Die erfolgreiche Verbandsklage – und die Beschwer des unterlegenen Unternehmers

Zur Bemessung des Werts der Beschwer des unterlegenen Gegners bei einer im Hinblick auf eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis im Sinne des § 2 UKlaG erhobenen Verbandsklage hat nun erneut1 der Bundesgerichtshof Stellung genommen:

Die erfolgreiche Verbandsklage – und die Beschwer des unterlegenen Unternehmers

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs richtet sich der Gebührenstreitwert in Verfahren nach dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und oder anderen Verstößen (UKlaG) regelmäßig an dem Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung einer gesetzwidrigen AGB-Bestimmung, nicht aber an der wirtschaftlichen Bedeutung eines Klauselverbots2. Auf diese Weise sollen Verbraucherschutzverbände bei der Wahrnehmung der ihnen im Allgemeininteresse eingeräumten Befugnis, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu befreien, vor unangemessenen Kostenrisiken geschützt werden3.

Ausgehend hiervon wird bei einer gegen die Verwendung von AGB-Bestimmungen gerichteten Verbandsklage regelmäßig ein Streitwert in einer Größenordnung von 2.500 € je angegriffener (Teil)Klausel festgesetzt4.

Diese Erwägungen gelten nicht nur für die Fälle des Verbots von gesetzwidrigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 1 UKlaG), sondern auch für eine wie im Streitfall im Hinblick auf eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis im Sinne des § 2 UKlaG erhobene Verbandsklage5.

Diese Grundsätze sind jedoch nicht nur für die Festlegung des Gebührenstreitwerts, sondern auch für die nach § 2 ZPO in Verbindung mit § 3 ZPO zu schätzende Beschwer der in der Vorinstanz unterlegenen Partei, und zwar nicht allein für die Beschwer eines Verbraucherschutzverbands, sondern auch für die Bemessung der Beschwer des im Unterlassungsprozess unterlegenen Gegners maßgebend6.

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Allerdings ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, einer etwaigen herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer nach § 2 UKlaG angefochtenen Praxis für die betroffenen Verkehrskreise ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit einer bestimmten Praxis nicht nur für die beklagte Partei und ihre Vertragspartner, sondern für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es dabei um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird7.

Dabei muss der Beschwerdeführer, um dem Revisionsgericht die Prüfung der in § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geregelten Wertgrenze zu ermöglichen, innerhalb der laufenden Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde darlegen und glaubhaft machen, dass er mit der beabsichtigten Revision das Berufungsurteil in einem Umfang, der die Wertgrenze von 20.000 € übersteigt, abändern lassen will8.

Solche Umstände zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde im hier entschiedenen Fall jedoch nicht auf. Insbesondere macht sie nicht äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geltend, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird. Sie verweist lediglich auf die sie selbst treffenden Auswirkungen, die sie bei einem Verzicht auf die kumulative Erstattung von Kosten für einen Inkassodienstleister und einen mit dem Inkasso beauftragten Rechtsanwalt im Falle der Beitreibung von Forderungen zu vergegenwärtigen hätte. Dass andere Versorgungsunternehmen vergleichbare Praktiken anwendeten, trägt sie nicht vor und macht dies auch nicht glaubhaft. Ausführungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Unterlassungsantrags zu 1b betreffend die an die Verbraucher gerichteten Forderungsschreiben fehlen vollständig. Darüber hinaus legt die Nichtzulassungsbeschwerde bezüglich der Unterlassungsbegehren zu 1a und 1b auch nicht dar, dass über den hier entschiedenen Rechtsstreit hinaus eine Vielzahl von weiteren Streitverfahren noch dazu mit divergierenden Ergebnissen über die von der Nichtzulassungsbeschwerde formulierten Rechtsfragen geführt worden beziehungsweise anhängig sind.

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Es bleibt daher bei dem Grundsatz, dass für die Bemessung des Gebührenstreitwerts und der Beschwer allein das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung des beanstandeten Verhaltens maßgebend ist. Die Beschwer ist deshalb – wie auch das Oberlandesgericht Düsseldorf in seinem Berufungsurteil9 für den Gebührenstreitwert zutreffend angenommen hat – für jeden der beiden noch im Streit stehenden Unterlassungsanträge mit jeweils 2.500 € und daher mit insgesamt 5.000 € zu bemessen. Die neben den Unterlassungsanträgen geltend gemachten Abmahnkosten bleiben als Nebenforderung bei der Bemessung der Beschwer nach § 4 ZPO unberücksichtigt10.

Schließlich konnte die Nichtzulassungsbeschwerde im vorliegenden Fall mit ihrem Begehren, den Wert der Beschwer abweichend von den Wertfestsetzungen der Instanzgerichte mit einem Wert von mehr als 20.000 € zu bemessen, auch deshalb nicht durchdringen, weil sie hierzu erstmals im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vorgetragen hat, ohne zuvor gegen die bis dahin getroffenen (Streit)Wertfestsetzungen Einwendungen erhoben zu haben.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es einer Partei und zwar auch einem Beklagten verwehrt, sich im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf der Grundlage neuen Vorbringens auf einen höheren, die erforderliche Rechtsmittelbeschwer erreichenden Streitwert der Klage zu berufen, wenn sie die Streitwertfestsetzung in den Vorinstanzen nicht beanstandet und auch nicht glaubhaft gemacht hat, dass bereits in den Vorinstanzen vorgebrachte Umstände, die die Festsetzung eines höheren Streitwerts und einer damit einhergehenden entsprechenden Beschwer rechtfertigen, nicht ausreichend berücksichtigt worden sind11.

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Im vorliegenden Fall hat die Beklagte wie die Nichtzulassungsbeschwerde selbst einräumt eine Streitwertbeschwerde gegen die Festsetzung des Gebührenstreitwerts nicht erhoben. Auch hat sie zu etwaigen, sie treffenden Mehrkosten im Falle einer Verurteilung in den Instanzen nicht vorgetragen, sondern lediglich in den von der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Passagen darauf verwiesen, dass die Vorgehensweise der Beklagten für den dann zahlenden Schuldner kostengünstiger sei als die unmittelbare Beantragung eines Mahn- und Vollstreckungsbescheids. Aus diesem Vorbringen in den Tatsacheninstanzen ergibt sich jedoch nicht, dass und inwieweit der Beklagten bei Unterlassung der von dem Kläger gerügten Geschäftspraxis Mehrkosten entstünden, die die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO überstiegen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde kann sich insofern auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass angesichts der gefestigten und ausnahmslos angewendeten Streitwertfestsetzungspraxis des Oberlandesgerichts Düsseldorf eine Streitwertbeschwerde von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Wie der Verweis in der von der Nichtzulassungsbeschwerde in Bezug genommenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11.07.201912 auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.04.201813 zeigt, hat sich das OLG Düsseldorf bei seiner Streitwertfestsetzung lediglich an der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bemessung des Streitwerts einer Verbandsklage auf Unterlassung einer verbraucherschutzgesetzwidrigen Praxis (§ 2 UKlaG) orientiert. Danach kann aber, wie vorstehend aufgezeigt, von der regelmäßigen Bemessung des Streitwerts für den einzelnen Unterlassungsantrag mit 2.500 € abgewichen werden, wenn die Entscheidung über die Zulässigkeit einer bestimmten Praxis für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist. Solche Umstände hat die Beklagte jedoch in den Vorinstanzen ebenso wie im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht geltend gemacht.

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Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. März 2022 – VIII ZR 99/21

  1. im Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 13.10.2020 – VIII ZR 161/19, WRP 2021, 60 Rn. 9; vom 21.08.2019 – VIII ZR 263/18, und – VIII ZR 265/18; jeweils 2; vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, NJW 2019, 1531 Rn. 10; vom 10.04.2018 – VIII ZR 247/17, NJW 2018, 1880 Rn. 35[]
  2. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 21.08.2019 – VIII ZR 263/18, und – VIII ZR 265/18, jeweils 1; vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, NJW 2019, 1531 Rn. 9; vom 10.04.2018 – VIII ZR 247/17, NJW 2018, 1880 Rn. 34; vom 27.02.2018 – VIII ZR 147/17, RdE 2018, 251 Rn. 5; jeweils mwN[]
  3. vgl. BGH, Beschlüsse vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, aaO; vom 27.02.2018 – VIII ZR 147/17, aaO[]
  4. vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.10.2020 – VIII ZR 161/19, WRP 2021, 60 Rn. 7; vom 21.08.2019 – VIII ZR 263/18, und – VIII ZR 265/18, jeweils aaO Rn. 4; vom 10.04.2018 – VIII ZR 247/17, aaO Rn. 38; vom 27.02.2018 – VIII ZR 147/17, aaO Rn. 6[]
  5. vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.10.2020 – VIII ZR 161/19, aaO Rn. 8; vom 21.08.2019 – VIII ZR 263/18, und – VIII ZR 265/18, jeweils aaO Rn. 1; vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, aaO Rn. 10; vom 10.04.2018 – VIII ZR 247/17, aaO Rn. 35[]
  6. st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13.10.2020 – VIII ZR 161/19, aaO Rn. 9; vom 21.08.2019 – VIII ZR 263/18, und – VIII ZR 265/18, jeweils aaO Rn. 2; vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, aaO Rn. 10; vom 10.04.2018 – VIII ZR 247/17, aaO[]
  7. vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.10.2020 – VIII ZR 161/19, aaO Rn. 10; vom 21.08.2019 – VIII ZR 263/18, und – VIII ZR 265/18, jeweils aaO Rn. 3; vom 05.02.2019 – VIII ZR 277/17, aaO Rn. 14; jeweils mwN[]
  8. vgl. BGH, Beschlüsse vom 30.03.2021 – VIII ZR 345/19 4; vom 18.03.2021 – V ZR 156/20 4; vom 13.10.2020 – VIII ZR 161/19, aaO Rn. 11; vom 24.09.2020 – V ZR 296/19 4; jeweils mwN[]
  9. OLG Düsseldorf, Urteil vom 29.05.2019 – 12 O 83/19[]
  10. BGH, Beschluss vom 10.04.2018 – VIII ZR 247/17, NJW 2018, 1880 Rn. 39 mwN[]
  11. vgl. BGH, Beschlüsse vom 18.03.2021 – V ZR 156/20 10; vom 17.11.2020 – VIII ZR 154/19 5; vom 27.02.2018 – VIII ZR 147/17, RdE 2018, 251 Rn. 13; jeweils mwN[]
  12. OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.072019 – I-20 U 111/18 100[]
  13. BGH, Beschluss vom 10.04.2018 VIII ZR 247/17, NJW 2018, 1880 Rn. 38[]
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