Die angemessene Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nach §§ 327a, 327b AktG kann nach dem Barwert der aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen bestimmt werden, wenn dieser höher ist als der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts, der Unternehmensvertrag zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt bestand und von seinem Fortbestand auszugehen war.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof auf eine Vorlage des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main1. Die Vorlage betrifft die Auslegung von §§ 327a, 327b AktG, wonach die den ausgeschlossenen Aktionären für die Übertragung ihrer Aktien zu gewährende Barabfindung angemessen sein muss. Hier ist die Frage zu beantworten, ob bei beherrschten Unternehmen für die Barabfindung ausgeschlossener Minderheitsaktionäre die angemessene Abfindung gemäß § 327b AktG vom Barwert der Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG bestimmt wird. Es ist eine Rechtsfrage, ob eine vom Tatrichter gewählte Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen widerspricht2, wohingegen die Frage, welche der Bewertungsmethoden im Einzelfall den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet, Teil der tatsächlichen Würdigung des Sachverhalts ist und sich nach der wirtschafts- oder betriebswissenschaftlichen Bewertungstheorie und Praxis beurteilt.
Damit liegt ein Abweichungsfall im Sinne des § 12 SpruchG vor. Das vorlegende Oberlandesgericht beurteilt die streitige Rechtsfrage anders als die Oberlandesgerichte Düsseldorf3 und München4 und weicht in diesem Sinn von deren Entscheidung ab. Die Oberlandesgerichte Düsseldorf und München berücksichtigen den Barwert der Ausgleichszahlungen nach vorangegangenem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht als weitere Wertuntergrenze für die anlässlich des Ausschlusses aus der Gesellschaft gemäß § 327b AktG zu gewährende Barabfindung. Die Beantwortung der Rechtsfrage ist für das vorlegende Oberlandesgericht entscheidungserheblich, weil der Barwert der Abfindung nach dessen Feststellungen höher als der Ertragswert und höher als der umsatzgewichtete durchschnittliche Börsenwert drei Monate vor der öffentlichen Bekanntgabe des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre ist.
Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich nicht i.S.d. des vorlegenden OLG Frankfurt a.M. geklärt. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich offengelassen, ob der Barwert der Ausgleichszahlungen ähnlich dem Börsenwert als Mindestwert einer angemessenen Abfindung zugrunde zu legen ist, wenn dieser den anteiligen Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Ausschlusses der Minderheits-aktionäre übersteigt5.
Die angemessene Barabfindung im Falle des Ausschlusses von Minderheitsaktionären nach §§ 327a, 327b AktG kann nach dem Barwert der aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags dem Minderheitsaktionär zustehenden Ausgleichszahlungen bestimmt werden, wenn dieser höher ist als der auf den Anteil des Minderheitsaktionärs entfallende Anteil des Unternehmenswerts und der Unternehmensvertrag zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt bestand und von seinem Fortbestand auszugehen war.
Angemessen ist die Barabfindung, wenn sie dem ausgeschlossenen Aktionär volle wirtschaftliche Kompensation für den Verlust seiner Unternehmensbeteiligung verschafft, die nicht unter dem Verkehrswert liegen darf6. Das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) vermittelt die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft sowie vermögensrechtliche Ansprüche7. In vermögensrechtlicher Hinsicht umfasst die Beteiligung die Aussicht auf Dividende und den Anteil an Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch besteht8. Der Gleichlauf zwischen dem Wert des (einzelnen) Anteils und dem anteiligen Unternehmenswert ist auch dann gegeben, wenn ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen wurde. Der Wert des Anteils des (außenstehenden) Minderheitsaktionärs hat sich durch den Unternehmensvertrag nicht vollständig vom Unternehmenswert abgekoppelt9.
Der Wert der Unternehmensbeteiligung ist vom Gericht im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO zu ermitteln. Bewertungsobjekt ist die Unternehmensbeteiligung des Minderheitsaktionärs und nicht das Unternehmen, wobei weder das Verfassungsrecht noch das einfache Recht eine Bewertungsmethode vorgeben10. Der Wert der Unternehmensbeteiligung kann sowohl unmittelbar, etwa durch Rückgriff auf den Börsenwert der Anteile, als auch mittelbar als quotaler Anteil an dem durch eine geeignete Methode, etwa der Ertragswertmethode, ermittelten Unternehmenswert, bestimmt werden. Die eine oder andere Methode scheidet nur aus, wenn sie aufgrund der Umstände des konkreten Falls nicht geeignet ist, den „wahren“ Wert abzubilden11. Entscheidend ist, dass die Bewertungsmethode und das innerhalb der Bewertungsmethode gewählte Rechenverfahren den gesetzlichen Bewertungszielen, insbesondere den verfassungsrechtlichen Vorgaben, entspricht, in der Wirtschaftswissenschaft oder Betriebswirtschaftslehre anerkannt und in der Praxis gebräuchlich ist12. Da jede Wertermittlung mit zahlreichen Prognosen, Schätzungen und methodischen Einzelentscheidungen verbunden ist, die jeweils nicht auf Richtigkeit, sondern nur auf Vertretbarkeit gerichtlich überprüfbar sind, kann keine Bewertungsmethode den Wert der Unternehmensbeteiligung exakt berechnen. Vielmehr kann jede Methode nur rechnerische Ergebnisse liefern, die Grundlage und Anhaltspunkt für die Schätzung des Gerichts nach § 287 Abs. 1 ZPO bilden. Die Wahl der für die Schätzung im Einzelfall geeigneten Bewertungsmethode obliegt dem Tatrichter13.
Besteht ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, tritt die gewinnunabhängige, in der Regel fest bemessene Ausgleichszahlung nach § 304 AktG an die Stelle der sonst aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende und stellt wirtschaftlich nichts anderes dar als die Verzinsung der vom Aktionär geleisteten Einlage; die Entgegennahme der Ausgleichszahlung ist Fruchtziehung, während die Barabfindung gemäß § 305 AktG den Stamm des Vermögens repräsentiert, der durch die Ausgleichszahlung nicht angerührt wird14.
Ob der Barwert der festen Ausgleichszahlungen, der anteilige Unternehmenswert nach der Ertragswertmethode oder eine Kombination aus beiden den Wert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet, ist eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung grundsätzlich dem Tatrichter obliegt. Dabei ist die Diskontierung der festen Ausgleichszahlungen eine Methode zur Errechnung des Barwerts des Fruchtziehungsrechts, der im Rahmen der Ertragswertmethode durch Diskontierung der prognostizierten künftigen Erträge des Unternehmens ermittelt wird. Es werden jeweils die den Anteilseignern künftig zufließenden Erträge diskontiert, wobei einmal die festen Ausgleichszahlungen und einmal die prognostizierten künftigen handelsrechtlichen Erfolge die Grundlage der Schätzung bilden.
Die Bestimmung des Anteilswerts anhand des Barwerts nach § 304 AktG kann eine geeignete Methode zur Ermittlung einer angemessenen Abfindung gemäß § 327b AktG sein.
Es ist umstritten, ob die Höhe der angemessenen Abfindung der ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre nach § 327b AktG bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags von dem Barwert der festen Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG als Mindestwert bestimmt wird.
Nach einer Ansicht ist der Barwert der Ausgleichszahlungen nicht als Mindestwert der Abfindung heranzuziehen15. Der Barwert des festen Ausgleichs sei ungeeignet, den stichtagsbezogenen „wirklichen“ oder „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln. Entgegen der von Aktionär selbst gewählten Risikolage und dem Stichtagsprinzip würden die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Unternehmensvertrags festgeschrieben. Die Ausgleichsberechtigung sei kein grundrechtlich geschütztes mitgliedschaftliches Recht, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch gegen einen Dritten, der dem Minderheitsaktionär jederzeit entschädigungslos entzogen werden könne. Mit dem Börsenkurs sei der Barwert der Ausgleichszahlungen nicht vergleichbar, da er kein Marktpreis sei, sondern der unter der regelmäßig nicht hinreichend gesicherten Prämisse der ewigen Laufzeit des Unternehmensvertrags ermittelte Kapitalwert der künftigen Zuflüsse.
Nach anderer Ansicht bestimmt der Barwert der Ausgleichszahlungen den Mindestwert der Abfindung16. Der Minderheitsaktionär sei für den Verlust seines Unternehmensanteils voll zu entschädigen. Da die Ausgleichszahlungen wie die Dividende Rechtsfrucht der Mitgliedschaft seien, müssten sie bei der Entschädigung als Mindestwert berücksichtigt werden.
Der Barwert der Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG ist geeignet, die Höhe der angemessenen Barabfindung zu bestimmen, wenn der Unternehmensvertrag zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt bestand und von seinem Fortbestand auszugehen war. Die Diskontierung der Ausgleichszahlungen kann im Einzelfall eine aussagekräftige und geeignete Methode zur Ermittlung des Werts des Fruchtziehungsrechts sein, der den Wert der Unternehmensbeteiligung des Minderheitsaktionärs markiert.
Dass nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre zu berücksichtigen sind, schließt wegen des damit festgelegten Stichtags nicht schon dem Wortlaut nach aus, die Abfindung nach dem Barwert der Ausgleichszahlungen zu berechnen. Obwohl der Unternehmensvertrag, auf dem die Ausgleichszahlungen beruhen, zu einem früheren Zeitpunkt abgeschlossen worden ist, gehört er gleichwohl zu den Verhältnissen der Gesellschaft im nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre, wenn er zu diesem Zeitpunkt noch Bestand hat und von seinem Fortbestand auszugehen ist17. Denn der zum Zeitpunkt des Beschlusses über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre bestehende Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag bestimmt bei anzunehmendem Fortbestand des Vertrags auch darüber hinaus die Erträge des Aktionärs und kann deshalb zu den zum nach § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Bewertungsstichtag zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehören. Im Übrigen ist als Ausgleichszahlung gemäß § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG mindestens der Betrag zuzusichern, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil an die Aktionäre verteilt werden könnte, so dass die Bemessung der Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG gleichfalls am Wert des Unternehmens unter Berücksichtigung seiner zukünftigen Entwicklung orientiert ist18.
Der feste Ausgleichsanspruch gemäß § 304 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG tritt an die Stelle der aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende und bildet das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), welches die mitgliedschaftliche Stellung des Aktionärs in der Gesellschaft sowie vermögensrechtliche Ansprüche vermittelt7, nur teilweise ab. In vermögensrechtlicher Hinsicht umfasst die Beteiligung die Aussicht auf Dividende und den Anteil an Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch besteht8. Der Gleichlauf zwischen dem Wert des einzelnen Anteils und dem anteiligen Unternehmenswert ist auch dann gegeben, wenn ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen wurde. Der Wert des Anteils des außenstehenden Minderheitsaktionärs hat sich durch den Unternehmensvertrag nicht vollständig vom Unternehmenswert abgekoppelt9.
Aus Sicht des ausgeschlossenen Minderheitsaktionärs bestimmen sich der Wert seiner Unternehmensbeteiligung und damit die Angemessenheit der Abfindung andererseits primär durch die Erträge, die er ohne Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär zukünftig tatsächlich erhalten hätte. Während der Laufzeit des Unternehmensvertrags sind das die Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG, weshalb deren Wert bei der Barabfindung abzubilden ist. Die Diskontierung der Ausgleichszahlungen kann eine aussagekräftige und geeignete Methode sein, um den Wert des Fruchtziehungsrechts der Minderheitsaktionäre zu ermitteln. Es wäre mit dem Postulat der Angemessenheit schwerlich zu vereinbaren, wenn dem Mehrheitsaktionär der Wert der Ausgleichszahlungen anwüchse, die er infolge des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre erspart. Es entstünde beim Mehrheitsaktionär, in dessen alleinigem Interesse der Ausschluss der Minderheitsaktionäre erfolgt, eine Bereicherung, für die es keinen sachlichen Grund gibt.
Der Berücksichtigung des Barwerts bei der Bestimmung der angemessenen Abfindung steht nicht entgegen, dass der Ausgleichsanspruch kein wertpapiermäßig in der Aktie verkörpertes Mitgliedschaftsrecht ist, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch gegen das herrschende Unternehmen auf Grundlage des Unternehmensvertrags19. Zwar geht der Ausgleichsanspruch mangels Verbriefung nicht infolge rechtsgeschäftlicher Übertragung der Aktie auf den Erwerber über. Der Minderheitsaktionär verliert jedoch infolge der Übertragung der Aktie seine Stellung als außenstehender Aktionär und damit den Anspruch auf die Garantiedividende, der beim Erwerber der Aktie, soweit dieser außenstehender Aktionär ist, originär entsteht20. Der Verlust dieser Vermögensposition, der infolge des Ausschlusses des Minderheitsaktionärs unmittelbar eintritt, ist aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgabe der vollen wirtschaftlichen Kompensation für den Verlust der Unternehmensbeteiligung6 in der Abfindung des Minderheitsaktionärs abzubilden. Da der Ausgleichsanspruch aus § 304 AktG nur die Aussicht auf die Dividende ersetzt, nicht aber den Anteil an Vermögenssubstanz, auf den bei Auflösung und Liquidation ein Anspruch bestünde, der ebenfalls Teil der in der Aktie verkörperten von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Vermögensrechte ist, stellt dessen Barwert regelmäßig nur den Mindestwert der Abfindung dar.
Der Ausgleichszahlung kann nicht die verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit abgesprochen, weil sie dem Aktionär durch Beendigung des Unternehmensvertrags kompensationslos entzogen werden könnte19. Dem Minderheitsaktionär kann der Anspruch auf die feste Ausgleichszahlung nicht entschädigungslos entzogen werden, da bei Beendigung des Unternehmensvertrags an seine Stelle wieder der Anspruch auf die unsichere Dividende tritt. Das verfassungsrechtlich geschützte Vermögensrecht des Minderheitsaktionärs ist das Fruchtziehungsrecht sowohl in Gestalt der aus dem Bilanzgewinn auszuschüttenden Dividende als auch in Gestalt der vertraglich zugesagten Ausgleichszahlungen während des Bestands eines Unternehmensvertrags. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Dividende durch die abhängige Aktiengesellschaft und die Ausgleichszahlung vom beherrschenden Unternehmen geschuldet wird. Denn es ist auf das verfassungsrechtlich geschützte Vermögensrecht des Minderheitsaktionärs und nicht den Schuldner der jeweiligen Zahlung abzustellen. Ebenso wenig lässt sich einwenden, dass wegfallende Dividendenzahlungen nicht neben dem Wert des Unternehmens und dem Börsenkurs zur Wertermittlung als Untergrenze herangezogen werden, wenn kein Gewinnabführungsvertrag besteht21. Die Situation einer unsicheren Dividendenzahlung ist nicht vergleichbar mit dem nach § 304 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG dem Minderheitsaktionär fest zugesicherten Betrag.
Der Unternehmensanteilswertermittlung durch Diskontierung der Ausgleichszahlungen bei Barabfindung steht weiter nicht entgegen, dass die Ausgleichsberechtigung keine auf ewig sichere garantierte Rendite, sondern ihrer Natur nach vorübergehend ist22. Schwierigkeiten bei der Prognose der Laufzeit des Unternehmensvertrags und die daraus resultierenden Unwägbarkeiten der Wertberechnung sind keine Besonderheiten des kapitalisierten Ausgleichs. Jede Unternehmenswertermittlung beruht zu einem Großteil auf unsicheren Prognosen, Annahmen und Schätzungen. Erforderlich ist im Einzelfall eine Prognose der Laufzeit zum Bewertungsstichtag unter Abstraktion der konkreten Strukturmaßnahme. Bei dieser Prognose ist zu berücksichtigen, ob der Unternehmensvertrag nur zeitlich befristet oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossen ist, ob, wann und durch wen er kündbar ist und schließlich, ob und wann mit Blick auf die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten eine Kündigung zu erwarten gewesen wäre. Wenn die konkrete Unternehmensplanung keine Anhaltspunkte für eine Vertragsbeendigung bietet, kann die ewige Laufzeit des Unternehmensvertrags anzunehmen sein. Die ewige Laufzeit des Unternehmensvertrags ist zwar eine stark vereinfachte Annahme. Vereinfachte Annahmen dieser Art prägen aber die Unternehmensbewertung insgesamt. Auch bei der Ertragswertmethode nach dem IDW S1 2008 wird die Prognose der künftigen Erträge nur für einen kurzen Zeitraum von drei bis fünf Jahren auf die konkrete Unternehmensplanung und danach auf stark vereinfachte Annahmen gestützt. Das Risiko der Vertragsbeendigung ist – wie andere aus der Organisationsstruktur der Gesellschaft resultierenden Risiken auch – im Rahmen des Risikozuschlags für die Gesellschaft bei der Ermittlung des Verrentungszinssatzes abzubilden. Im Übrigen muss die Laufzeit des Unternehmensvertrags auch bei der Wertermittlung nach der Ertragswertmethode prognostiziert werden, etwa um die künftige Ausschüttungsquote, die während der Dauer des Unternehmensvertrags 100 % betragen wird, schätzen zu können.
Die Ausgleichszahlungen sind auch nicht generell ungeeignet, den Wert der Unternehmensbeteiligung abzubilden23. Nach § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG muss sich die Ausgleichsanzahlung an der bisherigen Ertragslage und den künftigen Ertragsaussichten der Gesellschaft orientieren. Die Festlegung der Ausgleichszahlungen erfolgt zwar naturgemäß zu einem früheren Zeitpunkt als dem für die Abfindung nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG maßgeblichen Stichtag. Das Stichtagsprinzip steht einer Berechnung der Abfindung nach dem Barwert der Ausgleichszahlungen aber nicht entgegen. Die Ausgleichszahlungen gehören zu den Verhältnissen der Gesellschaft im maßgeblichen Zeitpunkt, wenn der Unternehmensvertrag zu diesem Zeitpunkt Bestand hat und von seinem Fortbestand auszugehen ist24.
Durch die Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen wird dem Minderheitsaktionär auch nicht unangemessen das Risiko des Wertverlusts seiner Unternehmensbeteiligung abgenommen bzw. der Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Abschlusses des Unternehmensvertrags festgeschrieben25. Ein Minderheitsaktionär, der sich infolge seiner Entscheidung, die Unternehmensbeteiligung an dem beherrschten Unternehmen zu halten, die Chance auf eine Werterhöhung des Unternehmens erhält, trägt als Kehrseite auch das Risiko, nach der Beendigung des Unternehmensvertrags an einem ausgezehrten Unternehmen beteiligt zu sein26. Dieses Risiko der Bleibeentscheidung des Minderheitsaktionärs realisiert sich durch seinen Ausschluss aus der Gesellschaft aber nicht, da die Übertragung der Aktien auf das herrschende Unternehmen den Unternehmensvertrag nicht beendet27. Die Minderheitsaktionäre verlieren infolge ihres Ausschlusses nach § 327a AktG den Anspruch auf Ausgleichszahlungen, weil sie ihre Stellung als Minderheitsaktionäre verlieren, wohingegen der Mehrheitsaktionär genau diesen Betrag erspart. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots des „vollen“ Ausgleichs erfordert eine angemessene Abfindung, dass die Minderheitsaktionäre mindestens den Betrag erhalten, den der Mehrheitsaktionär erspart. Das Risiko der Vertragsbeendigung, das der Minderheitsaktionär infolge seiner Entscheidung nach dem Gewinnabführungsvertrag in der Gesellschaft zu verbleiben trägt, wird ihm nicht abgenommen, sondern in dem Risikozuschlag für die Gesellschaft abgebildet und mindert entsprechend der konkreten Risikoprognose die Zahlungsströme.
Die Unterschiede zwischen dem Börsenwert, der regelmäßig Untergrenze der Abfindung ist, und dem Barwert der Ausgleichszahlungen, schließen ebenfalls nicht aus, den Barwert der Ausgleichszahlungen bei der Bestimmung der angemessenen Abfindung zu berücksichtigen28. Der Börsenkurs bildet eine Untergrenze, weil er – jedenfalls in einem funktionierenden Markt – den Verkehrswert der Aktie widerspiegelt, also den Preis, den der Minderheitsaktionär im Falle einer Deinvestitionsentscheidung, die ihm durch seinen Ausschluss aus der Gesellschaft unmöglich wird, auf dem Markt hätte realisieren können. Der Barwert der Ausgleichszahlungen ist zwar anders als der Börsenkurs kein durch Angebot und Nachfrage gebildeter Preis der Unternehmensbeteiligung, hat aber Einfluss auf diesen. Denn der Barwert der Ausgleichszahlung sichert dem Minderheitsaktionär die regelmäßig feste Ausgleichszahlung während der Laufzeit des Vertrags, § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG. Auf einem funktionierenden Markt wird die Höhe der Ausgleichszahlung bzw. deren Barwert den Preis der Aktie bestimmen, wenn sie die prognostizierten künftigen Erträge bzw. den anteiligen Ertragswert übersteigt. Insofern bestimmt der Barwert der Ausgleichszahlungen die Höhe der Barabfindung, wenn er den Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung zutreffend abbildet29. Ob er den Verkehrswert zutreffend abbildet, ist eine Frage des Einzelfalls, bei deren Beantwortung zu berücksichtigen ist, dass ein Unternehmensvertrag, der erheblich über dem Ertragswert liegende Ausgleichszahlungen gewährt, nicht dauerhaft von Bestand sein wird. Für die voraussichtliche Dauer des Unternehmensvertrags ist der Wert der Beteiligung mindestens der Barwert der dem Minderheitsaktionär im Rahmen des Unternehmensvertrags vertraglich zugesagten festen Ausgleichszahlungen, auch wenn dieser Wert den auf Grundlage der prognostizierten zukünftigen Erträge ermittelten anteiligen Ertragswert übersteigt.
Der Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen stehen schließlich mögliche Verzögerungen des Spruchverfahrens, weil dieses unter Umständen bis zum rechtskräftigen Abschluss des die Angemessenheit des Ausgleichsanspruchs betreffenden Spruchverfahrens gemäß § 148 ZPO auszusetzen sein kann, nicht entgegen17. Dieses Argument kann ohnehin nur bei einer gewissen zeitlichen Nähe zwischen dem Unternehmensvertrag und der Übertragung der Aktien auf den Hauptaktionär Bedeutung erlangen. Auch etwaige Bewertungsschwierigkeiten bei anderen Strukturmaßnahmen, wie etwa einer Verschmelzung mit mehreren Verschmelzungspartnern, stehen der Berücksichtigung des Barwerts der Ausgleichszahlungen jedenfalls beim Ausschluss von Minderheitsaktionären nach § 327a AktG nicht entgegen17.
Dies zugrunde gelegt, ermittelt sich im hier entschiedenen Fall die angemessene Abfindung vorliegend aus dem Barwert der Ausgleichszahlungen. Dieser beträgt 93, 30 € je Stammaktie und 93, 84 € je Vorzugsaktie und übersteigt damit den anteiligen Ertragswert und den umsatzgewichteten durchschnittlichen Börsenwert drei Monate vor der öffentlichen Bekanntgabe des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre. Unter Berücksichtigung der weiteren Umstände führt das Abstellen auf den Barwert zu einer angemessenen Abfindung. Der Unternehmensvertrag wurde am 26.04.2004 für fünf Jahre fest geschlossen und damit gut anderthalb Jahre vor dem für die Barabfindung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Hauptversammlung über den Ausschluss der Minderheitsaktionäre am 13./14.12.2005. Während der fünfjährigen festen Vertragslaufzeit konnte die Antragsgegnerin sich ihren Pflichten zur Ausgleichszahlung nicht durch Beendigung des Unternehmensvertrags entziehen. Umgekehrt durften sich die Minderheitsaktionäre, die nach Abschluss des Unternehmensvertrags in der Gesellschaft verblieben sind, für die feste Vertragslaufzeit von fünf Jahren auf den Erhalt der Ausgleichszahlungen verlassen.
Der Zeitraum der sicheren Ausgleichszahlungen war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre länger als der Zeitraum der konkreten Unternehmensplanungen der Antragsgegnerin. Die Detailplanungsphase der Antragsgegnerin umfasste nach deren weltweit einheitlichen Planungs- und Controllingsystem nur zwei Jahre, weshalb eine darüberhinausgehende Planung für die W. AG nicht existierte. Infolgedessen ist eine zum Zweck der Ertragswertermittlung über diesen Zeitraum hinaus fortgeschriebene Planungsrechnung keine bessere Schätzgrundlage zur Ermittlung des Werts der Unternehmensbeteiligung als die festen Ausgleichszahlungen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15. September 2020 – II ZB 6/20
- OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 20.11.2019 – 21 W 77/14[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – II ZB 23/14, ZIP 2016, 110 Rn. 12; Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 14[↩]
- OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 525; WM 2019, 1788, 1796[↩]
- OLG München, ZIP 2007, 375, 377[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 30[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rn. 33; Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 22; BVerfGE 100, 289, 305 f.[↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 25; BVerfGE 100, 289, 305[↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 25; BVerfGE 14, 263, 285[↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 24, 26 mwN[↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rn. 12; Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 23; BVerfG, ZIP 2011, 171 Rn. 10[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 22 f.; BVerfGE 100, 289, 307[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rn. 14, 33[↩]
- BGH, Beschluss vom 29.09.2015 – II ZB 23/14, BGHZ 207, 114 Rn. 34[↩]
- BGH, Urteil vom 16.09.2002 – II ZR 284/01, BGHZ 152, 29, 35; Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 27[↩]
- OLG Düsseldorf, WM 2019, 1788, 1796; ZIP 2017, 521, 524 f.; ZIP 2015, 1336, 1337 f.; ZIP 2012, 1713, 1714 f.; Beschluss vom 29.07.2009 – I‑26 W 1/08 49 ff.; OLG München, ZIP 2007, 372, 377; Schnorbus in K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 327b Rn. 6; BeckOGK AktG/Singhof, Stand: 1.07.2020, § 327b Rn. 5; Hüffer/Koch, AktG, 14. Aufl., § 327b Rn. 5; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 9. Aufl., § 327b AktG Rn. 9a; Drinkuth in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 4. Aufl., Rn. 62.38; Popp, WPg 2006, 436, 444 f.; Riegger, Festschrift Priester, 2007, S. 661, 672; Luttermann, EWiR 2007, 33, 34; Popp, AG 2010, 1, 8 ff.; Lauber, Das Verhältnis des Ausgleichs gemäß § 304 AktG zu den Abfindungen gemäß §§ 305, 327a AktG, 2013, S. 459; Bungert/Rogier, EWiR 2016, 293, 294; Singhof, DB 2016, 1185, 1186 f.; Popp, Der Konzern 2017, 224, 227 ff.; Schnorbus, ZHR 181 (2017), 902, 913 ff.; Slavik, EWiR 2017, 363, 364; Wasmann, DB 2017, 1433, 1434 ff.; Wasmann, DB 2018, 3042, 3043[↩]
- OLG Frankfurt, ZIP 2016, 918, 920 f.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.09.2011 – 20 W 7/08 80 ff.; AG 2010, 510, 513; MünchKommAktG/Grunewald, 5. Aufl., § 327b Rn. 13; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Handbuch Aktiengesellschaft, 85. Lfg., Stand: Juni 2020 Rn. 13.42; Wilsing/Paul in Henssler/Strohn, GesR, 4. Aufl., § 237b AktG Rn. 4; Hölters/Müller-Michaels, AktG, 3. Aufl., § 237b Rn. 7; MünchHdbGesR IV/Austmann, 5. Aufl., § 75 Rn. 98; Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 9. Aufl., S. 34 Rn. 103; Hengeler, Festschrift Möhring, 1975, S.198, 218 f.; Tebben, AG 2003, 600, 606 ff.; Winter, EWiR 2006, 417, 418; Leyendecker, NZG 2010, 927 f.; Bödeker/Fink, NZG 2011, 816, 818; Goslar/Witte, EWiR 2015, 101, 102; Ruiz de Vargas/Schenk, AG 2016, 354, 358; J. Schmidt, WuB 2016, 493, 496; Schüppen, ZIP 2016, 1413, 1419; Lorenz, GWR 2016, 163; Hölken, jurisPR-InsR 10/2016 Anm. 2; Müller-Michaels, BB 2017, 498; weitergehend für alleinige Maßgeblichkeit des Barwerts der Ausgleichszahlungen vormals OLG Frankfurt, NZG 2010, 664, 665; ZIP 2014, 2439, 2440 f.; bei Verschmelzung KG, NZG 2003, 644 f.[↩]
- aA OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 525[↩][↩][↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn.20 mwN[↩]
- aA OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 525 f.[↩][↩]
- BGH, Urteil vom 08.05.2006 – II ZR 27/05, BGHZ 167, 299 Rn. 17 ff.[↩]
- so aber OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 526[↩]
- aA OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 524[↩]
- aA OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 523 f.; OLG München, ZIP 2007, 375, 376 f.[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn.20[↩]
- aA OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 525; OLG München, ZIP 2007, 375, 377[↩]
- BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 27[↩]
- BGH, Urteil vom 19.04.2011 – II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 Rn. 18; Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 29[↩]
- aA OLG Düsseldorf, ZIP 2017, 521, 525; OLG München, ZIP 2007, 375, 376[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2016 – II ZB 25/14, BGHZ 208, 265 Rn. 30[↩]