Ist eine Mundspüllösung ein Arzneimittel? Nach Ansicht des Bundesgerichtshof ist das möglich, wenn die Mundspüllösung Chlorhexidin enthält:

Eine für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung eines Stoffes erforderliche Wechselwirkung zwischen seinen Molekülen und Körperzellen liegt auch dann vor, wenn die Moleküle eine ohne sie gegebene Einwirkung anderer Stoffe auf die Körperzellen verhindern.
Eine Chlorhexidin-haltige Mundspüllösung ist zwar kein Bestimmungsarzneimittel nach Art. 1 Nr. 2 lit. a der Richtlinie 2001/83/EG, § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG. Jedoch kann zumindest eine pharmakologische Wirkung dieses Produkts und damit auch dessen Eigenschaft als Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG nicht verneint werden, entschied jetzt der Bundesgerichtshof für eine solche Mundspüllösung, die auf ihrer Verpackung damit war, bakteriellen Zahnbelag zu reduzieren, dessen Neubildung zu hemmen, das Zahnfleisch zu schützen und zur Erhaltung der Mundgesundheit beizutragen.
Bestimmungsarzneimittel
Bei der Mundspüllösung handelt es sich mit Blick auf die Aufmachung der Mundspüllösung nicht um ein Bestimmungsarzneimittel. Dem Verbraucher wird der Eindruck vermittelt, dass es sich um ein Mittel handelt, das dazu bestimmt ist, in der Mundhöhle des Menschen zur Reinigung, zum Schutz oder zur Erhaltung eines guten Zustandes angewendet zu werden. Damit erfüllt die Lösung die Voraussetzungen für ein kosmetisches Mittel. Namentlich der durch Fettdruck besonders hervorgehobene Verwendungszweck „zur Mundpflege“ auf der Umverpackung der beanstandeten Mundspüllösung weist den Verbraucher nach der Lebenserfahrung darauf hin, dass es sich bei ihr lediglich um ein pflegendes Produkt handelt.
Funktionsarzneimittel
Dagegen kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs der Mundspüllösung die pharmakologische Wirkung und damit die Eigenschaft eines Funktionsarzneimittels nicht abgesprochen werden
Die Beurteilung der Frage, ob die Mundspüllösung eine pharmakologische Wirkung hat, hat sich an die Definition des Begriffs „pharmakologisch“ in der unter der Federführung der Europäischen Kommission entwickelten Leitlinie zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten „Medical Devices: Guidance document“1 zu orientieren. Die für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung erforderliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil (Rezeptor) gemäß der Definition des Begriffs „pharmakologisch“ im Abschnitt A.2.1.1. dieser Leitlinie liegt aber nicht nur dann vor, wenn sie in einer direkten Reaktion (Antwort) besteht, sondern auch dann, wenn sie die Reaktion (Antwort) eines anderen Agens blockiert. Das Vorhandensein einer solchen Dosis-Wirkungsbeziehung stellt danach zwar „kein vollständig vertrauenswürdiges Kriterium“ dar, es liefert aber immerhin „einen Hinweis auf einen pharmakologischen Effekt“2.
Die Leitlinie setzt daher nicht eine unmittelbare Wechselwirkung mit „zellulären Bestandteilen des Anwenders“ voraus, sondern lässt jegliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und „einem zellulären Bestandteil“ genügen. Im Hinblick darauf, dass Chlorhexidin mit Bestandteilen von Bakterienzellen reagiert, scheidet eine pharmakologische Wirkung auch bei Anwendung der in der genannten Leitlinie vorgesehenen Definition der pharmakologischen Wirkung nicht schon von vornherein aus. Dementsprechend ordnet die Leitlinie selbst Chlorhexidin im Abschnitt A.2.1.2 ausdrücklich als arzneilichen Stoff ein. Hinzu kommt, dass der in der Mundspüllösung enthaltene Stoff Chlorhexidin in der höheren Konzentration von 0,1% und 0,2% nicht nur die Bildung bakterieller Zahnbeläge unterdrücken kann, sondern nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch geeignet ist, unter anderem Gingivitis zu heilen oder zu lindern, so dass eine ver-ändernde Beeinflussung von Körperfunktionen auf chemischem Weg vorzuliegen scheint. Unter diesen Umständen kommt eine pharmakologische Wirkung des Präparats in Betracht3. Auf eine metabolische Wirkung4 käme es danach nicht mehr an.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 90/08
- abgedruckt bei Schorn, Medizinprodukte-Recht, 25. Lfg. August 2009, E 2.3 sowie – auszugsweise – in Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 104. Lfg. 2007, § 2 AMG Rdn. 158[↩]
- vgl. Anhalt in Anhalt/Dieners, Handbuch des Medizinprodukterechts, § 3 Rdn. 8[↩]
- vgl. zum Vorstehenden Dettling/Koppe-Zagouras, PharmR 2010, 152, 158[↩]
- dafür Dettling/Koppe-Zagouras, PharmR 2010, 152, 157 f.; a.A. Anhalt, MPR 2009, 127, 130[↩]