Mit der deliktischen Produzentenhaftung bei einem mit Herbiziden verunreinigten Düngemittel hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Zunächst hat der Bundesgerichtshof allerdings einen Schadensersatzanspruch gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG verneint.
Im Fall der Sachbeschädigung besteht ein solcher Schadensersatzanspruch nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist, § 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Koblenz ist zwar nicht entscheidend, ob das fehlerhafte Produkt, hier das Düngemittel, für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt war. Maßgeblich ist vielmehr die Zweckbestimmung der von dem fehlerhaften Produkt beschädigten Sache, hier also der Rapspflanzen. Da der Landwirt nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Koblenz aber Haupterwerbslandwirt ist und den Dünger im Rahmen der von ihm betriebenen Landwirtschaft zu beruflichen Zwecken verwendet hat, kann für die damit gedüngten Pflanzen nichts anderes gelten.
Dagegen sieht der Bundesgerichtshof einen Anspruchs aus § 823 Abs. 1 BGB als möglich an: Vorliegend war das dem Landwirt gelieferte Düngemittel mit Herbiziden verunreinigt, wodurch das Eigentum des Landwirts an den gedüngten Pflanzen verletzt wurde, da sich die Rapspflanzen etwa zehn Tage nach Ausbringen der Flüssigkeit auf den Rapsfeldern violett färbten und nicht mehr wuchsen.
Rechtsfehlerhaft hat insoweit das in der Vorinstanz tätige Oberlandesgericht Koblenz1 die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Großhändlerin verneint. Diese hatte das Gut als Abfallentsorger übernommen und sodann als „EG-Düngemittel für Ackerbau“ umgelabelt.
Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer im Zusammenhang mit der Herstellung oder Verteilung einer Ware tätig gewordenen Person auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines in dieser Vorschrift genannten Rechtsguts ist, dass sie eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt hat2.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind3. Dabei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind4.
Für die Frage, welche Verkehrssicherungspflichten den im Zusammenhang mit der Herstellung oder Verteilung einer Ware in Anspruch Genommenen treffen, ist entscheidend, in welcher Funktion er tätig wird.
- Den Hersteller trifft grundsätzlich die weitestgehende (umfassende) Verantwortung für einen in seinem Tätigkeits- und Wissensbereich entstandenen Produktfehler5. Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller unter anderem bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind6.
- Demgegenüber sind Vertriebshändler für die Sicherheit der von ihnen vertriebenen Produkte nur sehr eingeschränkt verantwortlich. Insbesondere eine Haftung für Konstruktions- und Fabrikationsfehler scheidet grundsätzlich aus7. Vertriebshändler sind nur dann verpflichtet, die von ihnen vertriebene Ware auf gefahrenfreie Beschaffenheit zu untersuchen, wenn aus besonderen Gründen Anlass dazu besteht, etwa weil ihnen bereits Schadensfälle bei der Produktverwendung bekannt geworden sind, oder wenn die Umstände des Falles eine Überprüfung nahelegen8. Einem Vertriebshändler können auch nicht schon deshalb die für den Warenhersteller geltenden Gefahrabwendungspflichten auferlegt werden, weil er das von ihm erworbene und anschließend vertriebene Produkt mit einem eigenen Markenzeichen in den Verkehr gegeben hat. Diesem Umstand allein kommt außerhalb des Produkthaftungsgesetzes grundsätzlich keine entscheidende haftungsrechtliche Bedeutung zu9.
Nach diesen Maßstäben kann im vorliegenden Fall mit der Begründung des Oberlandesgerichts Koblenz die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Großhändlerin nicht verneint werden. Die Großhändlerin traf nicht lediglich die eingeschränkte Verantwortlichkeit eines Vertriebshändlers, vielmehr haftet sie für die Sicherheit der von ihr als Düngemittel für den Ackerbau in den Verkehr gebrachten Flüssigkeit wie ein Hersteller. Denn nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Koblenz übernahm die Großhändlerin als Fachbetrieb für Abfallentsorgung von der Abfallproduzentin die phosphat- und kaliumhaltige Flüssigkeit als Abfall. Indem sie die Flüssigkeit als „EG-Düngemittel für Ackerbau“ bezeichnete, hierfür eine Produktinformation erstellte und an die Einzelhändlerin weiterverkaufte, schuf sie ein neues Erzeugnis, das Produkt Düngemittel. Dieses brachte sie erstmals in den Verkehr, indem auf ihre Weisung die Abfallproduzentin die Flüssigkeit der Einzelhändlerin überließ.
Zwar hatte die Abfallproduzentin die Flüssigkeit der Großhändlerin laut „Übernahmeschein“ (§§ 49 ff. KrWG i.V.m. der Nachweisverordnung) mit dem Vermerk „PK Lsg.“ überlassen. Die Großhändlerin verkaufte die Flüssigkeit aber nicht als solche weiter, sondern als „EG-Düngemittel für Ackerbau“ mit einem konkret ausgewiesenen Nährstoffgehalt von 5% P2O5 und 15% K2O. Hierzu erstellte sie ein Produktdatenblatt. Dieses enthielt nach Art. 7 Abs. 1, Art. 9 EG-DüngemittelVO erforderliche Angaben, ohne die ein Düngemittel unter der Bezeichnung „EG-Düngemittel“ zum freien Verkehr innerhalb der Gemeinschaft nicht zugelassen war, Art. 5 Abs. 2 EG-DüngemittelVO.
Für die Frage, welche Verkehrssicherungspflichten der Großhändlerin oblagen, kommt es nicht darauf an, ob die von ihr von der Abfallproduzentin übernommene „PK-Lösung“ (ursprünglich) bei einem Herstellungsprozess als Nebenprodukt im Sinne des § 4 Abs. 1 KrWG angefallen ist. Entscheidend ist, dass die Abfallproduzentin der Großhändlerin nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Koblenz kein Produkt Düngemittel, sondern Abfall überlassen hatte und sich dessen „ordnungsgemäße Entsorgung“ durch die Großhändlerin als „Abfallentsorger“ im Übernahmeschein versichern ließ. An das Produkt „Abfall“10 hat der Verkehr andere Gebrauchs- und Sicherheitserwartungen11 als an Düngemittel. Die Großhändlerin durfte – entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Koblenz – auch nicht ohne nähere Anhaltspunkte darauf vertrauen, dass die Einzelhändlerin als Vertriebshändlerin vor Lieferung an den Landwirt die Flüssigkeit auf Herbizide untersuchen würde.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 21. März 2023 – VI ZR 1369/20
- OLG Koblenz, Urteil vom 27.12.2019 – 1 U 406/19[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1979 – VI ZR 141/78, NJW 1980, 1219 12[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2022 – VI ZR 1283/20, VersR 2023, 66 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 18; vom 31.10.2006 – VI ZR 223/05, NJW 2007, 762 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 07.12.1993 – VI ZR 74/93, NJW 1994, 517, 51919, 21[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 15 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.12.1986 – VI ZR 65/86, BGHZ 99, 167, 170 14; MünchKomm-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 930; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 Rn. F 30[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.12.1979 – VI ZR 141/78, NJW 1980, 1219 13[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 07.12.1993 – VI ZR 74/93, NJW 1994, 517, 519 22 mwN; vom 17.03.1981 – VI ZR 286/78, NJW 1981, 1606, 1609 51 [insoweit in BGHZ 80, 199 ff. nicht abgedruckt]; vom 11.12.1979 – VI ZR 141/78, NJW 1980, 1219 12; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 Rn. F 30; MünchKomm-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 933[↩]
- zur Frage der Produkteigenschaft von „Abfall“ Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 Rn. F 6; NK-BGB/Katzenmeier, 4. Aufl., § 823 Rn. 298; zum Produkthaftungsgesetz Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über die Haftung für fehlerhafte Produkte, BT-Drs. 11/2447 S. 16 f.; Katzenmeier/Voigt, ProdHaftG, 7. Aufl., § 2 Rn. 10 f.; Staudinger/Oechsler, BGB (2021), § 2 ProdHaftG Rn. 27; MünchKomm-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 2 ProdHaftG Rn. 32[↩]
- vgl. zur Bedeutung der Gebrauchs- und Sicherheitserwartungen im Rahmen der deliktischen Produzentenhaftung BGH, Urteile vom 17.03.1981 – VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186, 192 12; vom 16.06.2009 – VI ZR 107/08, BGHZ 181, 253 Rn. 12 mwN[↩]
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