Schadensersatzansprüche gegen den Aufsichtsrat – und ihre Verjährung

Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen einer Aktiengesellschaft gegen ein Aufsichtsratsmitglied gemäß § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2, Abs. 6 AktG wegen Verjährenlassens von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen ein Vorstandsmitglied beginnt gemäß § 200 Satz 1 BGB mit dem Zeitpunkt der Verjährung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied. b)) Das gilt auch dann, wenn der Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied darauf beruht, dass dieses Einlagen an das Aufsichtsratsmitglied zurückgewährt hat.

Schadensersatzansprüche gegen den Aufsichtsrat – und ihre Verjährung

Für den Beginn der Verjährung ist insoweit nicht auf den Zeitpunkt der jeweiligen Zahlung bzw. deren Annahme durch den Aufsichtsrat abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Verjährung des Ersatzanspruchs der Gesellschaft gegen den Vorstand.

Ein Aufsichtsrat ist verpflichtet, eigenverantwortlich das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern aus ihrer organschaftlichen Tätigkeit zu prüfen und, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen, solche unter Beachtung des Gesetzesund Satzungsrechts und der von ihm vorgegebenen Maßstäbe zu verfolgen. Diese Verpflichtung ergibt sich einmal aus der Aufgabe des Aufsichtsrats, die Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG), wovon auch abgeschlossene Geschäftsvorgänge erfasst werden1, zum anderen daraus, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich vertritt2. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann er der Gesellschaft nach § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein.

Die Verjährung dieses Schadensersatzanspruchs richtet sich nach § 116 Abs. 1 Satz 1, § 93 Abs. 6 AktG und beginnt nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 200 Satz 1 BGB mit der Entstehung des Anspruchs. Das war hier der Zeitpunkt, in dem etwaige Ersatzansprüche der Aktiengesellschaft gegen den Vorstand wegen der streitgegenständlichen Zahlungen verjährt sind.

Ein Schadensersatzanspruch ist im Sinne von § 200 Satz 1 BGB entstanden, sobald der Berechtigte in der Lage ist, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, d.h. mit dem Eintritt des durch die Verletzungshandlung verursachten Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden schon bezifferbar sein muss; es genügt regelmäßig auch die Möglichkeit einer Feststellungsklage3. Ist noch offen, ob ein pflichtwidriges, mit einem Risiko behaftetes Verhalten zu einem Schaden führt, ist die Voraussetzung des Entstehens eines Anspruchs im Sinne des § 200 BGB dagegen nicht erfüllt4.

Liegt die haftungsbegründende Pflichtverletzung nicht in einem einmaligen, anlassbedingten, sondern wie hier in einem fortdauernden Unterlassen, ist für die Bestimmung des Verjährungsbeginns nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs danach zu differenzieren, ob das fortdauernde Unterlassen als einheitliche Dauerhandlung zu betrachten ist, oder es sich ähnlich wie bei der Wiederholung von schädigenden Handlungen in Fällen positiven Tuns um mehrere, sich wiederholende neue Eingriffe handelt. Bei einer einheitlichen Dauerhandlung kann die Verjährung nicht beginnen, solange der Eingriff noch andauert. Bei mehreren, sich wiederholenden einzelnen Eingriffen bzw. Unterlassungen beginnt die Verjährung dagegen für jeden infolge der Unterlassung eintretenden Schaden gesondert5.

Ob das Unterlassen des Aufsichtsratsmitglieds als einheitliche Dauerhandlung von der erstmaligen Nichtgeltendmachung der Ansprüche gegen den Vorstand bis zu deren Verjährung oder als wiederholte Unterlassungen mit jeweils einzeln verursachten Schäden anzusehen wäre, bedarf hier indes keiner Entscheidung. In beiden Fällen begann die Verjährung etwaiger Ansprüche der Aktiengesellschaft gegen den Aufsichtsratsmitglied auf Ersatz der an ihn geleisteten Zahlungen wegen Verletzung seiner Pflicht gemäß § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, diesbezüglich Ansprüche gegen den damaligen Vorstand geltend zu machen, erst mit der Verjährung der Ansprüche gegen den Vorstand.

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Bei Annahme einer einheitlichen Dauerhandlung des Aufsichtsratsmitglieds wäre diese erst mit dem Eintritt der Verjährung der Ersatzansprüche gegen den Vorstand beendet, so dass die Verjährung daraus resultierender Ersatzansprüche erst in diesem Zeitpunkt beginnen konnte.

Bei Annahme sich wiederholender Unterlassungen gilt das Gleiche, weil der mit der Klage geltend gemachte Schaden der Aktiengesellschaft dem Grunde nach erst mit dem Verstreichenlassen der letzten Möglichkeit zur verjährungshemmenden Geltendmachung im Sinne von § 200 Satz 1 BGB entstanden ist.

Insofern ist hinsichtlich der dem Aufsichtsratsmitglied vorgeworfenen Pflichtverletzung durch Nichtverfolgung von Ersatzansprüchen zwischen der „bloßen“ Nichtgeltendmachung bis zum Eintritt der Verjährung einerseits und dem endgültigen Verjährenlassen andererseits zu unterscheiden. Die fortdauernde Nichtgeltendmachung von Ersatzansprüchen mag für sich genommen bereits einen Zinsoder Verzögerungsschaden der Aktiengesellschaft verursacht haben. Sie hat aber noch nicht dazu geführt, dass die Ersatzansprüche der Aktiengesellschaft gegen den Vorstand als solche undurchsetzbar wurden und damit der mit der Klage geltend gemachte Schaden der Aktiengesellschaft durch den faktischen Wegfall ihrer Ersatzforderungen entstanden ist. Bis zum Eintritt der Verjährung bestand vielmehr immer noch die Möglichkeit, dass die Ansprüche rechtzeitig verjährungshemmend geltend gemacht würden. Dass ihre Durchsetzung bereits zuvor aus anderen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, etwa wegen zwischenzeitlicher Verschlechterung der finanziellen Situation des in Anspruch zu nehmenden Vorstands, unmöglich geworden wäre, ist weder dargetan noch festgestellt. Die Nichtverfolgung von Ersatzansprüchen gegen den Vorstand hat damit vor Eintritt der Verjährung dieser Ansprüche zwar zu einer risikobehafteten Situation geführt, die sich mit zunehmendem Zeitablauf verschärfte. Bis zum Eintritt der Verjährung war die gebotene Geltendmachung durch den Aufsichtsrat aber noch nachholbar und offen, ob sein risikobehaftete Verhalten (Unterlassen) letztlich zu dem mit der Klage geltend gemachten Schaden der Aktiengesellschaft führen würde6.

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verjährungsbeginn für die Haftung des GmbH-Geschäftsführers wegen Verjährenlassens von Rückforderungsansprüchen der Gesellschaft nach § 31 GmbHG7 gibt entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf8 keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Die dortigen Erwägungen sind auf die Haftung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft nach § 116 Satz 1, § 93 Abs. 2 AktG wegen Verjährenlassens von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr nicht übertragbar.

Unterlässt ein GmbH-Geschäftsführer die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen nach § 31 Abs. 1 GmbHG gegen den Zahlungsempfänger, wird keine weitere Schadensersatzverpflichtung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 GmbHG mit eigener Verjährungsfrist zusätzlich zu seiner bereits bestehenden Haftung nach § 43 Abs. 3 GmbHG wegen der verbotenen Auszahlung begründet. Der Schaden der GmbH liegt in diesem Fall bereits in dem Liquiditätsabfluss durch die Auszahlung. Durch die Nichtbeitreibung wird nicht erneut ein Schaden dem Grunde nach bzw. ein weiterer Schadensersatzanspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG ausgelöst, der einer eigenen Verjährung unterliegen könnte, sondern es verbleibt bei dem Anspruch aus § 43 Abs. 3 GmbHG mit Verjährung nach § 43 Abs. 4 GmbHG ab der verbotenen Auszahlung9.

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Diese Erwägungen sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Zwar mag der Schaden, der der Aktiengesellschaft durch das pflichtwidrige Verjährenlassen eines Schadensersatzanspruchs gegen den Vorstand wegen verbotener Einlagenrückgewähr durch den Aufsichtsrat gemäß §§ 116, 93 Abs. 2 Satz 1 AktG entsteht, ebenfalls letztlich dasselbe wirtschaftliche Interesse der Gesellschaft betreffen wie der Schaden, der ihr bereits durch die pflichtwidrige Einlagenrückgewähr durch den Vorstand entstanden ist. Das allein rechtfertigt es aber nicht, für den Beginn der Verjährung der Haftung des Aufsichtsrats ebenfalls bereits an den Zeitpunkt der jeweiligen Einlagenrückgewähr durch den Vorstand anzuknüpfen.

Einer solchen verjährungsrechtlichen Gleichbehandlung steht bei der Aktiengesellschaft die besondere Funktion des Aufsichtsrats als Überwachungsorgan entgegen. Nach § 111 Abs. 1 AktG hat der Aufsichtsrat in erster Linie die Geschäftsführung zu überwachen10 und in diesem Rahmen aufgrund seiner Eigenschaft als Vertreter gegenüber Vorstandsmitgliedern gemäß § 112 AktG ggf. auch Schadensersatzansprüche gegen diese zu verfolgen11. Dem widerspräche es, würde man die Haftung wegen Verletzung dieser besonderen Pflicht zur Anspruchsverfolgung allein wegen wirtschaftlicher Identität des verursachten Schadens generell bereits ab dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs gegen den Vorstand verjähren lassen. Da diese wirtschaftliche Identität in den meisten Fällen zumindest teilweise gegeben sein dürfte, würde die Pflicht zur Anspruchsverfolgung damit weitgehend leerlaufen. Maßgeblich ist insbesondere im Hinblick auf den besonderen Schutzzweck der Aufsichtspflicht daher vielmehr, wann die Verletzung der Pflicht zur Anspruchsverfolgung ihrerseits zu einem Schaden der Gesellschaft dem Grunde nach geführt hat. Besteht dieser Schaden in der Undurchsetzbarkeit eines Ersatzanspruchs gegen den Vorstand wegen Verjährung, ist maßgeblicher Zeitpunkt auch erst der Eintritt dieser Verjährung.

Dass das beklagte Aufsichtsratsmitglied im hier entschiedenen Fall nicht nur Aufsichtsrat, sondern zugleich der durch die verbotene Einlagenrückgewähr begünstigte Aktionär ist, gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf8 weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Aufsichtsrat bereits mit der Entgegennahme verbotener Einlagenrückzahlungen nicht nur gegen seine Pflichten als Aktionär (§§ 57, 62 Satz 1 AktG), sondern auch schon gegen seine Pflichten als Aufsichtsrat nach § 116 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG verstoßen hat, weil er keine Maßnahmen ergriffen hat, die verbotene Einlagenrückgewähr zu verhindern12.

Auch das rechtfertigt es aber nicht, deswegen wie im Fall eines GmbH-Geschäftsführers nur von einer einzigen (einheitlichen) Aufsichtsratspflichtverletzung des Aufsichtsratsmitglieds auszugehen, die auch in verjährungsrelevanter Hinsicht nur zu einem, bereits durch die pflichtwidrige Entgegennahme der Zahlungen entstandenen Schaden geführt hat.

Die Pflicht des Aufsichtsrats, vorbeugend Verstöße des Vorstands gegen § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG zu verhindern, ist von seiner Pflicht, nachträglich aus solchen Verstößen resultierende Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand zu verfolgen und durchzusetzen, zu unterscheiden. Diese Pflichten knüpfen nicht nur an verschiedene Lebenssachverhalte vorbeugende Überwachung bzw. Verhinderung der Vorstandspflichtverletzung einerseits und die anschließende Durchsetzung von Ersatzansprüchen in unverjährter Zeit andererseits an, sondern sind auch inhaltlich unterschiedlich ausgestaltet. So besteht etwa für die Pflicht zur Anspruchsverfolgung durch den Aufsichtsrat ein besonderes abgestuftes Prüfungskonzept, bei dem nicht nur zu prüfen ist, ob der Ersatzanspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht besteht, sondern auch, wie das Prozessrisiko und die Durchsetzbarkeit des Anspruchs zu bewerten sind und schließlich, ob ausnahmsweise wegen gewichtiger Interessen und Belange der Gesellschaft oder aber in besonderen Ausnahmefällen aus anderen Gründen von der Verfolgung des Anspruchs abgesehen werden soll13. Insofern handelt es sich bei der Pflicht zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen den Vorstand um eine gesonderte Pflicht mit eigenem Prüfungsumfang, die an die vorherige Pflicht zur Verhinderung von Vorstandspflichtverletzungen anschließt und somit auch zu einem selbständig verjährenden Schadensersatzanspruch führt14.

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Die gegenteilige Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf8 hätte zudem die nicht zu rechtfertigende Folge, dass ein Aufsichtsrat, dem außer dem Verjährenlassen der Ersatzforderung gegen den Vorstand noch eine weitere Aufsichtsratspflichtverletzung im Vorfeld bzw. im Zusammenhang mit der Vornahme der verbotenen Einlagenrückgewähr anzulasten ist, und der darüber hinaus noch selbst durch diese Einlagenrückgewähr begünstigt wird, verjährungsmäßig besser gestellt wäre, als ein Aufsichtsrat, dem „nur“ eine Pflichtverletzung durch Verjährenlassen der Ersatzforderung gegen den Vorstand vorzuwerfen ist.

Danach sind etwaige Ansprüche der Aktiengesellschaft gegen den Aufsichtsratsmitglied wegen Verjährenlassens von Schadensersatzansprüchen gegen ihren damaligen Vorstand aufgrund verbotener Einlagenrückgewähr oder unzulässiger Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen durch die teilweise Auszahlung des hinterlegten Kaufpreises für ihre Anteile an der S. Rückzahlung des Darlehens der E. 34 GmbH und UK nicht verjährt.

Etwaige Ansprüche gegen den Vorstand wegen unzulässiger Einlagenrückgewähr gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG oder verbotener Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen15 durch die teilweise Auszahlung des hinterlegten Kaufpreises am 17. und am 30.12 2002 verjährten gemäß § 24 EGAktG, § 93 Abs. 6 AktG in der bis zum 14.12 2010 geltenden Fassung (im Folgenden: aF), § 200 BGB am 17. bzw. 30.12 2008. Ein etwaiger Anspruch gegen den Vorstand wegen unzulässiger Einlagenrückgewähr gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG durch Rückzahlung des Darlehens der E. UK am 25.03.2003 verjährte danach am 25.03.2008.

Dass der damalige Vorstand die unerlaubten Auszahlungen verschwiegen und selbst später nicht zurückgefordert sowie die daraus resultierenden Ersatzansprüche nicht in unverjährter Zeit gegen sich selbst geltend gemacht hat, begründet keine neue, zusätzliche Schadensersatzverpflichtung des Vorstands, die ggfs. einer eigenen, später beginnenden Verjährung unterliegen würde. Insoweit sind die Grundsätze der BGH-Entscheidung vom 29.09.200816 übertragbar, weil der hier in Rede stehende Schaden der Aktiengesellschaft bereits mit Vornahme der verbotenen Auszahlungen entstanden ist, die Nichtrückforderung/beitreibung durch den Vorstand demgegenüber keinen erneuten Schaden verursacht hat und schließlich eine Verletzung derselben (Geschäftsführungs)Pflichten des Vorstands vorliegt.

Unzutreffend ist auch die weitere Begründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf8, ein Schadensersatzanspruch gegen den Aufsichtsratsmitglied scheide auch deshalb aus, weil er sich zur Vermeidung der ihm vorgeworfenen Pflichtverletzung habe selbst bezichtigen müssen, was von ihm nach allgemeinen Grundsätzen nicht verlangt werden könne. Im Rahmen seiner nachträglichen Überwachungstätigkeit ist der Aufsichtsrat grundsätzlich verpflichtet, Schadensersatzansprüche gegen ein Vorstandsmitglied zu verfolgen, ohne dass ihm dabei ein unternehmerisches Ermessen zusteht. Er ist vielmehr allein dem Unternehmenswohl verpflichtet, das grundsätzlich die Wiederherstellung des geschädigten Gesellschaftsvermögens verlangt, und darf daher ausnahmsweise nur dann von der Geltendmachung voraussichtlich begründeter Schadensersatzansprüche absehen, wenn gewichtige Interessen der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen. Andere Gesichtspunkte, wie etwa die Schonung eines verdienten Aufsichtsratsmitglieds oder das Ausmaß der mit der Beitreibung für das Mitglied und seine Familie verbundenen sozialen Konsequenzen, können nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen17.

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Ausgehend davon vermag das rein persönliche Interesse des Aufsichtsratsmitglieds, sich durch die Verfolgung der Ersatzansprüche gegen den Vorstand nicht mittelbar zugleich seiner eigenen damit zusammenhängenden Pflichtverletzungen durch Entgegennahme der streitgegenständlichen Zahlungen sowohl als Aktionär gemäß § 57 Abs. 1, § 62 Abs. 1 AktG als auch als Aufsichtsrat gemäß § 116 Satz 1, § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG bezichtigen und einem Schadensersatz bzw. Rückzahlungsanspruch aussetzen zu müssen, keine Ausnahme von seiner Pflicht zur Anspruchsverfolgung zu begründen.

Allerdings wird Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt, ob und wenn ja, in welchen Fällen das Verbot einer Pflicht zur Selbstbezichtigung einer Auskunfts- oder Handlungspflicht eines Gesellschaftsorgans entgegenstehen kann.

In der Literatur wird verbreitet im Zusammenhang mit der Frage, ob das Verschweigen eigener Pflichtverletzungen eine neue Pflichtverletzung des Vorstands im Sinne von § 93 AktG begründen kann, argumentiert, dass allgemein keine Pflicht des Vorstands, Verwaltungsoder Organmitglieds zur Selbstanzeige bzw. Selbstbezichtigung bestehe18. Auch die instanzgerichtliche Rechtsprechung hat sich z.B. gegen eine Pflicht des GmbHAlleingeschäftsführers und gesellschafters zur Verfolgung von Gesellschaftsansprüchen gegen sich selbst19 oder eine Pflicht des GmbH-Geschäftsführers, bei Abschluss eines Abfindungsvertrages strafrechtliche Verfehlungen zu offenbaren, die mit dem Vertragsschluss in keinem unmittelbaren Zusammenhang standen, ausgesprochen20.

Nach anderer Auffassung in der Literatur ist das aus dem Strafrecht bekannte Verbot der Selbstbezichtigung im Zivilrecht und im Aufsichtsrecht nicht anerkannt, weswegen auch für Vorstandsmitglieder eine Pflicht zur Aufdeckung eigener Fehler bestehe; ob das Strafrecht dann mit Verwertungsverboten reagiere, sei keine Frage des Zivilrechts21. Auch in der Rechtsprechung wurde dementsprechend etwa die prozessuale Vortragspflicht eines Geschäftsführers bei Inanspruchnahme wegen der Entgegennahme von Schmiergeldern bejaht22.

Die Frage, ob das Verbot einer Pflicht zur Selbstbezichtigung der Annahme einer gesellschaftsrechtlichen Auskunftsoder Handlungspflicht eines Gesellschaftsorgans entgegensteht, lässt sich nicht generell beantworten, sondern hängt von der jeweiligen Pflicht und den Umständen des Einzelfalls ab.

Das aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete Verbot der Selbstbezichtigung gilt nicht uneingeschränkt, sondern findet seine Grenze an den Rechten anderer. Art und Umfang dieses Verbots hängen daher auch davon ab, ob und inwieweit andere auf die Information der Auskunftsperson angewiesen sind und ob insbesondere die Auskunft Teil eines durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist23. Handelt es sich um Auskünfte zur Erfüllung eines berechtigten Informationsbedürfnisses, ist der Gesetzgeber befugt, die Belange der verschiedenen Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Er kann dabei berücksichtigen, dass es im Privatrechtsverkehr nicht allein um ein staatliches oder öffentliches Informationsbedürfnis, sondern zugleich um die Interessen eines Geschädigten geht24. Bei dieser Abwägung ist u.a. zu bedenken, ob die Zubilligung eines Auskunftsverweigerungsrechts u.U. zu Lasten geschädigter Dritter gerade denjenigen ungerechtfertigt bevorzugen würde, der zum Nachteil der Gläubiger besonders rechtswidrig oder gar verwerflich gehandelt hat25.

Danach hat jedenfalls im vorliegenden Fall das persönliche Interesse des Aufsichtsratsmitglieds, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, hinter seiner Pflicht, als Aufsichtsrat im Interesse der Gesellschaft Ansprüche gegen den Vorstand zu verfolgen, zurückzustehen.

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Der Aufsichtsrat steht in einem besonderen Pflichtenverhältnis zur Aktiengesellschaft. In dieser Funktion hat er insbesondere die Aufgabe übernommen, die gesamte Geschäftsführung des Vorstands zu überwachen und im Rahmen dieser nachträglichen Überwachungstätigkeit ggf. auch Ersatzansprüche gegen den Vorstand im Unternehmenswohl zu verfolgen. Die besondere Bedeutung dieser Aufgabe zeigt sich daran, dass die Gesellschaft nach § 112 AktG gerichtlich und außergerichtlich gegenüber Vorstandsmitgliedern deshalb durch den Aufsichtsrat vertreten wird, weil damit eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sichergestellt werden soll, die von sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und sachdienliche Gesellschaftsbelange wahrt26.

Diese besondere Überwachungs- und Schutzfunktion des Aufsichtsrats würde unterlaufen, würde man den Aufsichtsrat von ihrer Erfüllung bereits dann generell freistellen, wenn er dadurch eine eigene Pflichtverletzung oder ein ersatzverpflichtendes Verhalten offenbaren müsste. Nicht selten dürfte bei einem Pflichtenverstoß eines Vorstands auch eine diesbezügliche Pflichtverletzung des Aufsichtsrats durch unzureichende Überwachung des Vorstands in Betracht kommen27. Zudem bestünden nicht unerhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten für die Beteiligten dahingehend, ob im Einzelfall eine Anspruchsverfolgungspflicht des Aufsichtsrats gegeben ist oder nicht. Schließlich würde die Freistellung von einer Verfolgungspflicht gerade denjenigen ungerechtfertigt entlasten, der zuvor zum Nachteil der Gesellschaft seine Pflichten verletzt hat, wohingegen er durch diese Verfolgungspflicht gerade dazu angehalten würde, wieder für einen Ausgleich des der Gesellschaft dadurch verursachten Schadens zu sorgen.

Hinzu kommt, dass die in Rede stehende Pflichtverletzung bzw. Haftung des Vorstands und des Aufsichtsratsmitglieds mit § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG einen Verstoß gegen kapitalschützende Pflichten und damit nicht nur eine Verletzung der Interessen der Aktiengesellschaft, sondern insbesondere auch der Gesellschaftsgläubiger darstellte. Würde man dem Aufsichtsratsmitglied in dieser Konstellation eine Befreiung von seiner Pflicht zur Anspruchsverfolgung zubilligen, würde man gerade denjenigen unberechtigt bevorzugen, der zum Nachteil der Gläubiger besonders rechtswidrig, weil unter Verstoß gegen eine von ihm übernommenen besonderen Überwachungspflicht und zudem zu seinem eigenen Vorteil, gehandelt hat25.

Ob diese Pflicht zur Anspruchsverfolgung gegen den Vorstand dort ihre Grenzen findet, wo sie eine Offenbarung eigenen strafbaren Verhaltens bedeuten würde, erscheint im Hinblick auf die besondere Funktion des Aufsichtsrats fraglich, zumal seinen Interessen in einem solchen Fall ggf. auch durch ein strafrechtliches Verwertungsverbot hinreichend Rechnung getragen werden könnte28. Dies bedarf hier aber keiner Entscheidung, da kein strafrechtlich relevantes Verhalten des Aufsichtsratsmitglieds in Rede steht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. September 2018 – II ZR 152/17

  1. BGH, Urteil vom 25.03.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 252 f. ARAG/Garmenbeck[]
  3. vgl. etwa BGH, Urteil vom 23.03.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231 f.; Urteil vom 29.09.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 16; Urteil vom 08.11.2016 – VI ZR 200/15, NZG 2017, 753 Rn. 15 mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 23.03.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 228, 231 f. mwN[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 28.09.1973 – I ZR 136/71, NJW 1973, 2285; Urteil vom 14.02.1978 – X ZR 19/76, BGHZ 71, 86, 94; Urteil vom 11.01.2007 – III ZR 302/05, BGHZ 170, 260 Rn. 25 ff.; Urteil vom 04.06.2009 – III ZR 144/05, BGHZ 181, 199 Rn. 29 ff.; Urteil vom 17.02.2010 – VIII ZR 104/09, BGHZ 184, 253 Rn. 17[]
  6. vgl. Guntermann, NZG 2018, 851, 855[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 15 ff.[]
  8. OLG Düsseldorf, Urteil vom 07.04.2017 – I-17 U 29/16[][][][]
  9. BGH, Urteil vom 29.09.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 16 f.[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 25.03.1991 – II ZR 188/89, BGHZ 114, 127, 129[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 249 f. ARAG/Garmenbeck[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 16.03.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 14 f., 18 zur Verhinderung von Zahlungen nach § 93 Abs. 3 Nr. 6, § 92 Abs. 2 AktG[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 ff. ARAG/Garmenbeck[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 01.12 2005 – IX ZR 115/01, ZIP 2006, 194 Rn. 24 zur Verjährung der Pflicht des Konkursverwalters, Schadensersatzansprüche eines zuvor aussonderungsberechtigten Gläubigers nach § 82 KO zu erfüllen[]
  15. nach der auf der vorliegenden „Altfall“ vor Inkrafttreten des MoMiG 2008 anzuwendenden Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 26.03.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 389 ff.; Urteil vom 09.05.2005 – II ZR 66/03, ZIP 2005, 1316, 1317; Urteil vom 26.01.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 Rn. 14 ff. zu §§ 32a f. GmbHG aF, § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG nF[]
  16. BGH, Urteil vom 29.09.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 1518[]
  17. vgl. BGH, Urteil vom 21.04.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 255 ARAG/Garmenbeck[]
  18. vgl. Hölters/Hölters, AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 339; Mertens/Cahn in KKAktG, 3. Aufl., § 93 Rn.201; MünchKomm- AktG/Spindler, 4. Aufl., § 93 Rn. 293; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 303 f.; § 84 Rn. 82a; Fleischer, AG 2014, 457, 461; Grunewald, NZG 2013, 841, 845, 846 auch für den Aufsichtsrat[]
  19. vgl. OLG Köln, NZG 2000, 1137[]
  20. vgl. OLG Düsseldorf, WM 2000, 1393, 1397[]
  21. vgl. Hopt, ZGR 2004, 1, 26 f.; Schmolke, RIW 2008, 365, 371[]
  22. vgl. OLG Zweibrücken, OLGR 2009, 659, 662[]
  23. vgl. BVerfGE 56, 37, 42, 45 f., 49 zur Selbstbezichtigung des Gemeinschuldners; BGH, Urteil vom 30.04.1964 – VII ZR 156/62, BGHZ 41, 318, 323 ff.[]
  24. vgl. BVerfGE 56, 37, 49 f.[]
  25. vgl. BVerfGE 56, 37, 50[][]
  26. vgl. BGH, Urteil vom 08.02.1988 – II ZR 159/87, BGHZ 103, 213, 216; Urteil vom 26.06.1995 – II ZR 122/94, BGHZ 130, 108, 111[]
  27. vgl. MünchKomm-AktG/Habersack, 4. Aufl., § 111 Rn. 34[]
  28. vgl. BVerfGE 56, 37, 50 f.[]
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