Nach § 51 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BRAO – eingefügt durch das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26.03.2007 1 – erteilt die Rechtsanwaltskammer Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Antrag Auskunft über den Namen und die Adresse der Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts sowie die Versicherungsnummer, soweit der Rechtsanwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat.

Nach Maßgabe dieser gesetzlichen Regelung ist die Rechtsanwaltskammer zur Auskunft über die für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch zuständige Berufshaftpflichtversicherung berechtigt, wobei mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen kann, ob die Auskunft einen Verwaltungs- oder einen Realakt darstellt.
Der Bundesgerichtshof – Senat für Anwaltssachen – teilt nicht die Auffassung, eine Auskunft komme nur dann in Betracht, wenn der Rechtsanwalt insolvent oder auf der Flucht sei und dem Mandanten insoweit ein Direktanspruch gegen den Versicherer zustehe 2.
Auf Fälle eines Direktanspruchs – ein solcher kommt im Bereich der Rechtsanwaltshaftung gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 VVG allerdings nur in Betracht, wenn der Rechtsanwalt insolvent oder sein Aufenthalt unbekannt ist – beschränkt sich die Auskunftspflicht der Rechtsanwaltskammer schon nach dem Wortlaut des § 51 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BRAO nicht.
Eine solche Begrenzung der Auskunft kann auch nicht aus der Entstehungsgeschichte der Norm abgeleitet werden.
Zwar war im Gesetzentwurf des Bundesrates 3 ursprünglich vorgesehen, dass die Rechtsanwaltskammer nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses Dritten Auskunft über die Berufshaftpflichtversicherung sollte erteilen können. Hierbei wurde in der Begründung 4 darauf hingewiesen, die Auskunft sei zum Schutz geschädigter Mandanten dringend erforderlich, wenn der Rechtsanwalt selbst nicht zahlungsfähig und mitwirkungsbereit sei. Die Schutzfunktion der Versicherung laufe ohne Auskunftsbefugnis der Kammern gerade in den besonders problematischen Fällen leer, in denen der Geschädigte vom Rechtsanwalt selbst weder Schadensersatz noch diejenigen Informationen über dessen Haftpflichtversicherung erlangen könne, die für den Zugriff auf den Freistellungsanspruch des Anwalts gegenüber der Versicherung erforderlich seien. Diese vom Bundesrat vorgeschlagene Fassung ist aber nicht Gesetz geworden. Die Bundesregierung 5 hatte demgegenüber vorgeschlagen, die Kammern zur Auskunft zu berechtigen, "soweit dies zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erforderlich ist und der Rechtsanwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat", und zur Begründung 6 angemerkt, dass die Auskunft zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen dienen solle und insoweit "zum Beispiel erforderlich ist, wenn der oder die Dritte einen rechtskräftigen Titel oder ein Anerkenntnis des Rechtsanwalts vorlegt, der Rechtsanwalt unberechtigt die Auskunft verweigert, sein Aufenthaltsort nicht zu ermitteln ist, dem Dritten die Anzeige nach § 158d VVG (a.F.; siehe jetzt § 119 VVG) obliegt oder der Vermögensverfall des Rechtsanwalts gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 unmittelbar bevorsteht ". Die endgültige Fassung des Gesetzes, bei der die Passage "erforderlich ist" entfiel, geht letztlich auf einen Formulierungsvorschlag des Rechtsausschusses 7 zurück.
Abgesehen davon, dass es sich bei den im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens genannten Fallgruppen nur um Beispielsfälle gehandelt hat, lässt sich der Entstehungsgeschichte nicht entnehmen, dass § 51 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BRAO entgegen seinem weitergehenden Wortlaut nach dem Willen des Gesetzgebers auf die Fälle der Insolvenz und des unbekannten Aufenthalts des Rechtsanwalts beschränkt werden sollte.
Im Übrigen ist bei der Prüfung der Auskunftspflicht der Rechtsanwaltskammer nunmehr auch zu berücksichtigen, dass zur Umsetzung von Art. 22 (1) k) der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt 8 mit Wirkung vom 17.05.2010 die sog. Dienstleistungs-Informationspflichten-Verordnung (DLInfoV) vom 12.03.2010 9 in Kraft getreten ist. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 11 DLInfoV muss ein Dienstleistungserbringer – wie hier ein Rechtsanwalt – einem Dienstleistungsempfänger vor Abschluss eines schriftlichen Vertrags oder, sofern kein schriftlicher Vertrag geschlossen wird, vor Erbringung der Dienstleistung Angaben zu seiner bestehenden Berufshaftpflichtversicherung machen, insbesondere den Namen und die Anschrift des Versicherers und den räumlichen Geltungsbereich der Versicherung in klarer und verständlicher Form zur Verfügung stellen. Dem Informationsinteresse des Kunden wird damit gesetzlich der Vorrang vor dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und etwaigen Geheimhaltungsinteressen des Dienstleisters eingeräumt.
Dies hat auch Auswirkungen auf die Auslegung des § 51 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BRAO. Dem steht – im hier entschiedenen Fall – nicht entgegen, dass die DLInfoV erst nach Beendigung des streitgegenständlichen Mandats in Kraft getreten ist. Denn zum Zeitpunkt der vom Kläger beanstandeten Auskunft stellte die DLInfoV geltendes Recht dar. Deshalb war die darin zum Ausdruck kommende eindeutige Wertentscheidung von der Beklagten im Rahmen des § 51 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BRAO zu berücksichtigen. Für eine den Wortlaut dieser Norm unter Hinweis auf bestimmte Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren einschränkende Interpretation der Auskunftspflicht 10 fehlt auch von daher die rechtfertigende Grundlage 11. Hierbei bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob – etwa bei einem ersichtlich querulatorischen Anspruchssteller – noch Fälle denkbar sind, in denen dem Auskunftsantrag nicht stattgegeben werden kann. Denn jedenfalls im vorliegenden Verfahren sind keine Umstände vorgetragen oder erkennbar, bei denen sich diese Frage ernstlich stellen könnte.
Soweit die Rechtsanwaltskammer versehentlich auch über die aktuelle und damit für den Schadensfall nicht zuständige Versicherung Auskunft erteilt hat, fehlt es an einem berechtigten Interesse des Klägers an der Feststellung dieses völlig unstreitigen Fehlers der Kammer. Ein solches Interesse ist weder unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr noch dem der Rehabilitation beziehungsweise Genugtuung ersichtlich und auch nicht im Hinblick auf Schadensersatzansprüche gegeben.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Oktober 2012 – AnwZ (Brfg) 60/11
- BGBl. I S. 358, 361[↩]
- so aber VG Hamburg, Bechluss vom 10.09.2010, BRAK-Mitt.2010, 277; siehe auch VG Hamburg, BRAK-Mitt.2011, 97[↩]
- BT-Drucks. 15/5223, S. 8 bzw. BT-Drucks. 16/513, S. 8[↩]
- aaO S. 14, 17 f. bzw. S. 1, 16 f.[↩]
- BT-Drucks. 15/5223, S. 25 bzw. BT-Drucks. 16/513, S. 24[↩]
- BT-Drucks. aaO[↩]
- BT-Drucks. 16/3837, S. 12, 25[↩]
- ABl. EG L 376 vom 27.12.2006, S. 36[↩]
- BGBl. I S. 267[↩]
- vgl. hierzu etwa auch Tauchert in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 51 BRAO, Rn. 21 f.; Böhnlein in Feuerich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, 8. Aufl., § 51 BRAO, Rn. 40 f.[↩]
- ebenso Huff, BRAK-Mitt.2011, 56, 57 f.[↩]