Das Oberlandesgericht Stuttgart hat aktuell zwei Klagen von BMW-Vertragshändlern gegen den DEKRA e.V. und sein Tochterunternehmen, die DEKRA Automobil GmbH, eine Sachverständigenorganistation, zu deren Dienstleistungen u. a. Fahrzeugbewertungen gehören, abgewiesen. Die Kläger machten gegenüber den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen der Erstellung von – behauptet – fehlerhaften Gutachten im Zusammenhang mit dem Rückkauf gebrauchter Leasingfahrzeuge der BMW-Gruppe geltend. Sie hätten dadurch überhöhte Kaufpreiszahlungen an die BMW Leasing GmbH geleistet und so Schäden von mehreren hunderttausend Euro erlitten.

Die Kläger haben mit der BMW Leasing GmbH eine Vereinbarung, die u. a. eine Verpflichtung der Vertragshändler enthält, nach der Beendigung der vermittelten Leasingverträge die zurückgegebenen Fahrzeuge, die sog. Leasingrückläufer, von der BMW Leasing GmbH zurückzukaufen. Bei der Berechnung des Kaufpreises wird maßgeblich auf den Händlereinkaufspreis abgestellt, der nach der genannten Vereinbarung von der DEKRA aufgrund des Baujahres und der tatsächlich gefahrenen Kilometer, aber ohne Berücksichtigung des jeweiligen Fahrzeugzustandes im Auftrag der BMW Leasing GmbH ermittelt wird. Grundlage der Mitwirkung der DEKRA bei der Ermittlung des Händlereinkaufspreises ist ein EDV-Verbund-Vertrag mit der BMW Leasing GmbH zur Einrichtung einer Datenfernleitung zwischen der BMW Leasing GmbH und dem Hausrechner der DEKRA, über die die BMW Leasing GmbH selbst sog. „BMW-Leasing-Kurzbewertungen“ zum Zwecke der Abrechnung von Leasingverträgen erstellen können sollte. Vor diesem Hintergrund wurden die streitgegenständlichen sog. „Bewertungsgutachten/Rechendaten“ erstellt, auf deren Grundlage die BMW Leasing GmbH ihr Andienungsrecht ausübte und mit den BMW-Vertragshändlern entsprechende Kaufverträge über die jeweiligen Fahrzeuge schloss.
Der Streit der Parteien drehte sich im Wesentlichen um die Frage, ob der EDV-Verbund-Vertrag die Erstellung von Gutachten seitens der DEKRA für die BMW Leasing GmbH beinhaltet, und ob dieser Vertrag Schutzwirkung auch zugunsten der Vertragshändler entfaltet. Der Senat erkannte in dem Rechtsstreit den Charakter eines „Musterprozesses“ auch für zahlreiche weitere BMW-Vertragshändler.
Das erstinstanzlich mit dem Rechtsstreit befasste Landgericht Stuttgart hatte den Klagen zunächst dem Grunde nach stattgegeben. Hiergegen richteten sich die nun erfolgreichen Berufungen der Beklagten.
Das Oberlandesgericht Stuttgart sah eine Haftung der DEKRA wegen der Erstellung vermeintlich unrichtiger Bewertungsgutachten weder nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter noch aus einer Haftung nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung als gegeben an.
Für eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter fehlte es nach Ansicht des Senats an einer Schutzbedürftigkeit der Kläger, da sie eigene gleichwertige vertragliche Ansprüche gegenüber der BMW Leasing GmbH hätten, welche auf die Anpassung der jeweiligen Kaufverträge in Bezug auf die Höhe der einzelnen Kaufpreise gerichtet seien. Bei den von den Beklagten erstellten Gutachten handle es sich unter Zugrundelegung des Sachvortrags der Kläger um sog. Schiedsgutachten, bei denen der Schiedsgutachter Tatsachen oder Tatbestandsmerkmale verbindlich feststellen solle, die für die Leistungspflicht relevant sind. Sollten diese – wie von den Klägern behauptet – an „offenbarer Unrichtigkeit“ leiden, so folge daraus die Unverbindlichkeit der getroffenen Bestimmung mit der weiteren Folge, dass die Bestimmung des richtigen Preises dann gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB durch ein Urteil erfolge. Bei diesem Anspruch der BMW-Vertragshändler gegenüber der BMW Leasing GmbH, der im Ergebnis eine Anpassung der Kaufverträge im Hinblick auf den – behaupteten – „richtigen“ Kaufpreis zur Folge haben würde, handle es sich nach Auffassung des Senats um einen gleichwertigen vertraglichen Anspruch, welcher die Schutzbedürftigkeit der Kläger im Sinne der Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter entfallen lässt.
Eine Inanspruchnahme der Beklagten konnte – entgegen der Auffassung der Kläger – auch nicht auf eine deliktische Haftung gemäß § 826 BGB gestützt werden. Zwar kann ein Sachverständiger, der ein fehlerhaftes Gutachten erstellt hat, gegenüber dem Auftraggeber oder gegenüber einem in den Schutzbereich einbezogenen Dritten nach § 826 BGB haften, wenn er bei der Erstellung des Gutachtens leichtfertig und gewissenlos und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Allerdings vermochte sich der Senat aufgrund der Aktenlage und der vom Landgericht getätigten Beweisaufnahme jedoch nicht mit der notwendigen Gewissheit davon zu überzeugen, dass den Beklagten eine (bedingt) vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Kläger zur Last zu legen ist.
Oberlandesgericht Stuttgart, Urteile vom 20. Dezember 2011 – 6 U 107/11 und 6 U 108/11
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