Ein Notar kann durch seine Art der Wirtschaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährden (§ 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO), wenn er zwecks Erlangung einer Restschuldbefreiung einen Insolvenzeröffnungsbeschluss bei einem ausländischen Gericht erwirkt, das im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung offensichtlich und für ihn als Organ der Rechtspflege ohne weiteres erkennbar international nicht zuständig ist.

Die Art der Wirtschaftsführung gefährdet die Interessen der Rechtsuchenden bereits dann, wenn Gläubiger gezwungen sind, wegen berechtigter Forderungen gegen den Notar Zwangsmaßnahmen zu ergreifen1. Denn es ist bereits als solches nicht hinzunehmen, dass der Notar in eine derartige Lage gerät2.
Damit ist der Amtsenthebungsgrund des § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO aber noch nicht erschöpft. Auch weitere, das geschäftliche Verhalten betreffende Umstände können die eine Amtsenthebung rechtfertigende Unzuverlässigkeit des Notars in Bezug auf seine Wirtschaftsführung begründen bzw. verstärken3. Denn es ist unverzichtbar, dass der Notar – auch in einer wirtschaftlichen Krise – die für sein Amt erforderliche Zuverlässigkeit und Integrität wahrt4. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob die Amtsführung des Notars bereits – beispielsweise im Rahmen von Dienstprüfungen – Anlass zu Beanstandungen gegeben hat. § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO ist ein abstrakter Gefährdungstatbestand. Zu konkreten Missständen bei der notariellen Tätigkeit muss es noch nicht gekommen sein5.
Gemessen an diesen Maßstäben liegen in dem jetzt vom Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs entschiedenen Fall beim Antragsteller die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO vor. Nach der eigenen Darstellung des Antragstellers war seine Wirtschaftsführung im Frühjahr 2009 in Unordnung geraten. Gegen ihn bestanden Zahlungsansprüche in erheblicher Größenordnung, die sich nach seinen eigenen Angaben gegenüber dem Birmingham County Court und nach den Ermittlungen des britischen Insolvenzverwalters („Official Receiver“) auf über 6 Millionen £ beliefen. Die Sparkasse H., der unstreitig Ansprüche gegen den Antragsteller in Höhe von mehr als 3,2 Mio. € zustehen, sah sich gezwungen, die Geschäftsverbindung zu dem Antragsteller zu beenden und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen diesen einzuleiten. Zu der von einem Notar zu fordernden Wirtschaftsführung hätte es in dieser Lage gehört, auf eine geordnete Schuldenregulierung in dem hierfür vorgesehenen deutschen Insolvenzverfahren hinzuwirken, das dem redlichen Schuldner die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung nach Ablauf von sechs Jahren nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einräumt (vgl. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO). Stattdessen hat der Antragsteller zwecks Erlangung einer automatischen Restschuldbefreiung bereits nach Ablauf von einem Jahr unter Hinweis auf sein in Birmingham angemeldetes Gewerbe als Sportfotograf einen Insolvenzeröffnungsbeschluss bei einem englischen Gericht erwirkt, das im maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung6 offensichtlich und für ihn als Organ der Rechtspflege ohne weiteres erkennbar international nicht zuständig war.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren7, der nach Art. 47 Abs. 2 der Verordnung in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gilt und gemäß Art. 2 lit. a) i.V.m. Anhang A auch auf bankruptcy-Verfahren im Vereinigten Königreich Anwendung findet, sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedsstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen („center of main interests“) hat. Der Begriff des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen ist verordnungsautonom, d.h. in den Mitgliedsstaaten einheitlich und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften auszulegen8. Seine Bedeutung erschließt sich aus der 13. Begründungserwägung der Verordnung, wonach als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Ort gelten soll, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist. Hieraus ergibt sich, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist. Diese Objektivität und Möglichkeit der Feststellung durch Dritte sind erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sind umso wichtiger, als die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung die des anwendbaren Rechts nach sich zieht9. Als feststellbares Kriterium, das Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständigen Gerichts garantiert, ist nach gesicherter Rechtsauffassung bei Kaufleuten, Gewerbetreibenden oder Freiberuflern an die wirtschaftliche oder freiberufliche Tätigkeit des Schuldners anzuknüpfen10.
Im vorliegenden Fall war für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit jedenfalls bis zum 9. Juni 2009 an das Amt des Antragstellers als Notar in V. anzuknüpfen, das der Antragsteller bis zu seiner vorläufigen Amtsenthebung am 9. Juni 2009 ausgeübt hat und aufgrund dessen er der Residenzpflicht des § 10 Abs. 2 Satz 2 BNotO unterlag. (Nur) diese freiberufliche Tätigkeit des Antragstellers war für Dritte feststellbar. Eine gewerbliche Tätigkeit als Sportfotograf hatte der Antragsteller nach seinen eigenen Ausführungen vor dem 9. Juni 2009 in England nicht entfaltet. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner in Deutschland über Immobilienvermögen verfügt, nämlich das Hausgrundstück in der H.-Straße in V., in dem das Notariat geführt wird, und ein Wiesengrundstück in W.11. Aufgrund dieser Umstände hat der Birmingham County Court, der ausweislich seines Insolvenzeröffnungsbeschlusses vom 21. Mai 2009 offensichtlich davon ausgegangen ist, der Antragsteller übe sein Gewerbe als Sportfotograf in England bereits aus („carrying on business as H. B., B. Sports Pho-tography, Appartement X, W. Street, Birmingham; vgl. auch den Bericht des Insolvenzverwalters vom 15. Juli 2009, wonach der Antragsteller bei seiner Befragung angegeben habe, seit 1. Dezember 2008 ein Gewerbe als Fotograf ausgeübt zu haben), den Eröffnungsbeschluss auf Antrag des Insolvenzverwalters mit Beschluss vom 11. März 2010 aufgehoben.
Dadurch dass der Antragsteller es zunächst so weit hat kommen lassen, dass Gläubiger gezwungen waren, wegen berechtigter Forderungen gegen ihn die Zwangsvollstreckung einzuleiten, und anschließend unter Hintanstellung der berechtigten Interessen der Gläubiger einen Insolvenzeröffnungsbeschluss bei einem offensichtlich und für ihn ohne weiteres erkennbar nicht zuständigen englischen Gericht erwirkt hat, hat er versucht, sich seinen Zahlungsverpflichtungen durch manipulatives Verhalten zu entziehen und seine Bereitschaft zu erkennen gegeben, die Schädigung Dritter in Kauf zu nehmen. Bereits diese Art der Wirtschaftsführung gefährdet die Interessen der Rechtsuchenden im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 8, 2. Alt. BNotO. Es kommt damit nicht mehr darauf an, ob der Antragsteller, wofür allerdings die Ausführungen des Insolvenzverwalters unter Ziff. 4 seines Berichts vom 15. Juli 2009 sprechen („the bankrupt has been interviewed and states that he … has since 1 December 2008 carried on business as a photographer under the trading style B. … Sports Photography“), darüber hinaus falsche Angaben gegenüber dem englischen Insolvenzgericht gemacht hat oder dieses irrtümlich zunächst die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren bejaht hat. Ebenso ist nicht entscheidend, dass das Insolvenzgericht die Beschwerde des Insolvenzverwalters gegen die Insolvenzeröffnung vom 17. Juni 2010 durch Beschluss vom 15. Oktober 2010 zurückgewiesen hat. Dies hat lediglich für die Frage des Zeitpunkts der Restschuldbefreiung Bedeutung, nicht hingegen für die hier maßgebliche Feststellung, ob die Wirtschaftsführung des Antragstellers abstrakt die Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung gefährdet.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. November 2010 – NotZ 6/10
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 08.07.2002 – NotZ 1/02, ZNotP 2002, 406; vom 26.10.2009 – NotZ 14/08). Dies gilt auch dann, wenn sich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse im Einzelfall nicht feststellen lassen ((vgl. BGH, Beschlüsse vom 20.11.2000 – NotZ 17/00, ZNotP 2001, 117, 118; vom 08.07.2002 – NotZ 1/02[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 08.07.2002 – NotZ 1/02; und vom 26.10.2009 – NotZ 14/08[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 03.12.2001 – NotZ 13/01, DNotZ 2002, 236; vom 08.07.2002 – NotZ 1/02; und vom 17.11.2008 – NotZ 130/07, DNotZ 2009, 310, 311[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2008 – NotZ 130/07[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 26.10.2009 – NotZ 14/08[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 17.01.2006 – C-1/04, ZIP 2006, 188 Rn. 25; BGH, Beschluss vom 22.03.2007 – IX ZB 164/06, WM 2007, 899 Rn. 5[↩]
- ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1[↩]
- EuGH, Urteil vom 02.05.2006 – C-341/04 [Eurofood], Slg. 2006, I-03813, Rn. 31[↩]
- EuGH, Urteil vom 02.05.2006 – C-341/04, aaO Rn. 33[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.06.2006 – IX ZA 8/06, IPRspr 2006, Nr. 265, 616, 618; vom 22.03.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 Rn. 14; vom 17.09.2009 – IX ZB 81/09, juris Rn. 3; HK-InsO/Stephan, 5. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 3; Balz, ZIP 1996, 948, 949; Duursma-Kepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzordnung, Art. 3 Rn. 19; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 140; Kemper in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Art. 3 EuInsVO Rn. 5 f. (Stand: Mai 2010); vgl. auch § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 22.03.2007 – IX ZB 164/06, aaO Rn. 15; vom 17.09.2009 – IX ZB 81/09, aaO[↩]