„Schockwerbung“ ist nicht nur geschmacklos, sondern – wenn sie durch einen Rechtsanwalt erfolgt – nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch berufsrechtswidrig.

In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wehrte sich ein Rechtsanwalt gegen belehrende Hinweise der Rechtsanwaltskammer zu der von ihm beabsichtigten Werbung.
Zugrunde liegt, dass der Rechtsanwalt zu Werbezwecken Kaffeetassen verbreiten will, die er mit verschiedenen Aufdrucken von Bildern, diesen beigestellten Textzeilen sowie den Kontaktdaten seiner Kanzlei versehen möchte.
In Streit stehen noch drei solcher Aufdrucke. Der erste Aufdruck enthält eine mit diagonal verlaufenden roten Linien durchgestrichene fotografische Abbildung. Sie zeigt eine Frau, die ein auf ihren Knien liegendes, ersichtlich schreiendes Mädchen mit einem Gegenstand auf das nackte Gesäß schlägt. Neben dem Bild ist aufgedruckt: „Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1631 Abs. 2 BGB)“. Der zweite – zeichnerische – Abbildungsabdruck stellt einen eine Pfeife rauchenden Mann dar, der einer auf seinen Knien liegenden erwachsenen Frau mit einem Gegenstand auf das entblößte Gesäß schlägt. Daneben findet sich der Text: „Wurden Sie Opfer einer Straftat?“. Der dritte Aufdruck setzt sich zusammen aus einer fotografischen Abbildung einer jungen Frau, die sich erkennbar aus Verzweiflung den Mündungslauf einer Schusswaffe unter das Kinn hält, und der daneben angebrachten Textzeile „Nicht verzagen, R. fragen“.
Die Rechtsanwaltskammer gab dem Rechtsanwalt jeweils auf, die Werbung wegen Unvereinbarkeit mit dem anwaltlichen Berufsrecht sowie dem Wettbewerbsrecht zu unterlassen. Zu Recht, wie nun der Bundesgerichtshof befand:
Diese Werbung ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs mit dem berufsrechtlichen Gebot sachlicher und berufsbezogener Unterrichtung (§ 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA) nicht vereinbar.
Das in § 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA ausgeformte berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot anwaltlicher Werbung ist trotz der damit verbundenen Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), unter Umständen auch der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden1. Es ist in ähnlicher Form im Gemeinschaftsrecht angesprochen, indem dort den Mitgliedstaaten aufgegeben wird, „die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes“ im Rahmen kommerzieller Kommunikation zu gewährleisten (vgl. Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt)2. Dass die Rechtsanwaltschaft unter der Geltung des Sachlichkeitsgebots nicht sämtliche Werbemethoden verwenden darf, die im Bereich der werbenden allgemeinen Wirtschaft (noch) hinzunehmen wären3, entspricht dem Willen des Gesetzgebers4 und ist im berufsrechtlichen Schrifttum weithin anerkannt5.
Die werberechtlichen Vorschriften des anwaltlichen Berufsrechts dienen dem Zweck, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege zu sichern; mit der Stellung eines Rechtsanwalts ist im Interesse des rechtsuchenden Bürgers eine Werbung nicht vereinbar, die ein reklamehaftes Anpreisen in den Vordergrund stellt und mit der eigentlichen Leistung des Anwalts sowie dem unabdingbaren Vertrauensverhältnis im Rahmen eines Mandats nichts mehr zu tun hat6. Verboten werden können danach unter anderem Werbemethoden, die Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich am Gewinn orientierten Verhaltens sind7.
Es ist einem Rechtsanwalt zwar nicht verwehrt, für seine Werbung Bilder oder Fotografien zu verwenden8, Gegenstände wie etwa Tassen als Werbeträger einzusetzen9 oder auch Ironie und Sprachwitz als Stilmittel zu gebrauchen10. Die Grenzen zulässiger Werbung sind jedoch überschritten, wenn die Werbung darauf abzielt, gerade durch ihre reißerische und/oder sexualisierende Ausgestaltung die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erregen, mit der Folge, dass ein etwa vorhandener Informationswert in den Hintergrund gerückt wird oder gar nicht mehr erkennbar ist11. Derartige Werbemethoden sind geeignet, die Rechtsanwaltschaft als seriöse Sachwalterin der Interessen Rechtsuchender zu beschädigen12.
Die nach diesen Maßstäben bestehenden Grenzen der berufsrechtlich zulässigen Werbung (§ 43b BRAO) überschreiten aus der maßgeblichen Sicht der angesprochenen Verkehrskreise13 in der gebotenen Gesamtbetrachtung der Bilder und der ihnen jeweils beigestellten Textzeilen sämtliche streitbefangenen Aufdrucke.
Diese Bewertung wird für den Aufdruck 1 nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Textzeile „Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1626 Abs. 2 BGB)“ für sich genommen einen gewissen Informationsgehalt aufweist und als solche in einer anwaltlichen Werbung nicht zu beanstanden wäre. Denn „Blickfang“ für den Betrachter ist – vom Rechtsanwalt auch so beabsichtigt – die realistische Darstellung des Verprügelns eines Kindes. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass das Kind am Unterleib nackt ist, wobei die Unterhose bis zu den Knien herabgezogen ist. Da Nacktheit fraglos kein essentielles Element der Darstellung einer Kindesmisshandlung ist, legt dies die Annahme nahe, dass bei einem Teil des Betrachterkreises auch sexuelles Interesse geweckt werden soll. Die mit dem Bild in Zusammenhang gestellte Tatsache, dass die körperliche Misshandlung von Kindern im Rahmen der Erziehung in Deutschland seit langem ausdrücklich verboten ist, gerät auf diese Weise zu bloßem Beiwerk und vermag deshalb auch nicht – was der Rechtsanwalt zuletzt in den Vordergrund gerückt hat – einen Beitrag zu einer gesellschaftskritischen Auseinandersetzung zu leisten, zumal die Abbildung auf zu Werbezwecken verbreiteten; vom Rechtsanwalt so genannten „Humpen“ aufgedruckt ist. Auch der Umstand, dass der Aufdruck durchgestrichen ist, kann in Anbetracht der reißerischen und sexualisierenden Darstellung keinen Ausgleich schaffen. Die Rechtsanwaltskammer hat mit Recht darauf hingewiesen, dass solche Werbung geeignet wäre, bei der rechtsuchenden Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, die Rechtsanwaltschaft habe Derartiges nötig, um Mandate zu erlangen, und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt zu beeinträchtigen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Textzeile gemäß Aufdruck 2 „Wurden Sie Opfer einer Straftat?“ etwa deswegen noch eine hinreichend berufsbezogene Information enthält, weil möglichen Rechtsuchenden – hier dem freilich wohl eher vordergründig angesprochenen Adressatenkreis der Opfer häuslicher Gewalt – in der Zusammenschau mit der Berufsangabe des Rechtsanwalts und seinen Kontaktdaten vermittelt wird, dass durch diesen eine Beratung beispielsweise über zivil, straf- oder sozialrechtliche Verletztenrechte angeboten wird. Denn es dominiert der gestalterisch hergestellte Zusammenhang mit einer an eine Karikatur erinnernden Zeichnung, die sich in einer klischeehaften Entstellung forensisch bekannter Phänomene häuslicher Gewalt erschöpft. Hierdurch werden dieser Adressatenkreis sowie sein Rechtsschutzbedürfnis abgewertet sowie ins Lächerliche gezogen und für die „Werbebotschaft“ instrumentalisiert. Die stark sexualisierende Darstellung mit einem in das Zentrum des Bildes gerückten entblößten Gesäß einer erwachsenen Frau, deren Unterhose bis zu den Oberschenkeln heruntergezogen ist, kommt hinzu. Solches erscheint in anwaltlicher Werbung nicht tragbar.
Ebenfalls durch eine unangemessene Ironisierung geprägt ist angesichts des neben der Abbildung einer verzweifelten potentiellen Suizidentin angebrachten Reims „Nicht verzagen, R. fragen“ der Aufdruck 3. Zugleich ist er aufgrund der martialischen Darstellung einer Schusswaffe am Kinn eines Menschen abermals durch eine reißerische Aufmachung gekennzeichnet. Überdies vermittelt die Gesamtschau des Aufdrucks keinen spezifischen Hinweis auf das Berufsbild des Rechtsanwalts oder gar auf das konkrete Tätigkeitsfeld des Rechtsanwalts. Durch die fotografisch dargestellte äußerste Verzweiflung eines Menschen in Verbindung mit dem genannten Reim wird vielmehr eine umfassende Hilfe in allen denkbaren Lebenslagen suggeriert, die der Rechtsanwalt kaum zu leisten imstande wäre. Ein Zusammenhang mit anwaltlicher Betätigung kann allenfalls in loser Assoziation hergestellt werden und wäre in der Sache verzerrt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Oktober 2014 – AnwZ (Brfg) 67/13
- vgl. etwa BVerfGE 57, 121, 133; 76, 196, 205 ff.; 82, 18, 28; BVerfG, NJW 2004, 2656, 2657[↩]
- ABl. Nr. L 376 S. 36; hierzu EuGH, EuZW 2011, 681 Rn. 24, 30 sowie BGH, Urteil vom 13.11.2013 – I ZR 15/12, NJW 2014, 554 Rn. 18, 20 f.[↩]
- vgl. zu sog. „Schockwerbung“ BVerfGE 102, 347; 107, 275[↩]
- vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993 S. 28; Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 12/7656 S. 48[↩]
- vgl. – wenngleich im Detail krit. – von Lewinski in Hartung, BORA/FAO, 5. Aufl., § 6 BORA Rn. 29; Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 43b Rn. 30; Böhnlein in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 43b Rn.20 f.; jeweils m.w.N.; enger wohl Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberatenden Berufe, 2. Aufl., Rn. 224 f., 259 ff.; s. aber dort Rn. 269 m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfGE 76, 196, 207 f.; 82, 18, 26; BVerfG, NJW 2004, 2656 aaO[↩]
- BVerfG, NJW 2004, 2656 aaO; 2001, 2620 m.w.N.[↩]
- vgl. Prütting, aaO, § 43b BRAO Rn. 32; von Lewinski, aaO, § 6 BORA Rn. 75[↩]
- Prütting, aaO, § 43b BRAO, Rn. 37; von Lewinski, aaO, § 6 BORA Rn. 87[↩]
- vgl. BVerfG, NJW 2001, 3324, 3325; von Lewinski, aaO, § 6 BORA Rn. 26[↩]
- vgl. auch BGH, Urteile vom 01.03.2001 – I ZR 300/98, BGHZ 147, 71, 76; und vom 21.02.2002 – I ZR 281/99, NJW 2002, 2642, 2644[↩]
- vgl. auch BVerfG, BRAK-Mitt.2000, 137, 138; Prütting, aaO, § 43b BRAO Rn. 38[↩]
- vgl. BVerfG, NJW 2001, 3324 m.w.N.[↩]