Ein Netzgebiet der allgemeinen Versorgung im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG umfasst jeweils ein Gebiet (Konzessionsgebiet) innerhalb einer Gemeinde, für das ein Vertrag im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 1 EnWG zwischen einem Energieversorgungsunternehmen und der Gemeinde über die Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen besteht, die zu einem Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören (Konzessionsvertrag).

Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG ist Grundversorger das Energieversorgungsunternehmen, das die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert. In räumlicher Hinsicht entspricht ein solches Netzgebiet jeweils dem Gebiet (Konzessionsgebiet) innerhalb einer Gemeinde, für das ein Vertrag im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 1 EnWG zwischen einem Energieversorgungsunternehmen und der Gemeinde über die Nutzung öffentlicher Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen besteht, die zu einem Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung im Gemeindegebiet gehören (Konzessionsvertrag). Dieser Interpretation ist gegenüber einer Gleichsetzung des Netzgebiets mit dem Gemeindegebiet oder – so die Auffassung des hier klagenden Energieversorgers1 – mit dem gesamten von einem Netzbetreiber versorgten, physisch verbundenen Netzgebiet der Vorzug zu geben2.
Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG lässt ein solches Verständnis zu. Der Begriff des Netzgebiets der allgemeinen Versorgung wird im Energiewirtschaftsgesetz nicht näher erläutert, weist aber einen spezifischen Aussagegehalt auf. Daraus folgt, dass das Netzgebiet nicht in jedem Fall mit dem Gebiet einer Gemeinde deckungsgleich sein muss, da § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG – anders als andere Normen des Energiewirtschaftsgesetzes – gerade nicht das Gemeindegebiet (vgl. beispielsweise § 18 Abs. 1 Satz 1 oder § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG) oder die Gemeinde als räumlichen Anknüpfungspunkt bezeichnet3. Ebenso wenig lassen sich dem Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Netzgebiet stets einem Netzbetreiber – ohne Berücksichtigung anderer oder weiterer Kriterien – zuzuordnen wäre, da die Vorschrift nicht auf ein „Netz“, sondern auf ein „Netzgebiet“ abstellt.
Die Gesetzgebungsgeschichte spricht ebenfalls gegen eine Gleichsetzung des Netzgebiets mit dem Gemeindegebiet oder dem Netz eines Betreibers. Dem Willen des Gesetzgebers zufolge soll die Bestimmung der Person des Grundversorgers nach objektiven Kriterien erfolgen4. Diese gesetzgeberische Intention erfordert die Entwicklung eigenständiger Begriffsvoraussetzungen5. Sie lässt es zugleich nicht zu, an das Energiewirtschaftsgesetz in der vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.20056 geltenden Fassung anzuknüpfen, nach deren § 10 Abs. 1 Satz 1 EnWG die allgemeine Versorgung durch Energieversorgungsunternehmen ausdrücklich auf Gemeindegebiete bezogen war. Aus dieser früher geltenden Regelung lässt sich für die räumliche Abgrenzung des Netzgebiets der allgemeinen Versorgung nichts herleiten, da sich den Gesetzgebungsmaterialien keine Anhaltspunkte für eine insoweit beabsichtigte Kontinuität des Begriffsverständnisses entnehmen lassen.
Zugleich streitet die vom Gesetzgeber gewollte Bestimmung des Netzgebiets nach objektiven Kriterien gegen die Anknüpfung an das von einem Netzbetreiber errichtete Netz. Denn bei einem solchen Verständnis hätte es der Netzbetreiber in der Hand, Größe und Zuschnitt des Netzgebiets zu verändern7. Eine derartige Anknüpfung des Netzgebiets an Entscheidungen des Netzbetreibers stellt nicht die vom Gesetzgeber gewollte Heranziehung objektiver Kriterien dar.
Objektive Kriterien, die dafürsprechen, unter einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung jeweils ein Konzessionsgebiet innerhalb einer Gemeinde zu verstehen, ergeben sich aus der Systematik des Energiewirtschaftsgesetzes.
§ 18 Abs. 1 Satz 1 EnWG geht davon aus, dass Energieversorgungsnetze der allgemeinen Versorgung innerhalb von Gemeindegebieten betrieben werden. Die nach dieser Vorschrift bestehende Anschlusspflicht ist Voraussetzung der in § 36 EnWG geregelten Grundversorgung8. Daraus lässt sich schließen, dass ein Netzgebiet der allgemeinen Versorgung, mit dem die Grundversorgung gewährleistet wird, stets innerhalb der jeweiligen Gemeindegrenze liegt.
Mit dieser Anknüpfung an das Gemeindegebiet als äußerste Grenze eines Netzgebiets der allgemeinen Versorgung steht auch die Zuständigkeitsregelung des § 36 Abs. 2 Satz 3 und 4 EnWG im Einklang, nach der die nach Landesrecht zuständige Behörde die dort genannten Entscheidungen trifft. Das Gesetz geht damit nicht von Netzgebieten aus, die sich über Gemeindegebiete und damit möglicherweise über Landesgrenzen hinaus erstrecken. Der Verweis des Energieversorgers auf eine dann aus ihrer Sicht eintretende Zuständigkeit der Bundesnetzagentur nach § 55 Abs. 2 EnWG ändert – unabhängig davon, ob sie tatsächlich besteht – nichts an dem für die systematische Auslegung maßgeblichen Gesichtspunkt, dass jedenfalls regelmäßig nur eine Landesbehörde innerhalb ihres räumlichen Zuständigkeitsbereichs zuständig sein soll.
Die gesetzliche Verknüpfung zwischen dem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung und dem Konzessionsgebiet stellt § 3 Nr. 29c EnWG her. Dort ist ausdrücklich von dem Konzessionsgebiet die Rede, in dem ein Netz der allgemeinen Versorgung im Sinne des § 18 Abs. 1 und § 46 Abs. 2 EnWG betrieben wird. Auch wenn diese Vorschrift unmittelbar nur für Gasverteilungsnetze Anwendung findet9, stützt sie das entsprechende Verständnis des Begriffs des Netzgebiets auch in § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG, da sie nach dem Willen des Gesetzgebers ergänzende Bestimmungen im Hinblick auf die Verwendung der Begriffe enthält10. Diese Funktion einer Verdeutlichung des Begriffsinhalts ist nicht auf bestimmte, gesetzlich besonders aufgeführte Formen der Energieversorgung beschränkt.
§ 46 Abs. 2 Satz 1 und 2 EnWG deutet schließlich in dieselbe Richtung. Diese Regelungen betreffen die Konzessionsverträge zwischen einem Energieversorgungsunternehmen und einer Gemeinde. Die an die jeweilige vertragliche Bindung anknüpfende Versorgungsaufgabe des Energieversorgungsunternehmens als Konzessionsnehmer11 bezieht sich auch im Rahmen der Grundversorgung nach § 36 EnWG auf das jeweilige Konzessionsgebiet.
Die Gleichsetzung des Netzgebiets der allgemeinen Versorgung mit dem jeweiligen Konzessionsgebiet steht schließlich mit den in § 1 Abs. 1 und 2 EnWG aufgeführten Zielen des Energiewirtschaftsgesetzes in Einklang. Sie unterstützt insbesondere einen unverfälschten Wettbewerb, weil auch kleineren Energieversorgungsunternehmen ermöglicht wird, die Stellung des Grundversorgers einzunehmen. Zudem entspricht das in der Praxis ohne weiteres handhabbare Kriterium des Konzessionsgebiets dem in § 1 Abs. 1 EnWG genannten Ziel der effizienten leitungsgebundenen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas12. Ein solches Begriffsverständnis gewährleistet überdies auch deswegen die Beachtung der gesetzlichen Ziele des Energiewirtschaftsrechts, weil diese ihrerseits schon bei dem Abschluss von Konzessionsverträgen zu berücksichtigen sind. So haben Gemeinden ihre öffentlichen Verkehrswege zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG diskriminierungsfrei – und damit auch verbraucherfreundlich im Sinne des § 1 Abs. 1 EnWG – zur Verfügung zu stellen. Bei der Auswahl des Unternehmens, mit dem ein Konzessionsvertrag geschlossen werden soll, ist die Gemeinde den Zielen des § 1 Abs. 1 EnWG verpflichtet (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EnWG).
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Oktober 2021 – 8 C 2.21
- im Anschluss namentlich an Busche, in: Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl.2019, § 36 EnWG Rn. 34[↩]
- vgl. zu den vertretenen Auffassungen etwa Borries/Lohmann, Das Netzgebiet der allgemeinen Versorgung zur Bestimmung des Grundversorgers, EnWZ 2015, 441 <443> Schüler/Tittel, Alle Jahre wieder – Die Identifikation des Grundversorgers, EnWZ 2018, 154 <157 f.>[↩]
- vgl. Heinlein/Weitenberg, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Januar 2021, § 36 EnWG Rn. 93; Rühling/Meyer, Zur Feststellung des Grundversorgers nach § 36 Abs. 2 EnWG, EWeRK 2015, 133 <135>[↩]
- BT-Drs. 15/3917 S. 66[↩]
- vgl. de Wyl, in: Schneider/Theobald, Praxishandbuch Energiewirtschaft, 5. Aufl.2021, § 15 Rn. 36[↩]
- BGBl. I S.1970[↩]
- vgl. Borries/Lohmann, Das Netzgebiet der allgemeinen Versorgung zur Bestimmung des Grundversorgers, EnWZ 2015, 441 <444 f.> Hellermann, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl.2015, § 36 Rn. 38; Rasbach, in: Kment, EnWG, 2. Aufl.2019, § 36 Rn. 27; Schüler/Tittel, Alle Jahre wieder – Die Identifikation des Grundversorgers, EnWZ 2018, 154 <159>[↩]
- vgl. Ehring, in: Elspas/Graßmann/Rasbach, EnWG, 2018, § 36 Rn. 39[↩]
- Theobald, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Januar 2021, § 3 EnWG Rn. 231[↩]
- vgl. BT-Drs. 15/5268 S. 117[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.06.2014 – EnVR 10/13, NVwZ 2014, 1600 Rn. 31 ff., und Urteil vom 07.04.2020 – EnZR 75/18, NVwZ-RR 2020, 929 Rn. 24[↩]
- Heinlein/Weitenberg, in: Theobald/Kühling, Energierecht, Stand Januar 2021, § 36 EnWG Rn. 95; de Wyl, in: Schneider/Theobald, Praxishandbuch Energiewirtschaft, 5. Aufl.2021, § 15 Rn. 36[↩]