Die während des Transports geöffnete Verpackung

Der im Transportrecht für Verlustfälle entwickelte Grundsatz, dass den Frachtführer eine sekundäre Darlegungslast trifft, wenn der Vortrag des Gegners ein vom Frachtführer zu vertretendes schadensursächliches qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich Anhaltspunkte dafür aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben, gilt auch für Fälle, in denen das Frachtstück zwar abgeliefert, seine Verpackung aber während des Transports geöffnet, sein Inhalt ganz oder teilweise herausgenommen und die Verpackung wieder verschlossen worden ist.

Die während des Transports geöffnete Verpackung

Grundsätzlich hat allerdings der Anspruchsteller die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und zu beweisen. Danach trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Frachtführer vorsätzlich oder in einer dem Vorsatz gleichstehenden Weise schuldhaft gehandelt hat1.

Die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast kann jedoch dadurch gemildert werden, dass der Frachtführer angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar, zu den näheren Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich Anhaltspunkte für ein derartiges Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben. Insbesondere hat der Frachtführer in diesem Fall substantiiert darzulegen, welche Sorgfalt er zur Vermeidung des eingetretenen Schadens konkret angewendet hat. Kommt er dem nicht nach, kann nach den Umständen des Einzelfalls der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein2. Diese Grundsätze hat die Rechtsprechung für den Fall des Verlustes von Transportgut entwickelt3.

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Diese beim Verlust von Transportgut bestehenden Rechtsprechungsgrundsätze gelten regelmäßig auch bei einer während des Transports eingetretenen Beschädigung des Frachtguts4. Liegt ein qualifiziertes Verschulden aufgrund des Parteivorbringens nahe, muss der beklagte Frachtführer Angaben zu den näheren Umständen der Schadensentstehung machen. Er muss insbesondere mitteilen, welche Kenntnisse er über den konkreten Schadensverlauf hat und welche Schadensursachen er ermitteln konnte. Ihn trifft mithin eine Recherchepflicht5. Etwas anderes kann allerdings je nach Art der Beschädigung gelten. Von einem derartigen Ausnahmefall ist etwa auszugehen, wenn beim Warenumschlag gebotene Kontrollmaßnahmen unterblieben sind, diese aber anders als beim Verlust des Transportguts bei der konkreten Art der Beschädigung der Sendung keinen Rückschluss auf ein qualifiziertes Verschulden des Frachtführers zulassen6.

Im Unterschied dazu beruhen bei der Ablieferung des Transportguts zutage getretene Teilverluste und durch Nichtablieferung erkennbar werdende Totalverluste nicht selten auf Fehlverladungen oder Diebstählen, die der Frachtführer durch dokumentierte Schnittstellenkontrollen oft hätte verhindern oder zumindest nachträglich hätte aufklären können. Eine vergleichbare Situation ist im vorliegenden Fall gegeben, in dem das Frachtstück zwar abgeliefert, seine Verpackung aber während des Transports geöffnet, sein Inhalt teilweise herausgenommen und die Verpackung wieder verschlossen worden ist. In einem solchen Fall beruht der eingetretene teilweise Verlust des Paketinhalts entweder auf einem vorsätzlichen Verhalten eines Dritten oder eines vom Frachtführer eingeschalteten Bediensteten bzw. einer anderen mit dem Transport beauftragten Person. Für das vorsätzliche Verhalten der beim Transport eingeschalteten Bediensteten und anderen Personen haftet der Frachtführer nach Art. 3, 29 CMR unbeschränkt. Die Voraussetzungen einer unbeschränkten Haftung nach Art. 29 CMR können aber auch bei einem Diebstahl des Transportguts durch einen Dritten vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn der Frachtführer oder die Person, für die er nach Art. 3 CMR einzustehen hat, keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat, dadurch der Zugriff des Dritten auf das Transportgut ermöglicht wurde und die Voraussetzungen eines qualifizierten Verschuldens im Sinne des Art. 29 CMR erfüllt sind.

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Danach ist im vorliegenden Fall hinsichtlich der Umstände, unter denen die sechs Weinflaschen abhandengekommen sind, von einer sekundären Darlegungslast der Frachtführerin auszugehen. Diese hätte den Lauf des Transportgutes, das Ergebnis der Schnittstellenkontrollen und die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen im Einzelnen darlegen müssen, damit die Klägerin zu einem qualifizierten Verschulden der Frachtführerin vortragen konnte. Dieser Darlegungslast ist die Frachtführerin nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht konnte den Vortrag der Klägerin zum Vorliegen eines qualifizierten Verschuldens der Beklagten oder der Personen, deren sie sich bei der Ausführung der Beförderung bedient hat, daher als unbestritten behandeln (§ 138 Abs. 3 ZPO)7.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Juni 2012 – I ZR 87/11

  1. vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2009 – I ZR 154/07, TranspR 2010, 78 Rn. 16 = NJW 2010, 1816[]
  2. ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; vgl. nur BGH, Urteil vom 18.12.2008 I ZR 128/06, TranspR 2009, 134 Rn. 14[]
  3. vgl. BGH, TranspR 2010, 78 Rn. 16; BGH, Urteil vom 24.11.2010 – I ZR 192/08, TranspR 2011, 161 Rn. 27; Urteil vom 13.01.2011 – I ZR 188/08, TranspR 2011, 218 Rn. 15 = VersR 2011, 1161[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2012 – I ZR 214/10, TranspR 2012, 107 Rn. 24 = NJW-RR 2012, 364[]
  5. BGH, TranspR 2011, 218 Rn. 16; TranspR 2012, 107 Rn. 24[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 22.11.2007 – I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rn. 26[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 14.06.2005 VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 214; Urteil vom 17.01.2008 III ZR 239/06, NJW 2008, 982 Rn. 16[]
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