Ein Reisevermittler hat keinen Anspruch auf Handelsvertreterprovision, wenn der Reiseveranstalter die Reise absagt, weil die dem Kunden mitgeteilte Mindestteilnehmerzahl nicht erreicht worden ist.

Soweit sich der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisevermittler durch eine (stillschweigende) Freizeichnungsvereinbarung vom Risiko des Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl befreit hat, handelt es sich um eine dem Handelsvertreter nachteilige Vereinbarung. Gemäß § 87a Abs. 5 HGB kann der Provisionsanspruch des Handelsvertreters durch eine solche Vereinbarung im Fall der Nichtausführung des Geschäfts aber nicht über die Fälle des § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB ausgeschlossen werden. Eine einschränkende Auslegung des § 87a Abs. 5 HGB, wonach eine nachteilige Vereinbarung nur in einem Kernbereich unwirksam ist, im Randbereich hingegen wirksam, findet im Gesetz keine Stütze.
Im vorliegenden Streitfall haben die Parteien des Reisevertrages jedoch ein Rücktrittsrecht für den Fall des Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl vereinbart. Es ist anerkannt, dass ein Reiseveranstalter eine Mindestteilnehmerzahl fordern und sich für den Fall des Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl vom Reisevertrag lösen kann (Art. 3 Abs. 2 Buchst. g und Art. 4 Abs. 6 Satz 2 der Pauschalreisen-Richtlinie 90/314/EWG1; siehe auch § 4 Abs. 1 Nr. 7 BGBInfoV)). In der Richtlinie wird dies als Stornierung bezeichnet. Ein Rücktrittsrecht des Reiseveranstalters für den Fall des Nichterreichens der von ihm geforderten Mindestteilnehmerzahl hat der deutsche Gesetzgeber zwar nicht in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen, auch nicht in § 651a Abs. 5 Satz 1 BGB. Diese Bestimmung verwendet lediglich den Begriff der Absage. Es ist jedoch anerkannt, dass der Veranstalter mit dem Reisenden für den Fall des Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl ein Rücktrittsrecht vereinbaren kann2.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Provisionspflicht stets entfällt, wenn der Unternehmer das Geschäft nicht ausführt, weil er ein vertragliches Rücktrittsrecht ausübt, das ihm bereits in dem vom Handelsvertreter vermittelten Vertrag mit dem Kunden eingeräumt oder vorbehalten ist3.
Jedenfalls hat die Reiseveranstalterin nicht zu vertreten, dass die Reise wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl nicht ausgeführt worden ist, § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB.
§ 87a Abs. 3 Satz 1 HGB gibt dem Handelsvertreter einen unentziehbaren Anspruch auf Provision, wenn feststeht, dass der Unternehmer das Geschäft nicht oder nicht so ausführt, wie es abgeschlossen wird. Im Falle der Nichtausführung entfällt der Provisionsanspruch gemäß Satz 2 dieser Bestimmung allerdings, wenn und soweit die Nichtausführung auf Umständen beruht, die vom Unternehmer nicht zu vertreten sind. Zu vertreten hat der Unternehmer die Umstände, auf denen die Nichtausführung des Geschäfts beruht, nicht nur, wenn ihm oder seinen Erfüllungsgehilfen insoweit persönliches Verschulden zur Last fällt (§§ 276, 278 BGB)), sondern darüber hinaus auch dann, wenn sie seinem unternehmerischen oder betrieblichen Risikobereich zuzuordnen sind4 oder auf einem übernommenen Risiko beruhen5. Dabei ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls unter angemessener Berücksichtigung wirtschaftlicher Gegebenheiten geboten6.
Bei Anwendung dieser Grundsätze war die Absage der Reise wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl kein der Reiseveranstalterin zurechenbares Risiko.
Hat der Unternehmer im Reisevertrag einen wirksamen Rücktrittsvorbehalt vereinbart und erklärt er wegen des Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl den Rücktritt, unterfällt die Nichtausführung des Vertrags nicht seinem Risiko7. Dieser Fall ist entgegen der Auffassung der Revision anders zu beurteilen, als ein Geschäft, das sich für den Unternehmer später als unwirtschaftlich herausstellt, weil nicht genügend gleichartige Aufträge vermittelt worden sind und der Unternehmer nachträglich zu erkennen gibt, dass er das Interesse an dem Geschäft verloren hat; das ist Risiko des Unternehmers8. Aufgrund der von der Reiseveranstalterin vorgesehenen Mindestteilnehmerzahl war in der hier gegebenen Fallgestaltung sowohl für die Reisekunden als auch für die als Handelsvertreter tätigen Reisebüros von Anfang an deutlich, dass die Reise ungewiss ist. Auch die Reisevermittlerin konnte sich darauf einstellen, dass die Reise unter Umständen nicht zustande kommen wird. Denn nicht nur die Reisenden haben die Reise bereits mit dieser Einschränkung gebucht, auch der Handelsvertreter hat die Buchung bereits mit dieser Einschränkung vermittelt.
Die Verantwortung für das Nichterreichen der Mindestteilnehmerzahl liegt nicht in der Sphäre des Reiseveranstalters. Es sind die Handelsvertreter, denen es nicht gelungen ist, eine ausreichende Anzahl von Reiseverträgen einzuwerben. Zwar kann, worauf die Revision hinweist, nicht angenommen werden, dass allein die Reisevermittlerin sämtliche für das Erreichen der Mindestteilnehmerzahl erforderlichen Reisenden zu vermitteln hatte, sondern auch andere Reisebüros. Dies rechtfertigt jedoch keine andere Beurteilung. Auch im Schrifttum wird vor diesem Hintergrund die Auffassung geteilt, dass der Provisionsanspruch des Handelsvertreters bei Absage der Reise wegen Nichterreichens der Mindestteilnehmerzahl entfällt9.
Die Mindestteilnehmerzahl ist nicht durch fehlerhafte Dispositionen der Reiseveranstalterin verfehlt worden. Dem Standpunkt der Revision, die im Anschluss an die Begründung des erstinstanzlichen Urteils geltend macht, die Reiseveranstalterin hätte es in der Hand gehabt, die Mindestteilnehmerzahl durch geeignete Werbemaßnahmen zu erreichen, kann nicht beigetreten werden. Aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich nicht, dass die Werbung allein der Reiseveranstalterin vorbehalten war; jedenfalls hat die Reisevermittlerin einen zusätzlichen Reiseprospekt gefertigt. Es ist auch nicht festgestellt, dass die Reiseveranstalterin geeignete Werbung unterlassen hätte; übergangenen Sachvortrag zeigt die Revision nicht auf.
Danach bedarf es keiner Klärung, ob die Parteien des Reisevertrages die Absage der Reise bei Nichterreichen der Mindestteilnehmerzahl nicht als Rücktritt ausgestaltet haben, sondern – wie die Revisionserwiderung meint – als auflösende Bedingung. Dies ließe die Provisionsanwartschaft des Handelsvertreters entfallen10.
Vorliegend hat die Reiseveranstalterin die Reise nicht treuwidrig abgesagt (§ 242, § 162 Abs. 2 BGB). Zwar bleibt der Unternehmer provisionspflichtig, wenn er Kundenaufträge unter Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben treuwidrig storniert11. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Wie ausgeführt, ist es zulässig, dass der Reiseveranstalter sich im Rahmen der vom Reisebüro vermittelten Verträge ein Lösungsrecht für den Fall des Nichterreichens einer Mindestteilnehmerzahl vorbehält. Besondere Umstände des Einzelfalls, die die Beurteilung rechtfertigen könnten, die Reiseveranstalterin habe dieses Recht treuwidrig ausgeübt, sind nicht festgestellt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Januar 2014 – VII ZR 168/13
- Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13.06.1990 über Pauschalreisen, ABl. EG Nr. L 158, S. 59 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 02.11.2011 – X ZR 43/11, NJW 2012, 997 Rn. 9[↩]
- dafür Thume in: Küstner/Thume, Handbuch des gesamten Vertriebsrechts, Band 1, 4. Aufl., Kap. – V Rn. 33, 445; Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 87 HGB Rn. 60; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 87a Rn. 26; Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl., § 87 Rn. 7 i.V.m. § 87a Rn. 21; Oetker/Busche, HGB, 3. Aufl., § 87 Rn. 11; ErfK/Oetker, 14. Aufl., § 87a HGB Rn. 13; BeckOK HGB/Hagen, Stand: 1.12 2013, § 87a Rn. 22; Fröhlich in: Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht 2014, § 87a HGB Rn. 65; anders MünchKomm-HGB/von HoyningenHuene, 3. Aufl., § 87a Rn. 40, 46[↩]
- BGH, Urteil vom 05.03.2008 – VIII ZR 31/07, WM 2008, 923 Rn. 18; Beschluss vom 10.10.2013 – VII ZR 228/12[↩]
- BGH, Urteil vom 21.10.2009 – VIII ZR 286/07, NJW 2010, 298 Rn. 25[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.10.2013 – VII ZR 228/12, aaO Rn. 11; MünchKomm-HGB/von HoyningenHuene, aaO, § 87a Rn. 53; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, aaO, § 87a Rn. 23[↩]
- Führich, RRa 2013, 269, 272[↩]
- vgl. LG Bielefeld, HVR Nr. 178; Küstner/Thume, aaO, Kap. – V Rn. 479; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., § 87a Rn. 6[↩]
- Führich, RRa 2013, 269, 271; ders., Reiserecht, 6. Aufl., Rn. 705a, unter Hinweis auf AG Ludwigsburg, RRa 1999, 197[↩]
- BGH, Urteil vom 11.10.1990 – I ZR 6/89, NJW-RR 1991, 155 unter – I 1; Küstner/Thume, aaO, Kap. – V Rn. 150 ff.; Thume in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, HGB, 4. Aufl., § 87a Rn. 27; MünchKomm-HGB/von HoyningenHuene, aaO, § 87 Rn. 27[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21. November 1991 – I ZR 98/90, NJW-RR 1992, 868 unter – I 2 b bb[↩]