Das Bundesverfassungsgericht hat eine der beiden bei ihm anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die Zustimmung des deutschen Vertreters im Rat der Europäischen Union zum Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Singapur (Free Trade Agreement between the European Union and the Republic of Singapore – EUSFTA) als offensichtlich unzulässig nicht zur Entscheidung angenommen.

Der zusätzlich gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Blick auf die abschließende Zustimmung des Rates der Europäischen Union hat sich damit erledigt.
Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Beschwerdeführer zwar zahlreiche Rügen gegen das EUSFTA erhoben haben, diese allerdings weitgehend ohne konkreten Bezug zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben blieben.
Am 23.04.2007 ermächtigte der Rat der Europäischen Union die Europäische Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Mitgliedstaaten des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN). In der Folge ermächtigte er die Kommission zu bilateralen Verhandlungen mit Singapur und dehnte die Ermächtigung auf den Investitionsschutz aus. Die Verhandlungen wurden 2012 für alle Kapitel außer dem Investitionsschutz abgeschlossen, 2014 auch für diesen.
Am 10.07.2015 beantragte die Kommission beim Gerichtshof der Europäischen Union ein Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV zu der Frage, ob das geplante Abkommen von der Europäischen Union allein unterzeichnet und abgeschlossen werden könne („EU-only“-Abkommen) oder ob es durch die Europäische Union und die Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsse (gemischtes Abkommen).
In seinem Gutachten1 kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass die Europäische Union in nahezu allen von dem geplanten Abkommen erfassten Bereichen die alleinige Zuständigkeit besitze; ausgenommen seien allerdings andere Investitionen als Direktinvestitionen und die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat mit den Mitgliedstaaten als Beklagten. Diese Bereiche fielen in die geteilte Zuständigkeit von Europäischer Union und Mitgliedstaaten mit der Folge, dass das Freihandelsabkommen in seiner ursprünglich vorgesehenen Form auch nur von der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden könne.
Aufgrund des Gutachtens wurde der ausgehandelte Text angepasst, um zwei eigenständige Abkommen – ein Freihandelsabkommen (EUSFTA) und ein Investitionsschutzabkommen (EUSIPA) – zu schaffen. Die Unterzeichnung und den Abschluss beider Abkommen schlug die Kommission dem Rat am 18.04.2018 vor.
Am 15.10.2018 fasste der Rat Beschlüsse zur Unterzeichnung des EUSFTA und des EUSIPA. Am 19.10.2018 wurden die Abkommen unterzeichnet. Das Europäische Parlament stimmte den Entwürfen für die Beschlüsse über den Abschluss der Abkommen am 13.02.2019 zu.
Die abschließende Zustimmung des Rates zum EUSFTA steht noch aus.
Die Beschwerdeführer erheben eine Vielzahl von Rügen gegen das EUSFTA als Freihandelsabkommen „neuer Generation“. Sie tragen unter anderem umfänglich zu einer fortschreitenden Klimakatastrophe, zum Pariser Übereinkommen zum Klimaschutz und dessen angeblicher Blockierung durch das EUSFTA vor.
Im rechtlichen Kern ihrer Ausführungen machen die Beschwerdeführer geltend, ein Beschluss des Rates der Europäischen Union über den Abschluss des EUSFTA verletze sie in ihrem Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art.20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG und erheben insoweit eine Ultra-vires-Rüge. Das EUSFTA hätte auch nach dem Gutachten des EuGH als gemischtes Abkommen verhandelt und abgeschlossen werden müssen. Mit seiner Behandlung als „EU-only“-Abkommen missachte die Europäische Union mitgliedstaatliche Kompetenzen und nehme ausschließliche Zuständigkeiten für Bereiche in Anspruch, die zu den geteilten Zuständigkeiten gehörten.
Die Beschwerdeführer rügen zudem eine Verletzung des von Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerns des Demokratieprinzips durch das im EUSFTA vorgesehene Ausschusswesen. Der Handelsausschuss und die Sonderausschüsse könnten in zahlreichen im Abkommen spezifizierten Fällen Entscheidungen bis hin zu Vertragsänderungen treffen, die die Vertragsparteien bänden. Damit könne die Gestaltungsfreiheit des deutschen Gesetzgebers erheblich eingeschränkt werden. Das EUSFTA enthalte eine Vielzahl unbestimmter Begriffe, sodass für Auslegungen breiter Raum bestehe. Die Mitgliedstaaten seien in den EUSFTA-Ausschüssen nicht als reguläre stimmberechtigte Mitglieder vertreten. Gegen das Demokratieprinzip verstoße auch die mangelnde Unterrichtung der demokratischen Öffentlichkeit.
Die Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig sei. Der Vortrag der Beschwerdeführer zur Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG genüge nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Substantiierungsanforderungen:
In der Begründung einer Verfassungsbeschwerde haben die Beschwerdeführer darzulegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert. Dazu müssen sie aufzeigen, inwieweit eine Maßnahme die bezeichneten Grundrechte verletzen soll2. Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen bereits Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen3.
Hieran gemessen haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG durch eine Mitwirkung der Bundesregierung am Beschluss des Rates der Europäischen Union über den Abschluss des EUSFTA nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Die Beschwerdeführer erheben zwar zahlreiche Rügen gegen das EUSFTA, allerdings weitgehend ohne konkreten Bezug zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben.
Auch soweit die Beschwerdeführer im rechtlichen Kern ihrer Ausführungen geltend machen, die Mitwirkung der Bundesregierung an einem Beschluss des Rates über den Abschluss des EUSFTA verletze sie in ihrem Recht auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art.20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG, ist ihr Vortrag unzureichend.
Hinsichtlich der Ultra-vires-Rüge fehlt es insbesondere an einer näheren Auseinandersetzung mit dem Gutachten des EuGH und der dort entfalteten Argumentation. Soweit sich die Beschwerdeführer auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Freihandelsabkommen CETA4 berufen, gehen sie nicht weiter darauf ein, ob CETA als gemischtes Abkommen5 und EUSFTA als „EU-only“-Abkommen vergleichbar sind und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf EUSFTA übertragbar ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, hätte es näherer Darlegung bedurft, inwieweit die von der Beurteilung der Zuständigkeitsverteilung durch das Bundesverfassungsgericht in dieser – im einstweiligen Rechtsschutz ergangenen – Entscheidung zumindest teilweise abweichende Auffassung des EuGH in seinem Gutachten – ihre Fehlerhaftigkeit unterstellt – die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Anforderungen an eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung6 erfüllt.
In Bezug auf die Identitätsrüge fehlt es an einer an den verfassungsrechtlichen Maßstäben7 orientierten substantiierten Darlegung, inwiefern das als „EU-only“-Abkommen konzipierte EUSFTA das Demokratieprinzip berühren kann. Auch insoweit liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass sich die Aussagen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem als gemischtes Abkommen konzipierten CETA auf EUSFTA übertragen lassen.
Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 966/19
- EuGH, Gutachten 2/15 vom 16.05.2017 zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Singapur, EU:C:2017:376[↩]
- vgl. BVerfGE 99, 84, 87; 108, 370, 386 f.; 120, 274, 298; 140, 229, 232 Rn. 9; 142, 234, 251 Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 24.07.2018 – 2 BvR 1961/09, Rn. 23[↩]
- vgl. BVerfGE 140, 229, 232 Rn. 9; 142, 234, 251 Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 24.07.2018 – 2 BvR 1961/09, Rn. 23[↩]
- BVerfGE 143, 65[↩]
- vgl. BVerfGE 143, 65, 80 f. Rn. 15, 88 Rn. 38[↩]
- vgl. BVerfGE 123, 267, 353 f.; 126, 286, 302 ff.; 134, 366, 382 ff. Rn. 23 ff.; 142, 123, 200 ff. Rn. 146 ff.; 146, 216, 252 f. Rn. 52 f.; BVerfG, Urteil vom 30.07.2019 – 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 150 ff.[↩]
- vgl. BVerfGE 123, 267, 344, 353 f.; 126, 286, 302; 134, 366, 384 ff. Rn. 27 ff.; 140, 317, 337 Rn. 43; 142, 123, 195 f. Rn. 137 ff.; 146, 216, 253 f. Rn. 54 f.; BVerfG, Urteil vom 30.07.2019 – 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 120, 204 f.[↩]
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