Das Ausscheiden des GmbH-Geschäftsführers – als auflösende Bedingung eines Handelsvertretervertrages

§ 89b Abs. 3 HGB ist im Lichte von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter1 so auszulegen, dass diese Vorschrift, insbesondere § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, nicht analogiefähig ist, soweit eine analoge Anwendung sich in Gegensatz zu dem bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG maßgebenden Analogieverbot setzen würde2.

In einem solchen Fall ist vielmehr eine richtlinienkonforme Auslegung von § 89b Abs. 3 HGB, insbesondere von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, im Lichte von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter1 geboten. Sie führt dazu, dass auch für § 89b Abs. 3 HGB das bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG maßgebende Analogieverbot gelten muss.

Für die hier gegebene Konstellation, dass der Handelsvertretervertrag eine auflösende Bedingung für den Fall des Ausscheidens eines Geschäftsführers oder Gesellschafters aus der als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierten Handelsvertreterin enthält und dass das Vertragsverhältnis durch einen vom Handelsvertreter herbeigeführten Eintritt dieser auflösenden Bedingung beendet wird, sieht Art. 18 Buchst. b)) der Richtlinie 86/653/EWG entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung keinen Ausschlusstatbestand vor. Dementsprechend scheidet auch eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Nachteil der Handelsvertreter-GmbH aus.

Gemäß Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG besteht der Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz nach Art. 17 der Richtlinie in den drei dort tatbestandlich näher beschriebenen Fällen nicht. Danach besteht kein Anspruch, wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt (Buchst. a), wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des Handelsvertreters, derentwegen ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann, gerechtfertigt (Buchst. b), oder wenn der Handelsvertreter gemäß einer Vereinbarung mit dem Unternehmer die Rechte und Pflichten, die er nach dem Vertrag besitzt, an einen Dritten abtritt (Buchst. c).

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Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 19.04.20183 zur Auslegung von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG ausgeführt, dass diese Richtlinienbestimmung als Ausnahme von dem Anspruch auf Ausgleich und auf Schadensersatz eng auszulegen ist und dass sie nicht in einer Weise ausgelegt werden kann, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleichs- oder des Schadensersatzanspruchs hinzukommt. Damit hat der Gerichtshof der Europäischen Union die Regelung in Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG für nicht analogiefähig erachtet4.

Für die hier gegebene Konstellation, dass der Handelsvertretervertrag die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung für den Fall des Ausscheidens eines Geschäftsführers oder Gesellschafters aus der als Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierten Handelsvertreterin enthält und dass das Vertragsverhältnis durch Eintritt dieser auflösenden Bedingung beendet wird, sieht Art. 18 Buchst. b)) der Richtlinie 86/653/EWG keinen Ausschlusstatbestand vor. Diese Richtlinienbestimmung setzt voraus, dass der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat. Dies ist bei einer Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Kündigung seitens des Handelsvertreters der Fall. Im Hinblick darauf, dass Art. 18 Buchst. b)) der Richtlinie 86/653/EWG als Ausnahme von dem Anspruch auf Ausgleich und auf Schadensersatz eng auszulegen ist und dass diese Richtlinienbestimmung nicht in einer Weise ausgelegt werden kann, die darauf hinausliefe, dass ein dort nicht ausdrücklich vorgesehener Grund für den Ausschluss des Ausgleichs- oder des Schadensersatzanspruchs hinzukommt, kann die Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Eintritt einer zwischen den Vertragsparteien vereinbarten auflösenden Bedingung hingegen nicht als Beendigung des Vertragsverhältnisses seitens des Handelsvertreters im Sinne von Art. 18 Buchst. b)) der Richtlinie 86/653/EWG eingestuft werden. Dies gilt auch dann, wenn der Eintritt der auflösenden Bedingung von dem Handelsvertreter beziehungsweise dessen Organen herbeigeführt wird. Denn in derartigen Fällen wird das Vertragsverhältnis nicht unmittelbar durch rechtsgeschäftliches Handeln des Handelsvertreters, sondern ipso jure durch den Eintritt der vereinbarten auflösenden Bedingung beendet.

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Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Auslegung von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG ist nicht veranlasst, auch wenn ein solches Ersuchen unbeschadet der Nichteröffnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 86/653/EWG grundsätzlich möglich wäre. Es stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung dieser Richtlinienbestimmung, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist5.

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall ist eine richtlinienkonforme Auslegung von § 89b Abs. 3 HGB, insbesondere von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB, im Lichte von Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union6 geboten. Sie führt dazu, dass auch für § 89b Abs. 3 HGB das bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG geltende Analogieverbot gelten muss mit dem Ergebnis, dass im Streitfall eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Nachteil der Handelsvertreter-GmbH ausscheidet.

Die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung ergibt sich allerdings im Streitfall nicht aus dem Unionsrecht selbst. Denn der Anwendungsbereich der Richtlinie 86/653/EWG beschränkt sich auf Warenvertreterverhältnisse (vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG). Die Richtlinie ist auf Versicherungsvertreterverhältnisse nicht anwendbar7.

Im innerstaatlichen Recht kann indes eine für bestimmte Sachverhalte gebotene richtlinienkonforme Auslegung auf eine nicht von der Richtlinie erfasste Konstellation zu erstrecken sein, wenn der nationale Gesetzgeber die beiden Fallgestaltungen parallel regeln wollte8.

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So liegt der Fall hier bezüglich der Regelung in § 89b Abs. 3 HGB, die kraft der Verweisung in § 89b Abs. 5 HGB auch für Versicherungsvertreter gilt. Die Neufassung der §§ 84 ff. HGB durch das Gesetz vom 23.10.1989 zur Durchführung der EG-Richtlinie zur Koordinierung des Rechts der Handelsvertreter9, mit dem die genannte Richtlinie 86/653/EWG ins deutsche Recht umgesetzt wurde, gilt grundsätzlich für alle Arten von Handelsvertretern10. Der vorstehenden Beurteilung steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 23.11.201111 sowie in dem Beschluss vom 21.02.201312 zu § 89b HGB a.F. ausgeführt hat, ein Wille des Gesetzgebers, Ausgleichsansprüche von Handelsvertretern und solche von Versicherungsvertretern gleich zu behandeln, existiere nicht. Diese Ausführungen des Bundesgerichtshofs betreffen nur die unterschiedliche dogmatische Konzeption des Ausgleichsanspruchs von Versicherungsvertretern gemäß § 89b Abs. 5 HGB im Vergleich zum Ausgleichsanspruch anderer Handelsvertreter gemäß § 89b Abs. 1 HGB, nicht hingegen die Regelung der Ausschlusstatbestände in § 89b Abs. 3 HGB.

Entsprechend der vorstehend vorgenommenen Auslegung von Art. 18 Buchst. b)) der Richtlinie 86/653/EWG scheidet eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB zum Nachteil der Handelsvertreter-GmbH aus.

Soweit der Bundesgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Ausschlusstatbestände des § 89b Abs. 3 HGB für – begrenzt – analogiefähig erachtet hat13, hält der Bundesgerichtshof, der nunmehr für die Rechtsstreitigkeiten über die Vertragsverhältnisse der Handelsvertreter zuständig ist, daran im Hinblick auf Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG und auf das zu dieser Bestimmung ergangene Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.04.201814 nicht fest, soweit eine analoge Anwendung von § 89b Abs. 3 HGB sich in Gegensatz zu dem bei Art. 18 der Richtlinie 86/653/EWG maßgebenden Analogieverbot setzen würde.

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Für eine analoge Anwendung der Ausschlusstatbestände des § 89b Abs. 3 HGB besteht auch kein Bedürfnis, weil besondere Umstände des Einzelfalls, die nicht die Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss des Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs. 3 HGB erfüllen, im Rahmen der allgemeinen Billigkeitsprüfung nach § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB zu berücksichtigen sind und dort aufgrund einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Ergebnis ebenfalls dazu führen können, dass der Ausgleichsanspruch zu versagen ist15.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. November 2020 – VII ZR 188/19

  1. ABl. EG Nr. L 382 vom 31.12.1986 S. 17[][]
  2. Aufgabe von BGH, Urteil vom 28.02.2007 – VIII ZR 30/06, BGHZ 171, 192; Urteil vom 28.04.1999 – VIII ZR 354/97, BGHZ 141, 248; Urteil vom 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 848[]
  3. EuGH, Urteil vom 19.04.2018 – C-645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205 31 m.w.N. – CMR[]
  4. vgl. Muhl, GWR 2018, 307[]
  5. vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.1982 – 283/81, Slg. 1982, 3415 21 – Cilfit u.a.; BGH, Urteil vom 30.04.2020 – I ZR 115/16 Rn. 83 m.w.N., MDR 2020, 1136 – Metall auf Metall IV[]
  6. EuGH, Urteil vom 19.04.2018 – C?645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205 31 – CMR[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2011 – VIII ZR 203/10 Rn. 25, IHR 2012, 63; Urteil vom 25.10.2012 – VII ZR 56/11 Rn. 38, BGHZ 195, 207[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2011 – VIII ZR 203/10 Rn. 26 m.w.N., ZVertriebsR 2012, 110 = IHR 2012, 63; Urteil vom 25.10.2012 – VII ZR 56/11 Rn. 38, BGHZ 195, 207; vgl. ferner EuGH, Urteil vom 17.05.2017 – C-48/16, ZVertriebsR 2017, 235 = IHR 2017, 258 29 – ERGO Poist’ov?a[]
  9. BGBl.1989 – I S.1910, 1911[]
  10. vgl. BT-Drs. 11/3077 S. 6[]
  11. BGH, Urteil vom 23.11.2011 – VIII ZR 203/10 Rn. 26 ff., IHR 2012, 63[]
  12. BGH, Beschluss vom 21.02.2013 – VII ZA 14/12 Rn. 2[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 28.02.2007- VIII ZR 30/06 Rn. 15 m.w.N., BGHZ 171, 192; Urteil vom 28.04.1999 – VIII ZR 354/97, BGHZ 141, 248 11 i.V.m. Rn. 10, zu § 89b Abs. 3 Satz 1 HGB in der bis zum 31.12.1989 geltenden Fassung, der Vorläufervorschrift von § 89b Abs. 3 Nr. 1 HGB; Urteil vom 13.12.1995 – VIII ZR 61/95, NJW 1996, 848 6[]
  14. EuGH, Urteil vom 19.04.2018 – C?645/16, ZVertriebsR 2018, 169 = IHR 2018, 205, Rn. 31 – CMR[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 28.02.2007 – VIII ZR 30/06 Rn. 15 m.w.N., BGHZ 171, 192; Urteil vom 13.03.1969 – VII ZR 48/67, BGHZ 52, 12 13 m.w.N.[]
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