Die Etikettierung eines Lebensmittels darf den Verbraucher nicht irreführen, indem sie den Eindruck des Vorhandenseins einer Zutat erweckt, die tatsächlich in dem Erzeugnis nicht vorhanden ist.

Das Verzeichnis der Zutaten kann, auch wenn es richtig und vollständig ist, ungeeignet sein, einen sich aus der Etikettierung ergebenden falschen oder missverständlichen Eindruck zu berichtigen.
Diesem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union lag ein Tee der Fa. Teekanne zugrunde: Das deutsche Unternehmen Teekanne vertreibt einen Früchtetee unter der Bezeichnung „Felix Himbeer-Vanille Abenteuer“. Die Verpackung weist u. a. Abbildungen von Himbeeren und Vanilleblüten sowie die Angaben „Früchtetee mit natürlichen Aromen“, „Früchteteemischung mit natürlichen Aromen – Himbeer-Vanille-Geschmack“ und „nur natürliche Zutaten“ auf. Tatsächlich enthält der Früchtetee keine natürlichen Zutaten aus Vanille oder Himbeere oder aus Vanille oder Himbeere gewonnene Aromen. Das Verzeichnis der Zutaten auf einer Seite der Verpackung lautet: „Hibiskus, Apfel, süße Brombeerblätter, Orangenschalen, Hagebutten, natürliches Aroma mit Vanillegeschmack, Zitronenschalen, natürliches Aroma mit Himbeergeschmack, Brombeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Holunderbeeren“.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband wirft Teekanne vor, durch Angaben auf der Verpackung den Verbraucher über die Zusammensetzung des Tees irregeführt zu haben. Aufgrund dieser Angaben erwarte der Verbraucher nämlich, dass der Tee Bestandteile von Vanille und Himbeere oder zumindest natürliche Vanille- und Himbeeraromen enthalte. Die Vereinigung fordert Teekanne daher auf, die Werbung für den Tee zu unterlassen. Der letztinstanzlich angerufene Bundesgerichtshof legte daraufhin den Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Etikettierung eines Lebensmittels den Verbraucher irreführen kann, wenn sie den Eindruck des Vorhandenseins einer Zutat erweckt, die tatsächlich in dem Erzeugnis nicht vorhanden ist und der Verbraucher dies nur feststellen kann, wenn er das Verzeichnis der Zutaten liest.
Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Europäischen Union vorlegen. Der Unionsgerichtshof entscheidet dabei nur über die vorgelegte Rechtsfrage, nicht auch über den nationalen Rechtsstreit. Es ist und bleibt Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Unionserichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Unionsgrichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
In seinem jetzt verkündeten Urteil weist der Gerichtshof der Europäischen Union darauf hin, dass der Käufer nach dem Unionsrecht – namentlich nach der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür [1] über korrekte, neutrale und objektive Informationen verfügen muss, durch die er nicht irregeführt wird, und die Etikettierung eines Lebensmittels nicht irreführend sein darf. Auch wenn angenommen wird, dass der Verbraucher das Verzeichnis der Zutaten vor dem Kauf eines Erzeugnisses liest, schließt der Gerichtshof nicht aus, dass die Etikettierung des Erzeugnisses geeignet sein kann, den Käufer irrezuführen, wenn bestimmte Elemente der Etikettierung unwahr, falsch, mehrdeutig, widersprüchlich oder unverständlich sind.
Der Unionsgerichtshof stellt klar, dass in einem solchen Fall das Verzeichnis der Zutaten, auch wenn es richtig und vollständig ist, ungeeignet sein kann, einen falschen oder missverständlichen Eindruck zu berichtigen, der sich für den Verbraucher aus der Etikettierung des Lebensmittels ergibt. Erweckt die Etikettierung eines Lebensmittels den Eindruck des Vorhandenseins einer Zutat, die tatsächlich nicht vorhanden ist (und ergibt sich dies allein aus dem Verzeichnis der Zutaten), ist eine solche Etikettierung daher geeignet, den Käufer über die Eigenschaften des Lebensmittels irrezuführen.
Der Bundesgerichtshof wird daher bei der Prüfung der verschiedenen Elemente der Etikettierung des Tees festzustellen haben, ob ein normal informierter und vernünftig aufmerksamer und kritischer Durchschnittsverbraucher über das Vorhandensein von Himbeer- und Vanilleblütenzutaten oder aus diesen Zutaten gewonnenen Aromen irregeführt werden kann. Dabei wird das nationale Gericht die verwendeten Begriffe und Abbildungen sowie Platzierung, Größe, Farbe, Schriftart, Sprache, Syntax und Zeichensetzung der verschiedenen Elemente auf der Verpackung des Früchtetees zu berücksichtigen haben.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 4. Juni 2015 – C ‑195/14
- ABl. L 109, S. 29; in der durch die Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009, ABl. L 188, S. 14, geänderten Fassung[↩]