Wem sind erworbene Geschäftsanteile zuzurechnen, wenn die Treuhandvereinbarung formunwirksam ist? Mit dieser Frage hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Steuerhinterziehung zu befassen:

Verdeckte Gewinnausschüttungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG sind bei einer Kapitalgesellschaft eingetretene Vermögensminderungen oder verhinderte Vermögensmehrungen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst sind, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirken und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung stehen; sie haben hier auch beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ausgelöst1.
Es bedarf dabei für den Bundesgerichtshof keiner abschließenden Entscheidung, ob die nach den Feststellungen getroffene Treuhandabrede zwischen den Angeklagten tatsächlich – wie das Landgericht annimmt – auch mündlich wirksam geschlossen werden konnte oder ob nicht vielmehr auch eine auf den Erwerb von Anteilen an einer bis dahin funktionslosen, aber jedenfalls existierenden GmbH gerichtete Treuhandvereinbarung zu ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit zu beurkunden gewesen wäre (§ 15 Abs. 4 GmbHG)2, sodass die mündliche Abrede (zivilrechtlich) formunwirksam war. Die Feststellungen belegen jedenfalls, wie der Generalbundesanwalt in seinen durch die Gegenerklärungen der Revisionsführer nicht entkräfteten Antragsschriften zutreffend dargelegt hat, dass die Beteiligten unbeschadet einer etwaigen Formunwirksamkeit der Treuhandabrede deren wirtschaftliches Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen ließen, sodass deren zivilrechtliche Unwirksamkeit unbeachtlich wäre (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AO).
Nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO werden Wirtschaftsgüter nicht dem Eigentümer, sondern im Falle von Treuhandverhältnissen dem Treugeber zugerechnet. Vorausgesetzt wird dabei die Wirksamkeit der Treuhandvereinbarung. Ein zivilrechtlich unwirksames Treuhandverhältnis soll nicht zur Zurechnung von Geschäftsanteilen unmittelbar aus dieser Vorschrift führen3.
Daneben kommt aber eine von § 39 Abs. 1 AO abweichende Zurechnung von Wirtschaftsgütern auch nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO in Betracht4.
Diese Norm ist – ebenso wie § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO – Ausdruck der das Steuerrecht beherrschenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise5. Sie bringt zum Ausdruck, dass es für Zwecke der Besteuerung soweit und solange auf den tatsächlich verwirklichten Sachverhalt und nicht auf die zivilrechtliche Wirksamkeit der zugrunde liegenden Vereinbarung ankommt, wie die Beteiligten aus der anfänglichen oder späteren Unwirksamkeit keine Folgerungen ziehen. Sind schuldrechtliche Vereinbarungen Grundlage für die Annahme, dass auf einen Erwerber das wirtschaftliche Eigentum an einem Gegenstand übergegangen ist, dann sind diese Vereinbarungen ungeachtet ihrer zivilrechtlichen Unwirksamkeit solange steuerlich als wirksam anzusehen, wie die Beteiligten sie gleichwohl vollziehen oder im Falle der nachträglichen Unwirksamkeit ihre Vollziehung nicht rückgängig machen. Sie bilden bis dahin die Grundlage für die Annahme wirtschaftlichen Eigentums i.S.v. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO6.
Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, diese Grundsätze nicht in gleicher Weise im Fall formunwirksamer Treuhandvereinbarungen anzuwenden7. Solche formunwirksamen Vereinbarungen können unter den Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO für die Besteuerung maßgebend sein8. Da es für die Besteuerung nicht auf die äußere Rechtsform, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse ankommt, sind auch bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Eigentums nicht das formal Erklärte oder formalrechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend9. Der in § 41 Abs. 1 Satz 1 AO angeordneten Maßgeblichkeit des tatsächlichen Vollzugs eines formunwirksamen Vertrags ist deshalb auch bei der Konkretisierung des § 39 AO Rechnung zu tragen10.
Maßgeblich ist stets der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt11. Deshalb kommt es selbst bei ausdrücklich als „Treuhandvertrag“ bezeichneten und zudem formwirksam geschlossenen Treuhandvereinbarungen für die von § 39 Abs. 1 AO abweichende Zuordnung maßgeblich auf den tatsächlichen Vollzug der getroffenen Vereinbarung an12. Wurde ein formwirksamer Treuhandvertrag geschlossen, kann es für eine materiellrechtlich zutreffende Besteuerung nicht darauf ankommen, ob dieser den Finanzbehörden vorliegt oder nicht (weil etwa der dem Steuerpflichtigen nun ungünstig erscheinende Vertrag nicht vorgelegt wird oder er nicht aufgefunden werden konnte). Wurde – umgekehrt – ein formunwirksamer Treuhandvertrag geschlossen und dabei die Formunwirksamkeit bewusst in Kauf genommen, wäre der Erwerb der Geschäftsanteile durch den Treuhänder letztlich nichts anderes als ein nach § 41 Abs. 2 AO unbeachtliches Scheingeschäft, durch das die Gesellschafterstellung des Treugebers lediglich verdeckt werden sollte13.
Ein (verdecktes) Treuhandverhältnis kann allerdings grundsätzlich nur dann zu einer von § 39 Abs. 1 AO abweichenden Zurechnung führen, wenn es eindeutig vereinbart und nachweisbar ist14. Zu fordern ist eine konsequente Durchführung der Treuhandabrede15. Es muss zweifelsfrei erkennbar sein, dass der Treuhänder in dieser Eigenschaft – und nicht für eigene Rechnung – tätig geworden ist16, der Treugeber muss das Treuhandverhältnis beherrschen17. Die mit der formellen Eigentümerstellung verbundene Verfügungsmacht im Innenverhältnis muss in tatsächlicher Hinsicht so eingeschränkt sein, dass das rechtliche Eigentum eine „leere Hülle“ bleibt18.
Damit steht die Formunwirksamkeit einer Treuhandabrede nach § 41 Abs. 1 Satz 1 AO einer Zurechnung i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO jedenfalls dann nicht entgegen, wenn nach dem Inhalt der formunwirksamen Abreden der Treugeber einerseits alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögensrechte und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann und andererseits die Vertragsparteien die in dem formunwirksamen Vertrag getroffenen Vereinbarungen nachweislich in vollem Umfang tatsächlich durchgeführt haben19.
Der Einwand, ein unwirksames Treuhandverhältnis könne steuerrechtlich nur beachtlich sein, wenn der Formmangel später geheilt worden sei, kann jedenfalls hier nicht verfangen. Zum einen stellt auch nach der von der Verteidigung zum Beleg hierfür angeführten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs der tatsächliche spätere Vollzug eines formunwirksamen Vertrages lediglich ein – wenn auch gewichtiges – Indiz dar, dass sich die Vertragspartner bis dahin bereits gebunden fühlten (also die Berufung auf die Unwirksamkeit des Vertrages höchst unwahrscheinlich ist10). Zum anderen betrifft diese Entscheidung20 Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger ein ihm günstiges Treuhandverhältnis geltend macht.
Hier aber geht es um die Frage, ob der Steuerpflichtige ein verdecktes Rechtsgeschäft als tatsächlich gewolltes und vollzogenes gegen sich gelten lassen muss. In solchen Fällen lässt sich aufgrund des Eingreifens der Ermittlungsbehörden aber regelmäßig nicht feststellen, ob die Treuhandvereinbarung noch notariell beurkundet oder aber die Geschäftsanteile (in Vollziehung der Vereinbarung) auf den Treugeber übertragen worden wären. Das Tätigwerden der Finanz- oder Ermittlungsbehörden kann aber für die Frage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern ebenso wenig maßgeblich sein, wie eine vom Steuerpflichtigen nach der Einleitung von Ermittlungen vorgenommene oder bewusst nicht vorgenommene Heilung der Formunwirksamkeit einer bis dahin gemessen an § 41 Abs. 1 Satz 1 AO tatsächlich vollzogenen, nun aber dem Steuerpflichtigen ungünstigen Treuhandvereinbarung.
BGH, Beschluss vom 6. September 2012 – 1 StR 140/12
- zum Begriff der verdeckten Gewinnausschüttung vgl. BGH, Beschluss vom 17.04.2008 – 5 StR 547/07, wistra 2008, 310; Urteil vom 24.05.2007 – 5 StR 72/07, DStRE 2008, 169, 170 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH; Rengers in Blümich, KStG, 114. Aufl., § 8 Rn. 230 ff.[↩]
- vgl. Reichert/Weller in MünchKomm-BGB, GmbHG, § 15 Rn. 214 m.w.N. aus der Rspr.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 09.06.2004 – 5 StR 579/03, m.w.N. auch aus der Rechtsprechung des BFH; vgl. auch Hess. FG, Beschluss vom 03.04.1985 – 7 K 4/83, EFG 1985, 557[↩]
- so schon BGH, Beschluss vom 11.10.2005 – 5 StR 65/05, NJW 2005, 3584; BGH, Urteil vom 11.11.2004 – 1 StR 299/03, BGHSt 49, 317[↩]
- BFH, Urteil vom 04.12.2007 – VIII R 14/05, DStRE 2008, 1028[↩]
- BFH, Urteil vom 17.02.2004 – VIII R 28/02, BFHE 205, 426 m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 04.12.2007 – VIII R 14/05, DStRE 2008, 1028[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 06.10.2009 – IX R 14/08, BFHE 228, 10; Drüen in Tipke/Kruse, AO, 129. Lfg., § 39 Rn. 34 m.w.N.; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 39 Rn. 188; Sommer/Menzel, GmbHR 2003, 917, 922, 923; Heidner, DStR 1989, 305, 306[↩]
- BFH, Urteil vom 22.07.2008 – IX R 61/05, BFH/NV 2008, 2004 m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 17.02.2004 – VIII R 26/01, DStRE 2004, 744[↩][↩]
- Ratschow in Klein, AO, 11. Aufl., § 39 Rn. 64; vgl. auch BFH, Urteil vom 22.07.2008 – IX R 61/05, BFH/NV 2008, 2004[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 28.02.2001 – I R 12/00, BFHE 194, 320; BFH, Urteil vom 15.07.1997 – VIII R 56/93, DStRE 1997, 759; BFH, Urteil vom 12.09.1991 – III R 233/90, BFHE 166, 49[↩]
- vgl. hierzu schon BGH, Urteil vom 17.04.2008 – 5 StR 547/07, wistra 2008, 310; zur „Strohmanngründung“ auch BFH, Urteil vom 12.07.1991 – III R 47/88, BFHE 165, 498[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 28.02.2001 – I R 12/00, BFHE 194, 320 m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 14.04.2011 – VII B 130/10 m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 28.02.2001 – I R 12/00, BFHE 194, 320[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 24.11.2009 – I R 12/09, BFHE 228, 195 m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.01.1999 – I R 69/97; Drüen in Tipke/Kruse, AO, 129. Lfg., § 39 Rn. 33[↩]
- BFH, Urteil vom 06.10.2009 – IX R 14/08, BFHE 228, 10 für einen möglicherweise nach GmbHG formbedürftigen Treuhandvertrag[↩]
- ebenso BFH, Urteil vom 12.10.2004 – X R 4/93[↩]