Dass die Notare im Landesdienst gemäß dem Erlass des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 23.08.2007 in Beurkundungsangelegenheiten, die der Gesellschaftssteuerrichtlinie1 unterfallen, einstweilen nicht mehr 15% der Gebühren als pauschale Aufwandsentschädigung an die Staatskasse abzuführen haben, vermag den erhobenen Gebühren, sofern sie den Aufwand übersteigen, nicht die Eigenschaft als „Steuer“ im Sinne der Richtlinie zu nehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften sind die zur Staatskasse erhobenen Gebühren für die notarielle Beurkundung eines unter die Gesellschaftssteuerrichtlinie fallenden Vorgangs durch einen beamteten Notar im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe grundsätzlich als „Steuer“ im Sinne der Richtlinie anzusehen2. In Folge dieser Rechtsprechung hat der baden-württembergische Gesetzgeber das Landesjustizkostengesetz (LJKG) geändert. Nach § 10 Abs. 2 LJKG3 sind die Notare Gläubiger der Gebühren für ihre Beurkundungstätigkeit. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 LJKG erhält die Staatskasse keinen Anteil an Beurkundungsgebühren, die aufgrund zwingender gesellschaftsrechtlicher Vorgaben der notariellen Beurkundung bedürfen. Die Notare haben jedoch 15 % dieser Gebühren als pauschale Aufwandsentschädigung an die Staatskasse abzuführen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 LJKG). Gemäß Art. 4 § 2 des Gesetzes vom 28.07.2005 gilt diese Regelung in gleicher Weise für Beurkundungsgebühren, die im Zeitraum vom 01.06.2002 bis zum Inkrafttreten der Neuregelung am 01.01.2006 entstanden sind.
Mit Urteil vom 28. Juni 2007 hat jedoch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entschieden, dass es für die Qualifizierung von Notargebühren als „Steuer“ im Sinne der Richtlinie keine Bedeutung hat, dass die beamteten Notare selbst Gläubiger der Gebühren sind und der Anteil, den sie an den Staat abführen müssen, relativ gering ist4. Als „Abgaben mit Gebührencharakter“ können nur Entgelte, deren Höhe sich nach den Kosten der erbrachten Leistung richtet, angesehen werden5.
Als Reaktion auf diese Entscheidung hat das Justizministerium Baden-Württemberg mit Erlass vom 23. August 2007 verfügt, dass die Notare im Landesdienst in den von einem Verbotstatbestand der Gesellschaftssteuerrichtlinie tangierten Fällen „einstweilen“ nicht mehr 15 % der Gebühren als pauschale Aufwandsentschädigung an die Staatskasse abzuführen haben, ihnen somit sämtliche Gebühren aus diesen Geschäften verbleiben. Auf diese Weise lasse sich „für einen Übergangszeitraum … eine Übereinstimmung zwischen den europarechtlichen Vorgaben und dem nationalen Recht“ herstellen. Der Erlass misst sich Rückwirkung bei. Auf diese Weise soll der Konflikt zwischen der Gesellschaftssteuerrichtlinie und den proportional zum Gegenstandswert erhobenen Notarkosten entfallen.
Dies ist jedoch unzutreffend. Dabei bedarf es keiner Entscheidung durch das Oberlandesgericht Karlsruhe, ob ein Verzicht des Landes auf die Erhebung eines Anteils an den Gebühren als pauschale Aufwandsentschädigung generell geeignet ist, die Qualifizierung als „Steuer“ im Sinne der Gesellschaftssteuerrichtlinie zu vermeiden. Der Erlass des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 23. August 2007 ist jedenfalls nicht geeignet, den von den Notaren im Landesdienst erhobenen Gebühren die Eigenschaft als „Steuer“ im Sinne der Richtlinie zu nehmen6.
Der Erlass legt die gesetzliche Regelung (§ 11 Abs. 1 Satz 2 LJKG; Art. 4 § 2 Satz 2 des Gesetzes vom 28.07.2005) nicht aus; er konkretisiert diese auch nicht einengend. Er widerspricht ihr vielmehr direkt. Als Akt der Verwaltung bleibt er somit gegenüber dem gesetzlichen Kostenrecht ohne Wirkung (Art. 20 Abs. 3 GG). Dieses gilt mit der dem Erlass widersprechenden Rechtsfolge fort. Auch wenn der Erlass in der Verwaltungspraxis dennoch Anwendung finden sollte, § 11 Abs. 1 Satz 2 LJKG bzw. Art. 4 § 2 Satz 2 des Gesetzes vom 28.07.2005 somit nicht angewendet werden und die Erhebung des Landesanteils in Höhe von 15% an den Gebühren unterbleibt, lässt sich auf diese Weise keine Konformität mit der Gesellschaftssteuerrichtlinie herstellen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften muss die Umsetzung von Richtlinien in innerstaatliches Recht durch verbindliche normative Akte erfolgen, die so bestimmt, klar und transparent sind, dass sie dem Gebot der Rechtsicherheit genügen und den Einzelnen in die Lage versetzen, von seinen Rechten Kenntnis zu nehmen und sie vor den nationalen Gerichten geltend zu machen7. Eine bloße Verwaltungspraxis genügt hierfür nicht; dies gilt selbst dann, wenn diese durch ein Rundschreiben geregelt und vereinheitlicht wird8. Erst recht fehlt es an einer richtlinienkonformen Rechtslage, wenn eine gemeinschafts- bzw. unionsrechtswidrige Bestimmung des nationalen Rechts unverändert beibehalten wird. Die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit Gemeinschaftsrecht lässt sich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen beseitigen, die den selben rechtlichen Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen9. Eine Verwaltungsvorschrift, die zudem jederzeit geändert werden kann, genügt nicht den Anforderungen an Publizität, Transparenz, Bestimmtheit und Rechtssicherheit, die erfüllt werden müssen, um nationales Recht in Übereinstimmung mit Gemeinschaftsrecht zu bringen.
Art. 10 der Richtlinie 69/335/EWG begründet für den Einzelnen Rechte, auf die er sich vor den nationalen Gerichten berufen kann10. § 11 Abs. 1 Satz 2 LJKG und Art. 4 § 2 Satz 2 des Gesetzes vom 28.07.2005, die mit der Richtlinie nicht übereinstimmen, gelten unverändert fort. Der Erlass des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 23. August 2007 vermag daran nach dem oben Gesagten nichts zu ändern. Demgemäß sind nicht aufwandsbezogene Notargebühren im Anwendungsbereich der Gesellschaftssteuerrichtlinie nach wie vor unzulässige „Steuern“ im Sinne dieser Richtlinie11.
Eines Ersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV bedarf es nicht. Die Rechtslage ist durch die ergangene ständige Rechtsprechung des EuGH eindeutig geklärt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung ohne Vorlage an den EuGH hingewiesen.
Die nicht am Aufwand des Notars, sondern am Gegenstandswert des Geschäfts orientierten Kostenberechnungen können daher keinen Bestand haben. Zulässig sind allein aufwandsbezogene Gebühren (vgl. nur EuGH, Beschluss vom 21.03.2002 – C-264/00 [Gründerzentrum]; Urteil vom 28.06.2007 – C-466/03 [Reiss]))
Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 19 Wx 8/09
- Richtlinie 69/335/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17.07.1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital[↩]
- grundlegend EuGH, Beschluss vom 21.03.2002 – C-264/00 [Gründerzentrum], ZIP 2002, 663“[↩]
- in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Landesjustizkostengesetzes und des Landesgesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit vom 28.07.2005[↩]
- EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-466/03 [Reiss], ZIP 2007, 1655, NJW 2007, 3051[↩]
- EuGH a.a.O.[↩]
- ebenso Meyer, ZIP 2008, 1661[↩]
- vgl. nur EuGH, Urteile vom 28.02.1991 – C-131/88; vom 30.05.1991 – C-59/89; vom 30.05.1991 – C-361/88; und vom 15.06.1995 – C-220/94[↩]
- EuGH, Urteile vom 20.03.1997 – C-96/95; und vom 28.02.1991 – C-131/88[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. nur EuGH, Urteile vom 13.07.2000 – C-160/99; und vom 26.04.1988 – C-74/86[↩]
- EuGH, Urteile vom 29.09.1999 – C-56/98 [Modelo], ZIP 1999, 1681; und vom 02.12.1997 – C-188/95 [Fantask], ZIP 1998, 206[↩]
- ebenso Meyer, ZIP 2008, 1661, 1663[↩]