Tankstellenpacht – und das multifunktionale Kassensystem

Bei einer Tankstellenpacht stellt das multifunktionale Kassensystem keine vom verpachtenden Mineralölunternehmen zu stellende Unterlage i.S.v. § 86a Abs. 1 HGB dar.

Tankstellenpacht – und das multifunktionale Kassensystem

Dies gilt ungeachtet seiner vertrieblichen bzw. logistischen Notwendigkeit, da es bei dem multifunktionalen Kassensystem an dem erforderlichen inhaltlichen Bezug zum Produkt fehlt.

Gemäß § 86a Abs. 1 HGB hat der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen, wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen zur Verfügung zu stellen, was nach ganz herrschender Meinung unentgeltlich zu geschehen hat. Die Unentgeltlichkeit folgt aus dem Leitbild des Handelsvertreters als eines selbstständigen Vermittlers von Geschäften. Dieser soll sich einerseits nicht an den Kosten des Unternehmers beteiligen müssen, muss andererseits jedoch das alleinige Risiko der von ihm entfalteten Absatzbemühungen tragen1.

Der Begriff der Unterlagen ist nach allgemeiner Auffassung weit zu fassen. Die im Gesetz vorgenommene Aufzählung von Mustern, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen ist nur beispielhaft und nicht abschließend. Von dem Begriff der Unterlagen wird alles erfasst, was dem Handelsvertreter zur Ausübung seiner Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit – insbesondere zur Anpreisung der Waren bei dem Kunden – dient und aus der Sphäre des Unternehmers stammt. Aus den Beispielen, die die Vorschrift aufführt, lässt sich ableiten, dass es sich jeweils um Unterlagen handeln muss, die einen sehr engen Bezug zu dem vertriebenen Produkt haben und ohne die eine erfolgreiche Vermittlung nicht möglich ist. Das gilt insbesondere für Preislisten und Geschäftsbedingungen, ohne die der Handelsvertreter die Vermittlung oder den Abschluss eines Vertrages unter Einhaltung der vom Unternehmer vorgegebenen Konditionen nicht leisten kann. Die übrigen beispielhaft erwähnten Unterlagen, nämlich Muster, Zeichnungen und Werbedrucksachen sind – je nach Branche – erforderlich, damit der Handelsvertreter den künftigen Kunden das Produkt, das er nach dem Handelsvertretervertrag zu vertreiben hat, überhaupt vorstellen kann. Ohne derartige Unterlagen, die nur der Unternehmer zur Verfügung stellen kann, ist eine Vermittlung oder der Abschluss von Verträgen praktisch ausgeschlossen2.

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Aus dieser Herleitung ergibt sich, dass es – was an sich auch schon aus dem bloßen Wortsinn des Ausdrucks „Unterlage“ folgt – um Dinge geht, die das zu vertreibende Produkt „unterlegen“, also inhaltlich bezeichnen, beschreiben und/oder eingrenzen oder, anders gesagt, um die Bereitstellung bestimmter produktspezifischer Informationen, die für die Einflussnahme auf die Entschließung des Kunden von Bedeutung sind. Bei den im Gesetz beispielhaft genannten Mustern, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen steht ersichtlich der informatorische Gehalt im Vordergrund, dessen Verfügbarkeit für den Handelsvertreter und den von ihm erwarteten Einwirken auf den Kunden schlechthin notwendig ist. Da Produkt und Produktinformation aus der Sphäre des Unternehmers stammen, erscheint es auch mehr oder weniger selbstverständlich, die Materialkosten dieser Information seinen Aufwendungen zuzuordnen unter den Kommunikationsbedingungen Mitte des vergangenen Jahrhunderts – die neue Fassung des Handelsvertreterrechts beruht im Wesentlichen auf einem Gesetz vom 06.08.1953 – konnte es sich, und auch das spiegelt der Begriff der „Unterlagen“, allein um papierförmiges Material handeln, das typischerweise zentral vom Unternehmer beauftragt und verteilt wurde.

Mit einem solchen papiernen Medium mit überschaubaren Kosten ist das hier streitgegenständliche Kassensystem nicht mehr sinnvoll vergleichbar. Es umfasst zwar auch noch die ursprünglich gemeinte Funktion der Mitteilung einer Produktinformation, nämlich des jeweiligen Preises für die einzelnen Waren. Es geht indes über die vormalige Mitteilung eines produktbezogenen Inhalts vom Unternehmer über den Handelsvertreter an den Kunden so weit hinaus, dass ihm im Durchgang durch die zwischen den Parteien unstreitigen Funktionalitäten insgesamt eine andere Qualität beizumessen ist:

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In erster Linie erfüllt das Kassensystem die Funktion einer Registrierkasse, die eine geordnete Abwicklung und Abrechnung der Einnahmen und Ausgaben im Betrieb des Handelsvertreters ermöglicht, und damit Funktionen, die ganz eindeutig dem Geschäftsbetrieb des Handelsvertreters zuzuordnen sind, der nun einmal eine Kasse benötigt und sie zu führen und abzurechnen hat. In diesem Zusammenhang gestattet die Kasse dem Handelsvertreter auch die Erstellung von Journalen und Umsatzsteuererklärungen, worin ebenfalls Funktionen liegen, die ganz eindeutig seinem Betrieb und dessen büroorganisatorischem Bereich zuzuordnen sind und mit einer produktspezifischen Information nichts mehr zu tun haben.

Daneben ermöglicht das Kassensystem vermittels der Datenfernübertragung auch eine „umgekehrte“ Kommunikation des Handelsvertreters mit dem Unternehmen, indem es nämlich den Transfer betrieblicher Umsatz- und Provisionsdaten vom Handelsvertreter an das Unternehmen leistet, womit es ebenfalls ein Hilfsmittel zur Erfüllung von Aufgaben bietet, die in die Sphäre des Handelsvertreters fallen. Insoweit dient es allerdings zugleich handgreiflich auch den Bedürfnissen des Unternehmers; denn es ist in seinem Sinn und Interesse, wenn er jederzeit selbst auf die Daten der Kasse zugreifen kann, die Kasse Informationen nach einem von ihm vorgegebenen System liefert und die Kopplung der Kassen mit der Warenausgabe über die Zapfsäulen zugleich eine hohe Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit der gezogenen Abrechnung bietet. Insofern erspart das System der Verpächterin im Vergleich zu einer papiernen Abrechnung ohne Verbindung zur Warenausgabe einen erheblichen Personal- und Organisationsaufwand, der sonst mit der Bearbeitung der Abrechnungen, aber auch mit der Kontrolle der Warenausgabe und der korrekten Betriebsführung im Übrigen verbunden wäre.

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Zusammengefasst ist damit das Kassensystem nur noch in einer einzelnen Funktion – der Preismitteilung – überhaupt noch mit dem Charakter einer Unterlage als des Trägers spezifischer Produktinformationen behaftet, während es im Übrigen, weit darüber hinausgehend, ein komplexes multifunktionales, von dem konkret gehandelten Produkt losgelöstes betriebswirtschaftliches Rechnungs- und wechselseitiges Kommunikationsmedium ist.

Danach verbietet sich eine vollständige oder auch nur weitgehende Einordnung als „Unterlage“, und dies auch unter dem vom Pächter noch angeführten Gesichtspunkt eines „einheitlichen Pakets“. Das wird angesichts der vielfältigen allein vertreternützigen Funktionen der Sache ersichtlich nicht gerecht. Etwas anderes lässt sich insoweit nach Meinung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts auch nicht aus der Entscheidung des BGH vom 04.07.20113 herauslesen. Dort wurde dem Handelsvertreter für monatlich 80, – € eine Software zur Verfügung gestellt, die ihm u.a. die Nutzung der Vertriebssoftware des Unternehmens ermöglichte, das Finanzdienstleistungen vermittelte. In einem solchen Fall muss einleuchten, dass der Handelsvertreter ohne Zugang zu der Software Kundengespräche nicht sinnvoll und nicht erfolgreich hat führen können. Dort lag es entsprechend nahe, den erkauften Zugang wie eine Überlassung von – inhaltlichen, produktspezifischen – Unterlagen zu behandeln und demgegenüber – auch angesichts des insgesamt berechneten Preises – die Software-Komponenten, die der vom Handelsvertreter selbst zu finanzierenden allgemeinen Büroorganisation zuzuordnen waren, zu vernachlässigen. Hier liegen, wie ausgeführt, die Dinge wesentlich komplexer und sind auch die anfallenden Kosten erheblich andere. Das lässt eine „Einheitslösung“ als verfehlt erscheinen.

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Schleswig -Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 16 U 39/15

  1. vgl. BGH, Urteil vom 04.05.2011 – VIII ZR 11/10, NJW 2011, 2423, m.w.N.[]
  2. vgl. BGH, a. a. O., Rn 24[]
  3. BGH, NJW 2011, 2423[]