Auch wenn die Stromanlage des Endkunden nicht unmittelbar an das nationale Stromnetz, sondern nur an ein vom nationalen Netz gespeistes regionales Netz angeschlossen ist, kann er gegen den Betreiber des nationalen Netzes wegen eines Stromausfalls Beschwerde einlegen.

So hat der Gerichtshof der Europäischen Union in dem hier vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren entschieden. Dem Urteil ging eine Anfrage des Berufungsgerichts für Wirtschaftsverwaltungssachen aus den Niederlanden (College van Beroep voor het bedrijfsleven) voraus, das mit einer Klage gegen den Bescheid der ACM (Autoriteit Consument en Markt, Behörde für Verbraucher- und Marktangelegenheiten, Niederlande) befasst ist:
Eine allgemeine Störung im Hochspannungsumschaltwerk Diemen (Niederlande), das zum von TenneT TSO betriebenen Hochspannungsnetz gehört, bewirkte am 27. März 2015, dass ein großer Teil der Provinz Noord-Holland (Nordholland) und ein kleiner Teil der Provinz Flevoland (Niederlande) mehrere Stunden lang keinen Strom hatten. Aufgrund dieser Störung war die Stromübertragung zur Papierfabrik von Crown Van Gelder in Velsen-Noord (Niederlande) für mehrere Stunden unterbrochen. Die Fabrik ist an das von der Liander NV betriebene Verteilungsnetz angeschlossen, das aus dem von TenneT TSO betriebenen Netz gespeist wird.
Crown Van Gelder machte geltend, durch diese Störung einen Schaden erlitten zu haben, und legte bei der Autoriteit Consument en Markt (ACM) (Behörde für Verbraucher- und Marktangelegenheiten, Niederlande), der nationalen Regulierungsbehörde, Beschwerde ein, um feststellen zu lassen, dass TenneT TSO nicht alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um den Stromausfall zu verhindern, und dass die Netzstruktur des Umschaltwerks Diemen nicht den gesetzlichen Anforderungen genüge.
Nach Meinung der ACM bestehe zwischen der Firma und TenneT TSO keine unmittelbare Vertragsbeziehung. Die Fabrik von Crown Van Gelder sei nämlich nicht an das Netz von TenneT TSO angeschlossen, sondern nur an das Netz von Liander. Außerdem habe Crown Van Gelder keinen Vertrag mit TenneT TSO geschlossen und erhalte von dieser keine Rechnungen. Deshalb erklärte die ACM mit Bescheid vom 30. April 2018 die Beschwerde von Crown Van Gelder für unzulässig. Dagegen hat dieser sich mit einer Klage beim Berufungsgericht für Wirtschaftsverwaltungssachen gewehrt. Das Berufungsgericht ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union um Klärung des Begriffs „jeder Betroffene, der eine Beschwerde hat“ im Sinne der Richtlinie der Union über den Elektrizitätsbinnenmarkt1. Im Einzelnen möchte es wissen, ob die Beschwerde eines Endkunden gegen den Betreiber eines Stromnetzes wegen einer Störung dieses Netzes mit der Begründung zurückgewiesen werden kann, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses nationale Netz, sondern nur an ein vom nationalen Netz gespeistes regionales Netz angeschlossen sei.
In seinem Urteil hat der Gerichtshof der Europäischen Union deutlich erklärt, dass die Befugnis der ACM, wenn sie mit einer Beschwerde befasst ist, ausdrücklich von zwei Voraussetzungen abhängt. Zum einen muss sich die Beschwerde gegen einen Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber richten. Zum anderen muss sich die in dieser Beschwerde erhobene Rüge auf Verpflichtungen des Netzbetreibers aus der Richtlinie 2009/72 beziehen. Dem Wortlaut der Richtlinie lässt sich hingegen nicht entnehmen, dass die Befugnis der ACM vom Bestehen einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Netzbetreiber abhängt.
Weiter stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie 2009/72 den Energieregulierungsbehörden die Befugnis verleihen soll, die volle Wirksamkeit der zum Schutz der Kunden ergriffenen Maßnahmen zu gewährleisten. Ebenso verpflichtet die Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, insbesondere in Bezug auf Streitbeilegungsverfahren.
Darüber hinaus stellt der Gerichtshof der Europäischen Union klar, dass die den Betreibern von Stromübertragungsnetzen durch die Richtlinie 2009/72 auferlegten Aufgaben und Verpflichtungen nicht nur Einrichtungen betreffen, deren Anlage an ihr Netz angeschlossen ist. So sind sie u.a. dazu verpflichtet, unter wirtschaftlichen Bedingungen sichere, zuverlässige und leistungsfähige Übertragungsnetze zu betreiben, zu pflegen und zu entwickeln. Sie sind auch verpflichtet, zu gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Dienstleistungsverpflichtungen erforderlichen Mittel vorhanden sind, durch entsprechende Übertragungskapazität und Zuverlässigkeit des Netzes zur Versorgungssicherheit beizutragen und die Übertragung von Strom durch das Netz unter Berücksichtigung des Austauschs mit anderen Verbundnetzen zu regeln.
Aus diesem Gründen kommt der Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Schluss, dass der Begriff „Betroffener, der eine Beschwerde hat“nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem von der Beschwerde betroffenen Übertragungsnetzbetreiber voraussetzt. Folglich kann die ACM, wenn sie mit einer Beschwerde eines Endkunden befasst ist, mit der die Nichterfüllung der den Übertragungsnetzbetreibern durch die Richtlinie 2009/72 auferlegten Verpflichtungen geltend gemacht wird, diese Beschwerde nicht mit der Begründung zurückweisen, dass die Anlage des Endkunden nicht unmittelbar an dieses Übertragungsnetz, sondern nur an ein von ihm gespeistes Verteilernetz angeschlossen sei.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 8. Oktober 2020 – C‑360/19
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