Hat der Schuldner einen ungekündigten Kontokorrentkredit nicht ausgeschöpft, führen in kritischer Zeit eingehende, dem Konto gutgeschriebene Zahlungen, denen keine Abbuchungen gegenüberstehen, nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofs infolge der damit verbundenen Kredittilgung zu einer inkongruenten Deckung zugunsten des Kreditinstituts.

In kritischer Zeit vorgenommene Verrechnungen eines Kreditinstituts von Ansprüchen seines Kunden aus Gutschriften aufgrund von Überweisungen mit Forderungen, die dem Institut gegen den Kunden aus der in Anspruch ge-nommenen Kreditlinie eines Kontokorrentkredits zustehen, können nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar und deshalb nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sein. Welche Norm eingreift, hängt davon ab, ob – etwa wegen Kündigung des Kreditvertrages – ein Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Kredits fällig ist oder nicht1. Ein Anspruch der Bank, Gutschriften mit dem Saldo eines Kreditkontos zu verrechnen und dadurch ihre eigene Forderung zu befriedigen, besteht nur dann, wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt der Verrechnung Rückzahlung des Kredits verlangen kann.
Der Kreditgeber kann die Rückzahlung eines ausgereichten Kredits erst nach dessen Fälligkeit fordern. Allein die Giro- oder Kontokorrentabrede stellte den der Schuldnerin gewährten Kredit nicht zur Rückzahlung fällig2. Vielmehr wird die Fälligkeit nur durch das Ende einer vereinbarten Laufzeit, eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung begründet3. Hat der Schuldner – wie im Streitfall – den ungekündigten Kontokorrentkredit nicht vollständig ausgeschöpft, führen in der kritischen Zeit eingehende Zahlungen, die dem Konto gutgeschrieben werden, zu einer inkongruenten Deckung4.
Die Kongruenz der Kredittilgung kann auch nicht aus einer Verrechnungsbefugnis der Kreditinstituts hergeleitet werden. Dass dieses die Kreditlinie offengehalten hat, macht die Verrechnung nicht kongruent, soweit die Kreditlinie tatsächlich nicht mehr in Anspruch genommen wurde.
Das Kreditinstitut ist im Rahmen des Girovertrages einerseits berechtigt und verpflichtet, für den Kunden bestimmte Geldeingänge entgegenzunehmen und seinem Konto gutzuschreiben. Andererseits hat das Kreditinstitut Überweisungsaufträge des Kunden zu Lasten seines Girokontos auszuführen, sofern dieses eine ausreichende Deckung aufweist oder eine Kreditlinie nicht ausgeschöpft ist. Setzt das Kreditinstitut unter Beachtung dieser Absprachen den Giroverkehr fort, handelt es vertragsgemäß und damit kongruent5.
Vorliegend geht es indessen nicht um die vertragskonforme Abwicklung des Giroverkehrs durch die Verrechnung von Zahlungseingängen mit Zahlungsausgängen. Den Zahlungseingängen zugunsten der Schuldnerin standen unstreitig keine Kontobelastungen infolge an Dritte bewirkter Überweisungen gegenüber. Vielmehr hat die Beklagte sämtliche Zahlungseingänge mit eigenen gegen die Schuldnerin bestehenden Forderungen verrechnet. Demnach betrifft die Anfechtung in vollem Umfang die auf dem Konto der Schuldnerin eingegangenen Zahlungen, welche die Beklagte eigennützig zur Begleichung ihrer Kreditforderung verwendet hat. Anfechtbar sind stets Verrechnungen, mit denen eigene Forderungen der Gläubigerbank getilgt werden6. Selbst wenn – anders als im Streitfall – neben den Zahlungseingängen von dem Schuldner veranlasste Überweisungen in eine Kontoverbindung einzustellen sind, liegt insoweit eine durch die Verrechnung bewirkte anfechtbare Kredittilgung vor, als die Summe der Eingänge die der Ausgänge übersteigt7. Die Saldierungsvereinbarung deckt also nicht die endgültige Rückführung des eingeräumten Kredits, sondern lediglich das Offenhalten der Kreditlinie für weitere Verfügungen des Kunden8. Da die Schuldnerin die ihr von der Beklagten weiter eingeräumte Kreditlinie tatsächlich nicht genutzt und keine Überweisungsaufträge erteilt hat, durfte die Bank eingegangene Mittel nicht zu einer Kredittilgung verwenden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. Mai 2009 – IX ZR 140/08
- BGHZ 171, 38, 41 f Rn. 10[↩]
- BGHZ 150, 122, 127; BGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182, 2183[↩]
- Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 7. Aufl. Rn. 6.242[↩]
- BGHZ 150, 122, 125 ff; BGH, Urt. v. 17. Juni 1999 – IX ZR 62/98, ZIP 1999, 1271, 1272; Urt. v. 11. Oktober 2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237 Rn. 4[↩]
- BGHZ 150, 122, 129; BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 – IX ZR 2/01, WM 2004, 1575 f[↩]
- BGHZ 150, 122, 127; BGH, Urteil vom 11. Oktober 2007, aaO S. 237, 238 Rn. 6[↩]
- BGH, Urteil vom 15. November 2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235, 236 f Rn. 15[↩]
- BGHZ 150, 122, 129[↩]