Abmahnkosten abgeändert und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen2. Mit ihrer vom Bundesgerichtshof insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Verlegerin ihre Anträge auf Abweisung der Klage hinsichtlich der Unterlassung der Äußerung „Ehe-Tragödie“ und der Erstattung vorgerichtlicher Abmahnkosten gemäß Ziffer 4 des Tenors des landgerichtlichen Urteils weiter. Die Moderatorengattin hat nach Eingang der Revisionsbegründung erklärt, sie verzichte auf den unter Ziffer 2a des Tenors des landgerichtlichen Urteils ausgeurteilten Klageanspruch sowie auf den unter Ziffer 4 des Tenors des landgerichtlichen Urteils ausgeurteilten Anspruch insoweit, als sich der ersatzfähige Schaden reduziert, wenn bei der Berechnung des Gegenstandswerts der Wert des Antrags 2a (Untersagung der Äußerung „EHE-TRAGÖDIE“) außer Acht gelassen wird.

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Die Revision der Verlegerin hatte vor dem Bundesgerichtshof Erfolg, der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil insoweit auf und gab dem Unterlassungsantrag hinsichtlich der Schlagzeile in der „FREIZEIT REVUE“ statt:

Entgegen der Auffassung des Kammergerichts steht der Moderatorengattin ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich der Äußerung „Ehe-Tragödie“ nicht zu. Zutreffend rügt die Revision, dass das Kammergericht seiner Würdigung einen unzutreffenden Sinngehalt dieser Äußerung zu Grunde gelegt hat und die Äußerung bei zutreffender Sinndeutung zulässig ist.

Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen3.

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Nach diesen Grundsätzen ist der Begriff der „Ehe-Tragödie“ auf der Titelseite der „FREIZEIT REVUE“ Nr. 31 vom 24.07.2019 entgegen der Auffassung des Kammergerichts nach dem Kontext der Äußerung nicht dahingehend zu verstehen, dass die Ehe der Moderatorengattin nach Meinung des Äußernden aktuell zu scheitern droht. Die bereits auf der Titelseite abgedruckte Beifügung „Aus Liebe opfert er seinen großen Traum“, die im Artikel selbst wiederholt und dahingehend erläutert wird, dass der Ehemann der Moderatorengattin seinen „Traum vom Altersruhesitz im Natur-Idyll“ in B. „ausgeträumt“ und aufgegeben habe, um – zur Vermeidung einer beruflich bedingten und belastenden Fernbeziehung – nach Nordrhein-Westfalen zurückzuziehen, macht für den Durchschnittsleser deutlich, dass die „Ehe-Tragödie“ vielmehr in der vom Ehemann der Moderatorengattin getroffenen Entscheidung liegen soll, zugunsten seiner Ehe die Lebensplanung zu ändern. Hinsichtlich dieser Bewertung des in dem – selbst nicht angegriffenen – Artikel geschilderten Sachverhalts, dessen Wahrheitsgehalt hinsichtlich der Motivation des Umzugs von der Moderatorengattin nicht in Abrede gestellt wird, besteht kein Unterlassungsanspruch. Die Moderatorengattin macht insoweit schon keine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts geltend, sondern sieht diese allein in der – tatsächlich nicht geäußerten – Mutmaßung, der Fortbestand ihrer Ehe sei gefährdet.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. August 2023 – VI ZR 307/21

  1. LG Berlin, Urteil vom 09.06.2020 – 27 O 620/19[]
  2. KG, Urteil vom 23.09.2021 – 10 U 1035/20[]
  3. st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 26.01.2021 – VI ZR 437/19, VersR 2021, 856 Rn. 11; vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587 Rn. 28 mwN; zum Verhältnis von Titelseite und Artikel siehe auch BVerfGE 97, 125 Rn. 133, 139; BVerfG, NJW 2001, 1921 Rn. 45[]
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