Die wissenschaftliche Studie in der Arzneimittelwerbung

Wird in der Werbung für ein biotechnologisch hergestelltes Generikum (Biosimilar) im Zusammenhang mit der Aussage, dass das beworbene Arzneimittel eine vergleichbare Wirksamkeit habe wie das Referenzprodukt, in einem Fußnotenvermerk auf eine wissenschaftliche Studie Bezug genommen wird, erwartet der Fachverkehr, dass es sich hierbei um eine klinische Wirksamkeitsstudie handelt.

Die wissenschaftliche Studie in der Arzneimittelwerbung

Da die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Zulassung von Biosimilars im Bedarfsfall auch die Durchführung klinischer Studien vorsehen, hat der angesprochene Verkehr auch keinen Anlass anzunehmen, die in der Werbung in Bezug genommene Studie sei nicht als klinische Wirksamkeitsstudie, sondern – wie im Streitfall – als klinisch-pharmakologische Studie mit gesunden Probanden angelegt.

Maßgeblich ist das Verkehrsverständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und vernünftigen Arztes, der die Werbung wahrnimmt. Das Verständnis dieses Verkehrskreises vermögen die Mitglieder des Oberlandesgerichts selbst zu beurteilen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg ist die Beurteilung des Verkehrsverständnisses von Ärzten durch die Mitglieder des Gerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Erkenntnisstand der Wissenschaft im Hinblick auf den maßgebenden Sachverhalt vorgetragen wurde und außerdem kein Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass ein Arzt die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert hat1.

Davon ausgehend ist das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg der Überzeugung, dass die Angabe, Filgrastim H. sei hinsichtlich der Wirksamkeit vergleichbar mit dem Referenzprodukt, beim Fachverkehr zu der Vorstellung führt, dass klinische Studien durchgeführt worden seien, welche eine mit N. vergleichbare Wirksamkeit von Filgrastim H. ergeben hätten. Dies wird jedenfalls dadurch suggeriert, dass die beanstandeten Werbeaussagen jeweils auf Fußnoten verweisen und dass in den Fußnotenvermerken die Veröffentlichung der Studie „Gascon P et al.“ benannt wird.

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Die Erwartungshaltung des Verkehrs geht hinsichtlich des Wirkungsbezugs einer Angabe in der Regel dahin, dass die Wirkungsangabe wissenschaftlich abgesichert sei2. Nimmt die Werbung mit einer wirkungsbezogenen Angabe Bezug auf wissenschaftliche Studien, so geht der Arzt davon aus, dass es sich um lege artis durchgeführte klinische Studien handelt, die den werblich herausgestellten Aspekt bewiesen haben und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen3. Davon ausgehen erwartet der Fachverkehr jedenfalls dann, wenn – wie hier – im Zusammenhang mit der Aussage, dass das Arzneimittel eine vergleichbare Wirksamkeit habe wie das Referenzprodukt, zu dem vor seiner Zulassung klinische Wirksamkeitsstudien erstellt worden sind, in einem Fußnotenvermerk auf eine wissenschaftliche Studie Bezug genommen wird, dass es sich hierbei um eine klinische Wirksamkeitsstudie handelt.

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass es sich bei dem Präparat um ein Biosimilar handelt. Der Fachverkehr rechnet auch bei einem Biosimilar angesichts einer derartigen Wirkungsaussage nicht damit, dass aufgrund des vereinfachten Zulassungsverfahrens keine klinischen Wirksamkeitsstudien durchgeführt worden sind. Die Antragsgegnerin selbst trägt vor, dass der Fachverkehr die Einzelheiten des Zulassungsverfahrens nicht – bzw. nicht genau – kenne. Bereits dies spricht gegen die Annahme, der Fachverkehr habe bei einem Biosimilar geringere Erwartungen bezüglich der einer Wirksamkeitsbehauptung zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Nachweise. Selbst wenn aber dem Fachverkehr der regulatorische Rahmen bekannt wäre, würde er bei einem Biosimilar nicht davon ausgehen, dass im Rahmen des Zulassungsverfahrens keine klinischen Wirksamkeitsstudien durchgeführt worden sind. Zwar hat der europäische Normgeber die Zulassung von Biosimilars in der Weise privilegiert, dass der Antragsteller durch die Bezugnahme auf das Referenzarzneimittel vom Nachweis bestimmter, bei Zulassung eines Originalarzneimittels erforderlicher Daten entbunden werden kann. Nach § 24 b)) Abs. 5 AMG sowie Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG sind für die Zulassung eines biologischen Arzneimittels, das einem biologischen Referenzarzneimittel ähnlich ist und für Generika geltenden Anforderungen nicht erfüllt, weil Unterschiede bezüglich der Ausgangsstoffe oder des Herstellungsprozesses bestehen, die Ergebnisse geeigneter vorklinischer oder klinischer Versuche hinsichtlich dieser Abweichungen vorzulegen. Hinsichtlich der Art und Anzahl der zusätzlich vorzulegenden Daten verweist Art. 10 Abs. 4 auf den durch die Richtlinie 2003/63/EG neu gefassten Anhang I der Richtlinie, in dessen Teil II unter Ziff. 4 geregelt ist, dass zusätzliche Daten hinsichtlich des toxikologischen und klinischen Profils vorzulegen sind, nicht aber das volle, in den Modulen 4 und 5 des Annexes I, Teil I der RL 2001/83 vorgesehene Programm an präklinischen und klinischen Studien.

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Die Einzelheiten regelt die EMA-Guideline. Danach aber sind Art und Anzahl der vom Antragsteller im Rahmen eines Biosimilar-Zulassungsverfahrens vorzulegenden wissenschaftlichen Nachweise je nach Präparat sehr unterschiedlich; auch klinische Studien können für eine Biosimilar-Zulassung erforderlich sein4. Angesichts dieses regulatorischen Rahmens verknüpft der Fachverkehr mit dem Begriff „Biosimilar“ nicht schon die Vorstellung, dass im Rahmen des Zulassungsverfahrens keine klinischen Wirksamkeitsstudien durchgeführt worden seien.

ei Zugrundelegung dieses zutreffend angenommenen Verkehrsverständnisses erweisen sich streitgegenständlichen Angaben der Antragsgegnerin zu der vergleichbaren Wirksamkeit als irreführend, weil der Feststellung zu der vergleichbaren Wirksamkeit durch die EMA unstreitig keine klinische Wirksamkeitsstudie zu Grunde lag. Vielmehr sind lediglich klinisch-pharmakologische Studien an gesunden Probanden durchgeführt worden.

Insoweit kann auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes „Basisinsulin mit Gewichtsvorteil“5 nichts Gegenteiliges hergeleiten werden. In dieser Entscheidung heißt es, dass im Hinblick auf Angaben, die der Zulassung des Arzneimittels wörtlich oder sinngemäß entsprechen, regelmäßig davon auszugehen sei, dass sie im Zeitpunkt der Zulassung dem gesicherten Stand der Wissenschaft entsprächen. Vorliegend geht es jedoch nicht um die Frage, ob die Wirkungsangabe dem Stand der Wissenschaft entspricht. Vielmehr ergibt sich die Irreführung daraus, dass der Fachverkehr die streitgegenständlichen Werbeaussagen dahingehend versteht, dass die Angabe bezüglich der vergleichbaren Wirksamkeit durch eine klinische Wirksamkeitsstudie belegt sei.

Der Feststellung, dass die Werbung irreführend ist, steht die Zulassungsentscheidung der EMA, in deren Rahmen diese zu dem Ergebnis kam, dass Filgrastim H. eine vergleichbare Wirksamkeit aufweise, nicht entgegen, da die Antragstellerin sich gegen die Art und Weise der Bewerbung richtet. Die Zulassung der EMA bezieht sich allein auf das Inverkehrbringen des Arzneimittels, trifft aber keine Aussage für die Bewerbung des zugelassenen Produkts6. Dementsprechend stellt das Verbot, mit irreführenden Werbeaussagen für ein zugelassenes Arzneimittel zu werben, auch keine Verletzung der Eigentumsgarantie oder der Berufsfreiheit des Werbenden dar.

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Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 2. Oktober 2014 – 3 U 17/13

  1. OLG Hamburg, Urteile vom 02.07.2009 – 3 U 151/08; und vom 21.12.2006 – 3 U 77/06, PharmaR 2007, 204[]
  2. OLG Hamburg, Urteil vom 04.07.2013 – 3 U 161/11, MDR 2013, 1113; Riegger, Heilmittelwerberecht, Kap. 3 Rn. 25, 33[]
  3. OLG Hamburg, PharmR 2007, 290[]
  4. Rehmann, AMG, 3. Auflage, § 24b Rn. 9[]
  5. BGH, Urteil v.06.02.2013, I ZR 62/11, n. juris[]
  6. OLG Hamburg, Urteil vom 02.07.2009 – 3 U 151/08[]