Eigentumsverletzung eines Aktionärs durch Veräußerung eines Unternehmensteils

Das Bundesverfassungsgericht hat im Fall einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung keine Verletzung des Anteilseigentums des Beschwerdeführers nach Art. 14 Abs. 1 GG durch die Veräußerung der Sparte „Hoch- und Ingenieurbau“ der Beklagten gesehen.

Eigentumsverletzung eines Aktionärs durch Veräußerung eines Unternehmensteils

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist1. Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus dieser Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche2.

Die durch die Aktie vermittelten Leitungsbefugnisse des Aktionärs betreffen nach der gesetzlichen Kompetenzverteilung, die sich insoweit als verhältnismäßige Inhaltsbestimmung des Aktieneigentums erweist, nicht die Geschäftsführung. Die Geschäftsführung weist das Gesetz in § 76 Abs. 1 AktG ausschließlich dem Vorstand einer Aktiengesellschaft zu; gemäß § 119 Abs. 2 AktG ist die Befassung der Hauptversammlung mit Geschäftsführungsmaßnahmen nur auf Verlangen des Vorstands vorgesehen. In fachrichterlicher Rechtsfortbildung ist die Hauptversammlungszuständigkeit dahin erweitert worden, dass der Vorstand verpflichtet sein kann, bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen3. In Anerkennung der gesetzlichen Kompetenzverteilung nimmt die fachgerichtliche Rechtsprechung bei einer von dem Vorstand in Aussicht genommenen Umstrukturierung der Gesellschaft eine die Hauptversammlungsbefassung gebietende wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre aber erst dann an, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme an die Kernkompetenz der Hauptversammlung rührt, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen4.

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Das Oberlandesgericht5 hat mit vertretbaren Erwägungen festgestellt, dass unter Berücksichtigung dieser Kriterien die Veräußerung der Unternehmenssparte „Hoch- und Ingenieurbau“ und die weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen die Rechte des Beschwerdeführers nicht in diesem Sinne wesentlich beeinträchtigten und nicht die Grenze des § 179a AktG erreichten. Unter den geschilderten Umständen ist es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch von Verfassungs wegen im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG nicht geboten, zum Schutz von Minderheitsaktionären einfachrechtlich eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz – unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung der Maßnahme – stets schon dann anzunehmen, wenn ein Unternehmensteil veräußert wird.

Die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte mitgliedschaftliche Komponente des Aktieneigentums wird durch die Veräußerung eines Unternehmensteils in der Regel nicht berührt, da eine Verkürzung der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte grundsätzlich nicht stattfindet. Ein etwa nachteiliger Einfluss auf die vermögensrechtliche Beteiligung an der Gesellschaft soll nach der gesetzgeberischen Wertung durch das Ausgleichssystem der §§ 311 ff. AktG entschädigt werden. Dieses System des Einzelausgleichs genügt grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Gesetzgeber hat seiner Pflicht zum Schutz der Aktionärsrechte mit der Möglichkeit einer Schadensersatzklage gegen das herrschende Unternehmen genügt. Neben einem Schadensersatzanspruch der beherrschten Gesellschaft, den der einzelne Aktionär zu ihren Gunsten verfolgen kann, statuiert § 317 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 i.V.m. § 309 Abs. 4 AktG einen jedem einzelnen Aktionär zustehenden Schadensersatzanspruch gegen das herrschende Unternehmen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers gebietet es der Grundrechtsschutz der Aktionäre nicht, dass der Aktionär darüber hinaus grundsätzlich ausgleichsfähige Nachteile, die innerhalb der Frist des § 311 AktG nicht ausgeglichen werden, für rechtswidrig erklären lassen kann. Die darauf gerichteten Anträge des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht im Einklang mit der Wertung des Gesetzgebers für unzulässig gehalten. Da der nachteilige Einfluss des herrschenden Unternehmens sich in erster Linie auf die vermögensrechtliche Komponente des Aktieneigentums auswirkt, ist die von dem Gesetzgeber vorgesehene finanzielle Kompensation aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, aber auch ausreichend. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Einflussnahme durch das herrschende Unternehmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass das System des finanziellen Ausgleichs versagt.

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Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung eine solche Fallgestaltung verneint und dabei die rechtlichen Grenzen des Einzelausgleichs nicht verkannt. Es hat ausdrücklich klargestellt, dass eine derart intensive Einwirkung der Konzernleitung, die das System des Einzelausgleichs außer Funktion setze, weil der Nachteil im Rahmen eines Einzelausgleichs nicht mehr bestimmbar sei, rechtmäßig nur auf der Grundlage eines Beherrschungsvertrages oder einer förmlichen Eingliederung zulässig sei. Nach der ausführlich und sorgfältig begründeten, mindestens vertretbaren und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden tatsächlichen Würdigung des Oberlandesgerichts war dies indessen nicht der Fall. Im Ergebnis hat die Beklagte eine Betriebssparte mit der damit zusammenhängenden Projektentwicklungsgesellschaft veräußert, die Rechtsabteilung und kaufmännische Verwaltungsaufgaben ausgelagert, die Verwaltung des Maschinenparks mit der Ed. AG zusammengelegt, ohne dabei jedoch das Eigentum an dem Maschinenpark aufzugeben, ist – unangegriffen schon vom Landgericht als nicht nachteilig eingestuft – in den konzernweiten Avalkredit einbezogen worden, hat ein Vorstandsmitglied der Beklagten ein Vorstandsmandat bei der S. SE übernommen und hat die Beklagte die D.-Beteiligung an die Ed. AG veräußert. Diese letzte Maßnahme hing nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zumindest auch mit einem Fusionskontrollverfahren des Bundeskartellamts zusammen und ging nicht allein auf die Konzernierungsbestrebungen der S. SE zurück. Es lässt sich nicht feststellen, dass die dem Urteil des Oberlandesgerichts zugrundeliegende Wertung der Veräußerung der Sparte sowie der Umstrukturierungsmaßnahmen als jeweils dem Einzelausgleich gemäß § 311 AktG zugängliche Einflussnahmen und im Grundsatz zulässige faktische Konzernierungsmaßnahmen nicht haltbar und damit krass fehlerhaft wäre.

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Ebensowenig sind der Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt verletzt, dass die Fachgerichte die Anforderungen an die ihn treffende Darlegungslast zu den durch die Geschäftsführungsmaßnahmen verursachten Nachteilen überspannt hätten.

Der objektive Gehalt der Grundrechte kann auch im Verfahrensrecht Bedeutung erlangen. Wie die Darlegungs- und Beweislast unter Beachtung verfassungsrechtlicher Positionen bei der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften zu beurteilen ist, lässt sich allerdings nicht allgemein festlegen. Das Zivilprozessrecht bietet aber für eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast geeignete Handhabe6. Darüber hinaus schützt die Verbürgung der Justizgewähr vor unzumutbarer Verkürzung des Anspruchs auf Durchsetzung des materiellen Rechts durch übermäßig strenge Anwendung verfahrensrechtlicher Schranken7. Eine solche von Verfassungs wegen unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes durch die vom Oberlandesgericht hier zu Grunde gelegte Darlegungs- und Beweislastverteilung ist nicht feststellbar.

Das Oberlandesgericht ist zutreffend von der allgemeingültigen, ungeschriebenen zivilprozessrechtlichen Grundregel ausgegangen, nach der jede Partei, die sich auf eine Rechtsfolge beruft, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes darzulegen und zu beweisen hat. Hinsichtlich der Anforderungen an die Substantiierungspflicht entspricht es gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass es vom Einzelfall abhängt, in welchem Maße die Partei ihr Vorbringen durch die Darlegung konkreter Einzeltatsachen substantiieren muss8. Dem darlegungspflichtigen Anspruchsteller können Erleichterungen hinsichtlich seiner Substantiierungslast insbesondere dann gewährt werden, wenn der Gegner im Gegensatz zum Anspruchsteller die maßgebenden Tatsachen kennt und ihm die Darlegung des Sachverhalts zumutbar ist. Kommt er dieser Darlegungslast nicht nach, so hat dies zur Folge, dass das Vorbringen des Anspruchstellers auch insoweit, als dieses mangels Einblicks in den dem Gegner zugänglichen Geschehensbereich nicht den sonst zu stellenden Anforderungen genügt, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt9. Weder Art. 14 Abs. 1 GG noch die verfassungsrechtlich geschützten Rechte auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz gebieten über diese in ständiger Rechtsprechung praktizierte Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast hinaus eine generelle Abmilderung oder Umkehr für die hier vorliegende Fallgestaltung.

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Unbeschadet dessen hat das Oberlandesgericht hier letztlich zugunsten des Beschwerdeführers in Anlehnung an die vom Bundesgerichtshof früher für die Haftung im sogenannten qualifiziert faktischen GmbH-Konzern aufgestellten Grundsätze unterstellt, dass der Beschwerdeführer nur Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen habe, die zumindest die Annahme nahegelegt hätten, bei der Unternehmensführung seien im Hinblick auf das Konzerninteresse die eigenen Belange der Beklagten des Ausgangsverfahrens über bestimmte, konkret ausgleichsfähige Einzeleingriffe hinaus beeinträchtigt worden10. Damit hat das Oberlandesgericht dem Informationsgefälle zwischen Beschwerdeführer und beklagter Aktiengesellschaft im Ergebnis Rechnung getragen und die allgemeinen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast abgesenkt. Weitergehendes war von Verfassungs wegen nicht geboten, denn insoweit ist die Bestimmung des genauen Maßes einer Vortrags- und Substantiierungspflicht Sache der Auslegung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte und der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zugänglich11. In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Oberlandesgericht den Vortrag des Beschwerdeführers dann für nicht ausreichend erachtet.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. September 2011 – 1 BvR 1460/10

  1. vgl. BVerfGE 25, 371, 407; 50, 290, 339; 100, 289, 301[]
  2. vgl. BVerfGE 14, 263, 276; 100, 289, 301 f.; BVerfG, Beschluss vom 19.09.2007 – 1 BvR 2984/06, WM 2007, S. 2199, 2200[]
  3. vgl. BGHZ 83, 122, 131 f. – „Holzmüller“[]
  4. vgl. BGHZ 159, 30, 44 f. – „Gelatine I“; BGH, Beschluss vom 20.11.2006 – II ZR 226/05[]
  5. OLG Köln, Urteil vom 15.01.2009 – 18 U 205/07[]
  6. vgl. BVerfGE 97,169, 179; BVerfG, Beschluss vom 06.10.1999 – 1 BvR 2110/93, NJW 2000, S. 1483, 1484[]
  7. vgl. BVerfGE 84, 366, 369 f.[]
  8. vgl. nur BGH, Urteil vom 04.07.2000 – VI ZR 236/99, MDR 2000, S. 1392, 1393; BGH, Beschluss vom 25.06.2008 – II ZR 133/07, WM 2008, S. 1873[]
  9. vgl. BGHZ 100, 190, 195 f.; BGHZ 122, 123, 133 – „TBB“, jeweils m.w.N.[]
  10. vgl. BGHZ 122, 123, 131 – „TBB“; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25.06.2008 – II ZR 133/07, WM 2008, S. 1873; nachfolgend BVerfG, Beschluss vom 08.04.2010 – 1 BvR 1473/09, AG 2010, S. 544[]
  11. stRspr; vgl. nur BVerfGE 18, 85, 92 f.[]
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