Schlussfolgerungen aus Medienberichten sind nicht zwingend und liefern bloße Verdachtsmomente, die aus Sicht der Hauptversammlung nicht eindeutig eine Pflichtverletzung des Vorstands und damit erst recht nicht eine solche des Aufsichtsrats belegen können. Mit dieser Begründung hat jetzt das Landgerichts Stuttgart die Anfechtungsklage einer Aktionärin gegen einen Beschluss der Hauptversammlung der beklagten Porsche Automobil Holding SE vom 29. Januar 2010 abgewiesen.

Gegenstand des jetzt vom Landgericht Stuttgart entschiedenen Verfahrens war die Rechtmäßigkeit des Beschlusses über die Entlastung des Aufsichtsrat in dem der Hauptversammlung vorausgegangenen Geschäftsjahr 2008/2009, das vom 1. August 2008 bis 31. Juli 2009 gedauert hatte. Dieses Geschäftsjahr war gekennzeichnet durch eine Reihe vielbeachteter Ereignisse:
So verstärkte die Porsche SE ihre Bemühungen um eine Beteiligung an der Volkswagen AG durch Erwerb von VW-Stammaktien. Sie teilte Ende Oktober 2008 mit, über 42,6% der VW-Stammaktien und außerdem über 31,5% cash-gesettelte Optionen auf solche Aktien zur Kurssicherung zu verfügen. Sie kündigte ihre Zielsetzung an, im Jahr 2009 die Beteiligung auf 75% aufzustocken und so den Weg für einen Beherrschungsvertrag freizumachen. Dies führte zu erheblichen Kursausschlägen bei der VW-Stammaktie, kurzzeitig auf über 1.000 €. Die Porsche SE erwarb Anfang Januar 2009 weitere ca. 8% der VW-Stammaktien und hielt damit über 50%. In der Folgezeit berichtete die Presse über Bemühungen der Porsche SE um die Refinanzierung eines Kredits über 10 Mrd. € und um eine weitere Aufstockung von Krediten, über unterschiedliche Vorstellungen bei VW und Porsche und deren Gesellschaftern zur weiteren Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft der beiden Konzerne. Gegen Ende Juli 2009 wurde bekannt gegeben, dass die beiden bisherigen Vorstände Dr. Wiedeking und Härter das Unternehmen gegen Abfindungen von 50 und 12,5 Mio. € verlassen. Im August 2009 engagierte sich schließlich das Emirat Katar mit einer Beteiligung bei Porsche und es übernahm auch einen Teil der Derivate. Außerdem wurde die sog. Grundlagenvereinbarung abgeschlossen, die vorsieht, dass in mehreren Schritten ein integrierter Automobilkonzern entstehen soll, letztlich durch eine Verschmelzung der Porsche SE auf die VW AG.
Weil mittlerweile die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Kursmanipulation u.a. insbesondere gegen die früheren Vorstände ermittelte, wurde der Hauptversammlung vom 29. Januar 2010 vorgeschlagen, die Entscheidung über eine Entlastung dieser Vorstandsmitglieder zu verschieben. Die Hauptversammlung beschloss aber die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008/2009.
Die Klägerin ist Aktionärin der Beklagten und hat gegen diesen Beschluss Anfechtungsklage erhoben. Sie leitet aus verschiedenen Umständen wie den wechselhaften Ereignissen des Geschäftsjahrs 2008/2009, aus Medienveröffentlichungen und Äußerungen beteiligter Personen oder auch aus der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft ermittelt, den Verdacht ab, dass sich der Vorstand der Beklagten pflichtwidrig verhalten habe. Das bezieht sie insbesondere auf nach ihrer Ansicht unverantwortliche und existenzgefährdende Risiken, die der Vorstand mit Optionsgeschäften eingegangen sei, ebenso mit dem Erwerb weiterer VW-Stammaktien Anfang Januar 2008 bei ihrer Ansicht nach ungesicherter Finanzierung und Liquiditätsproblemen.
Aus solchen Umständen und dem Ergebnis, dass Porsche nicht VW übernehme, sondern mit VW verschmolzen werden solle und damit die Selbständigkeit verliere, folgert sie, dass auch der Aufsichtsrat seiner Pflicht nicht nachgekommen sei, den Vorstand bei seinen Geschäften zu überwachen. Weitere Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats sieht die Klägerin in Zusammenhang mit der Gewährung von Vorstandsvergütungen im vorausgegangenen Geschäftsjahr 2007/2008 und mit der Vereinbarung der Abfindungen anlässlich des Ausscheidens der Vorstände im Juli 2009, die sie für unangemessen und pflichtwidrig hält. Die Beklagte weist diese Vorwürfe zurück, weder das Handeln des früheren Vorstands noch die Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats, der über alle Schritte informiert gewesen sei, seien zu beanstanden.
Mit dem Beschluss, die Mitglieder eines Gesellschaftsorgans wie Vorstand oder Aufsichtsrat für ein Geschäftsjahr zu entlasten, entscheidet die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder einer SE (Societas Europaea – Europäische Gesellschaft), das Handeln dieser Organe im fraglichen Geschäftsjahr zu billigen und ihnen für das künftige Wirken das Vertrauen auszusprechen. Unmittelbare Rechtswirkungen hat ein solcher Beschluss nicht. Insbesondere führt er – anders als bei einer GmbH – nicht zu einem Verzicht auf Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats wegen etwaiger Pflichtverletzungen (vgl. § 120 Abs. 2 AktG).
Ob sie einem Organ Entlastung erteilt, liegt grundsätzlich im Ermessen der Hauptversammlung; allerdings gibt es dafür Grenzen. So ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte rechtswidrig, eine „pflichtvergessene“ Verwaltung zu entlasten, obwohl ihr ein eindeutiger und schwerwiegender Verstoß gegen das Gesetz oder die Satzung der Gesellschaft vorgeworfen werden muss. Stimmt in einem solchen Fall die Hauptversammlungsmehrheit gleichwohl für die Entlastung, dann verhält sie sich gegenüber der Minderheit treuwidrig; das macht den Beschluss anfechtbar.
Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das Landgericht Stuttgart bereits vor einem Jahr in einem vergleichbaren Rechtsstreit mit zum Teil den gleichen Parteien zu Beschlüssen der Hauptversammlung vom 30. Januar 2009 entschieden, dass es für die Frage, ob ein eindeutiger Rechtsverstoß vorliegt, entscheidend auf die Perspektive der Hauptversammlung ankommt1. Gegenstand einer Anfechtungsklage ist nämlich das Stimmverhalten der Hauptversammlung, nicht unmittelbar die Kontrolle der Tätigkeit von Organen wie Vorstand und Aufsichtsrat.
Anders als etwa ein Sonderprüfungsverfahren dient deshalb eine Anfechtungsklage gegen einen Entlastungsbeschluss nicht dazu, ungeklärte Umstände erst aufzuklären. Ebenso wenig müssen im Anfechtungsverfahren Rechtsfragen, die aus der Perspektive der Hauptversammlung als offen zu bezeichnen sind, endgültig entschieden werden. In beiden Fällen kann nämlich der Hauptversammlung nicht der Vorwurf gemacht werden, sich unter Missbrauch ihres Ermessens über einen eindeutigen Rechtsverstoß des fraglichen Organs hinweggesetzt zu haben. Das damalige Urteil ist vom Oberlandesgericht Stuttgart mittlerweile bestätigt worden2.
Auch in dem neuen, jetzt entschiedenen Rechtsstreit um den Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung vom 29. Januar 2010 hat das Landgericht Stuttgart die Klage abgewiesen, weil – so die Entscheidung – Schlussfolgerungen aus der Chronologie der Ereignisse und Medienberichten nicht zwingend sind und bloße Verdachtsmomente aus Sicht der Hauptversammlung nicht eindeutig eine Pflichtverletzung des Vorstands und damit erst recht des Aufsichtsrats belegen. Dabei betonte das Landgericht, dass Handlungen eines Vorstands oder Aufsichtsrats, wie etwa der Aufbau der VW-Beteiligung oder die zur Kurssicherung betriebene Optionsstrategie, auch nicht alleine deshalb als pflichtwidrig beurteilt werden dürfen, weil sie sich im Nachhinein als Fehleinschätzung erwiesen haben oder weil sich Risiken realisiert haben; vielmehr kommt es darauf an, ob die Handlung seinerzeit auf sorgfältiger Informationsgrundlage vorgenommen wurde und nach dem erkennbaren Informationsstand vertretbare Risiken in Kauf genommen werden durften. Das musste die Hauptversammlung nach dem Stand vom 29. Januar 2010 nicht eindeutig verneinen. Auch der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Kapitalmarktmanipulation im Zusammenhang mit denn Ereignissen von Oktober 2008 umfangreiche und langwierige Ermittlungen durchführt, die bislang nicht zu einem eindeutigen Ermittlungsergebnis geführt haben, oder dass Anleger deshalb vor in- und ausländischen Gerichten Schadensersatzklagen erhoben haben, ändert nichts daran, dass es sich eben nur um Verdachtsmomente und damit aus Sicht der Hauptversammlung vom 28. Januar 2010 gerade keine eindeutigen Pflichtverletzungen handelt.
Die Hauptversammlung musste von eindeutigen Verfehlungen des Aufsichtsrats bei seiner Überwachungstätigkeit nach Ansicht der Kammer auch deshalb nicht ausgehen, weil sie durch den Geschäftsbericht und durch weitere Erläuterungen bei der Debatte davon informiert wurde, dass die Optionsgeschäfte wie die Finanzierungs- und Liquiditätssituation auf Veranlassung des Aufsichtsrats durch Wirtschaftsprüfer untersucht und weitere Fragestellungen wie der Vorwurf der Kapitalmarkmanipulation oder auch Vorstandsgehälter und –abfindungen durch Rechtsgutachter geprüft wurden, jeweils ohne Beanstandung. Die Kammer kam bei der Sachlage zu der Entscheidung, dass die Hauptversammlung ihr Ermessen bei der Entscheidung, den Aufsichtsrat zu entlasten, nicht überschritten hatte.
Außerdem wurde die Anfechtung auch darauf gestützt, dass das Auskunftsrecht der Aktionäre verletzt sei. Ein Hauptversammlungsbeschluss kann wegen einer Informationspflichtverletzung dann angefochten werden, „wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte“ (§ 243 Abs. 4 AktG), was insbesondere der Fall ist, wenn die Information benötigt wird, um sachgerecht über den Beschlussgegenstand entscheiden zu können. Die Klägerin hat vorgebracht, insgesamt 20 Fragen zu Details und Risiken der Optionsgeschäfte, zu Planungen der Porsche SE für einen Beherrschungsvertrag mit VW seien nicht ordentlich beantwortet worden. Die Kammer hat dagegen entschieden, dass die Fragen entweder, soweit überhaupt erforderlich, ausreichend beantwortet waren oder dass die Porsche SE die Auskunft verweigern durfte, weil die Bekanntgabe von Details der Optionsgeschäfte für das Unternehmen erhebliche Nachteile hätte mit sich bringen können oder weil Einzelheiten zu Aufsichtsratssitzungen nach dem Gesetz der Geheimhaltung unterliegen.
Landgericht Stuttgart, Urteil vom 17. Mai 2011 – 31 O 30/10 KfH