Blutegel als Arzneimittel

Lebende Blutegel, die zum Zweck der Arzneimittelherstellung nach Deutschland importiert werden, können im Zeitpunkt der Einfuhr noch nicht als Arzneimittel eingestuft werden, wenn wesentliche Bearbeitungsschritte zum anwendungsfertigen medizinischen Blutegel erst im Inland erfolgen.

Blutegel als Arzneimittel

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall begehrte ein medizinisches Import- und Vertriebsunternehmen mit Sitz in Bayern ie Feststellung, dass sie für die Einfuhr von Wildegeln (u.a. aus der Türkei) keine Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG und kein Einfuhrzertifikat nach § 72a AMG benötigt. Die Importeurin will die Blutegel zur Herstellung von Hirudo medicinalis L. (Blutegel zur Anwendung in der Human- oder Tiermedizin) einsetzen. Zwischen ihr und dem Freistaat Bayern war streitig, ob die importierten Blutegel bereits zum Zeitpunkt der Einfuhr die Merkmale eines Arzneimittels erfüllen. Die Importeurin war der Auffassung, dass die Blutegel ihre medizinische Zweckbestimmung erst erhalten würden, nachdem im Inland ungeeignete Tiere aussortiert worden seien und die verbliebenen Blutegel einen mehrmonatigen Quarantäneprozess einschließlich mikrobiologischer Kontrolluntersuchungen durchlaufen hätten. Der beklagte Freistaat meinte demgegenüber, dass die medizinische Zweckbestimmung von Anfang an feststehe und die Blutegel deshalb schon im Einfuhrzeitpunkt als Arzneimittel zu behandeln seien. Danach bedürfe die Importeurin einer Erlaubnis zur Einfuhr von Arzneimitteln aus einem Nicht-EU-Land gemäß § 72 AMG sowie einem Zertifikat über die Einhaltung der anerkannten Grundregeln für die Herstellung und Qualitätssicherung von Arzneimittel nach § 72a AMG.

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Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat der Klage stattgegeben1. Ihre arzneiliche Zweckbestimmung erhielten die Blutegel erst im Inland nach positivem Durchlaufen des Quarantäne- und mikrobiellen Überwachungsprozesses. Ein nicht unerheblicher Teil der importierten Blutegel werde aussortiert und als Fischfutter oder für den Anglerbedarf weiterveräußert.

Auf die Berufung des Freistaates Bayern hat dagegen der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen2. Die von der Importeurin importierten Blutegel erfüllten die Voraussetzungen des sog. Funktionsarzneimittels i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG. Es sei wissenschaftlich belegt, dass Blutegel eine arzneiliche Wirkung hätten. Auch wenn im Betrieb der Importeurin noch eine Selektion stattfinde, um ungeeignete Blutegel auszusortieren, komme den übrigen Blutegeln bereits im Zeitpunkt der Einfuhr die Funktion eines Arzneimittels zu. Weitere Bearbeitungsschritte wie Quarantäne und mikrobiologische Untersuchungen dienten der Arzneimittelsicherheit und begründeten nicht erst die Arzneimitteleigenschaft. Unabhängig davon handele es sich bei den importierten Blutegeln aber auch um die Vorstufe eines sog. Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Vorstufen eines abgabefertigen Arzneimittels seien jedenfalls dann selbst Arzneimittel, wenn ihre arzneiliche Zweckbestimmung erkennbar sei und wenn bis zum abgabefertigen Produkt keine wesentlichen Verarbeitungsschritte mehr erforderlich seien. Das sei hier der Fall. Die importierten Blutegel unterlägen keiner stofflichen Verarbeitung, sondern lediglich einem Sortierungsprozess, so dass die letztlich zur Verwendung als Arzneimittel ausgewählten Blutegel bereits bei der Einfuhr in dieser Form vorgelegen hätten. Nach den weiteren Bearbeitungsschritten im Betrieb der Importeurin gelangten sie sodann mit der Verpackung und Versendung an den Arzneimittelhandel als Präsentationsarzneimittel in den Verkehr.

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Auf die Revision der Importeurin hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil geändert und die Berufung des Freistaates Bayern zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat zu Recht angenommen, dass die Vorschriften über die Einfuhr von Arzneimitteln nach §§ 72, 72a AMG nicht eingreifen. Die von der Importeurin importierten Blutegel sind im Zeitpunkt der Einfuhr keine Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG; sie stellen in diesem Zeitpunkt lediglich die Vorstufe eines Arzneimittels dar.

Zwar kann im Rahmen eines mehrstufigen Herstellungsprozesses auch Vor- oder Zwischenprodukten eine Arzneimitteleigenschaft zukommen. Hier steht der Einstufung als Arzneimittel aber entgegen, dass die importierten Blutegel bis zum anwendungsfertigen Endprodukt noch einer wesentlichen weiteren Aufbereitung bedürfen.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen durchlaufen die Blutegel bei der Importeurin einen mehrmonatigen Quarantäne- und mikrobiologischen Überwachungsprozess. Diese Maßnahmen sind nach der Leitlinie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zu Blutegeln in der Humanmedizin erforderlich, um die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Blutegeln in der therapeutischen Anwendung sicherzustellen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. August 2017 – 3 C 182015 –

  1. VG Bayreuth, Urteil vom 27.10.2009 – B 1 K 08.972[]
  2. BayVGH, Urteil vom 25.09.2014 – 20 B 14.179[]