Identifizierende Presseberichtserstattung – und der Unterlassungsanspruch

Mit dem Anspruch auf Unterlassung einer Presseveröffentlichung im Falle einer identifizierenden Textberichterstattung hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen.

Identifizierende Presseberichtserstattung – und der Unterlassungsanspruch

Anlass hierfür bot dem Bundesgerichtshof der Fall eines Berliner Promi-Friseurs: Der Kläger, der als Friseur von zahlreichen Prominenten bekannt geworden ist, betreibt mehrere Friseurgeschäfte. Im März 2012 veröffentlichten die BILD-Zeitung und das Internetportal www.bild.de unter der Überschrift „Filialleiter von … [voller Name des Klägers] mit ‚Hells Angels‘ verhaftet“ einen Artikel, in dem im Wesentlichen darüber berichtet wird, dass Benjamin S., ein Mitarbeiter des Klägers, zusammen mit einem Freund und zwei Mitgliedern der Gruppierung „Hells Angels“ wegen des Vorwurfs der versuchten schweren räuberischen Erpressung verhaftet worden sei. Wörtlich heißt es dazu unter anderem:

„Als Filialleiter bei Promi-Friseur … [voller Name des Klägers] (67) frisiert Benjamin S. (26) die Reichen und Schönen. Jetzt verhaftete das SEK den Kudamm-Geschäftsführer, einen Freund (29) und zwei „Hells Angels“-Rocker (25, 29)! Der Vorwurf: versuchte schwere räuberische Erpressung.

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[…]

Dem Filialleiter tut jetzt alles leid. Über seinen Chef sagt er: ‚Ich bin im Kreuzberger Kiez groß geworden. U. [Vorname des Klägers] weiß, dass ich eine schwierige Vergangenheit habe. Er hat mir trotzdem eine Chance gegeben.‘“

Der Kläger ist insbesondere der Auffassung, er müsse es nicht dulden, für die Beklagten als Aufmacher für ein Ermittlungsverfahren gegen eine dritte Person herzuhalten. Er nimmt den Verlag darauf in Anspruch, es zu unterlassen, ihn namentlich im Zusammenhang mit einer Festnahme eines Herrn Benjamin S. zu erwähnen, insbesondere wenn dies wie geschehen passiere.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Berlin hat der Klage stattgegeben1. Das Berliner Kammergericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Verlags gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen2. Anders sah dies nun der Bundesgerichtshof: Er hob die Berliner Vorentscheidungen auf und wies die Klage ab. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs stellt die angegriffene Berichterstattung keinen rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers dar:

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Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ist allerdings betroffen.

Dies ergibt sich noch nicht alleine aus dem Umstand, dass der Kläger im angegriffenen Artikel überhaupt namentlich erwähnt wird. Denn anders als bei der Veröffentlichung eines Bildes einer Person, die eine grundsätzlich rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts begründet, die unabhängig davon ist, ob die Person in privaten oder öffentlichen Zusammenhängen und in vorteilhafter oder unvorteilhafter Weise abgebildet ist, ist dies bei personenbezogenen Wortberichten nicht ohne Weiteres der Fall. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bietet nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten3.

Betroffen ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aber unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, das über den Schutz der Privatsphäre hinausgeht und sich als Befugnis des Einzelnen darstellt, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob und wann sowie innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten in die Öffentlichkeit gebracht werden4. Es erschöpft sich nicht in der Funktion des Abwehrrechts des Bürgers gegen den Staat, sondern entfaltet als Grundrecht Drittwirkung und beeinflusst hierdurch auch die Werteordnung des Privatrechts5. In dem angegriffenen Artikel wird dem Leser mitgeteilt, dass der Kläger Benjamin S. beschäftigt. Dass dieser Umstand der beruflichen Sphäre des Klägers zuzuordnen ist, steht der Annahme eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht entgegen6.

Darüber hinaus ist die ebenfalls vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützte7 Geschäftsehre des Klägers tangiert. Zwar wird dem Kläger selbst kein Vorwurf gemacht. Er wird aber worauf bereits das Landgericht hingewiesen hat insbesondere durch die Gestaltung der Überschrift, in der bereits sein Name genannt wird, in einen Zusammenhang mit den „Hells Angels“ gebracht. Die im Artikel dabei enthaltene Aussage, in seinem Geschäft arbeite mit Benjamin S. eine Person, die einer gemeinsam mit zwei Mitgliedern der „Hells Angels“ begangenen Straftat verdächtig sei, ist für das Ansehen und den geschäftlichen Erfolg des Klägers abträglich, da sich Kunden aufgrund dieses Umstandes möglicherweise veranlasst sehen, auf einen Besuch in einem Geschäft des Klägers zu verzichten, weil sie mit vermeintlichen Straftätern und den „Hells Angels“ nichts zu tun haben wollen.

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Von der angegriffenen Berichterstattung nicht betroffen ist indes die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützte Privatsphäre des Klägers. Denn der Kläger wird allein als Arbeitgeber des Benjamin S. und damit ausschließlich in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit, die der Sozialsphäre zuzurechnen ist, erwähnt.

Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist aber nicht rechtswidrig.

Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt8.

Im Streitfall sind das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 (auch in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG) und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers am Schutz seiner sozialen Anerkennung, seiner Geschäftsehre und seiner persönlichen Daten mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK verankerten Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen. Diese Abwägung ergibt – anders als das Berufungsgericht meint , dass die geschützten Interessen der Beklagten diejenigen des Klägers überwiegen.

Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen insbesondere vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind, unwahre dagegen nicht9. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts sind die im angegriffenen Artikel der Beklagten aufgestellten Tatsachenbehauptungen wahr. Ob dies auch für die Behauptung gilt, bei Benjamin S. handle es sich um den Filialleiter der „Kudamm-Filiale“, kann dahinstehen. In welcher Funktion Benjamin S. tätig ist, als Filialleiter oder als Verantwortlicher am Empfang, hat für die den Kläger betreffende Abwägung keine Bedeutung.

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Besondere Umstände, aufgrund derer die Abwägung trotzdem zulasten der Meinungs- und Medienfreiheit der Beklagten ausfallen könnte, sind nicht ersichtlich. Im Gegenteil spricht für ein Überwiegen der geschützten Interessen der Beklagten auch der Umstand, dass die angegriffene Berichterstattung den Kläger nur in seiner beruflichen Sphäre betrifft. Schwerwiegende Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht des Klägers, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs10 erforderlich wären, um an Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre negative Sanktionen knüpfen zu können, drohen nicht. Die angegriffene Berichterstattung belastet den Kläger nur in geringem Maße. Insbesondere drohen – in Bezug auf den Kläger – weder soziale Ausgrenzung noch Stigmatisierung oder Prangerwirkung.

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann eine stigmatisierende Wirkung des Artikels in Bezug auf den Kläger nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, dass über ihn im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Verfahren berichtet wird. Zwar mag es – wie die Revisionserwiderung annimmt – durchaus zutreffen, dass im Zusammenhang mit einem Strafverfahren bereits die namentliche Nennung einer Person stigmatisierend wirken kann. Im Streitfall ist dies in Bezug auf den Kläger aber gerade nicht der Fall. Es wird im angegriffenen Artikel nämlich in keiner Weise behauptet, der Kläger sei in das möglicherweise strafrechtlich relevante Geschehen in irgendeiner Weise involviert gewesen.

Darüber hinaus entfaltet die angegriffene Berichterstattung in Bezug auf den Kläger auch keine Prangerwirkung. Eine solche kommt wie das Berufungsgericht noch zutreffend erkannt hat in Betracht, wenn ein beanstandungswürdiges Verhalten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen auswirkt11. Dies ist hier nicht der Fall. Der angegriffene Artikel enthält keinerlei gegen den Kläger gerichtete Vorwürfe. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Nennung des Namens des Klägers im Zusammenhang mit dem Umstand, dass „(s)ein ‚Filialleiter‘ mit ‚Hells Angels‘ verhaftet wurde“, stehe dem Vorwurf eines beanstandungswürdigen Verhaltens im Sinne der Prangerwirkung gleich, teilt der Bundesgerichtshof nicht. Auch wenn die im Artikel enthaltene Aussage – wie dargelegt – die Geschäftsehre des Klägers berührt, entspricht die von ihr ausgehende Ehrbeeinträchtigung weder hinsichtlich ihrer Qualität noch ihrer Intensität den an die Annahme einer unzulässigen Prangerwirkung zu stellenden Anforderungen. Der von der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang betonte Umstand, der Kläger sei von Kunden auf die im Artikel thematisierten Vorgänge angesprochen worden, geht über eine bloße Unannehmlichkeit nicht hinaus. Eine tatsächlich eingetretene wirtschaftliche Beeinträchtigung, die das Gewicht des Eingriffs verstärken könnte, macht der Kläger selbst nicht geltend.

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Weiter ändert am Ergebnis der Abwägung und der Zulässigkeit der streitgegenständlichen Veröffentlichung auch der Umstand nichts, dass über die Festnahme des Benjamin S. und deren Hintergründe auch hätte berichtet werden können, ohne den Kläger zu erwähnen. Es gehört zum Kern der Meinungs- und Medienfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses auch unter dem Gesichtspunkt des „Aufmachers“ – wert halten und was nicht. Denn die Meinungsfreiheit ist nicht nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt, sondern garantiert primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann12. Im Übrigen kann ein objektives Informationsinteresse an der Berichterstattung darüber, dass der prominente Kläger Benjamin S. trotz seiner „schwierigen Vergangenheit“ beschäftigt, nicht verneint werden.

Zuletzt greift der Einwand nicht, die namentliche Nennung des Klägers in der angegriffenen Berichterstattung sei auch deshalb unzulässig, weil sie im Zusammenhang mit einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung erfolgt sei. Dabei kann offenbleiben, ob in Bezug auf Benjamin S. tatsächlich von einer unzulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung ausgegangen werden kann. Denn jedenfalls könnte der Kläger daraus nichts für sich herleiten. Dass Benjamin S. in – unterstellt – unzulässiger Weise identifizierbar dargestellt wurde, bedeutet nicht, dass auch der Kläger in diesem Zusammenhang nicht hätte namentlich erwähnt werden dürfen.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Januar 2015 – VI ZR 386

  1. LG Berlin, Urteil vom 30.10.2012 – 27 O 425/12[]
  2. KG, Beschluss vom 29.07.2013 – 10 U 182/12[]
  3. BGH, Urteil vom 26.10.2010 – VI ZR 230/08, BGHZ 187, 200 Rn. 8 ff.; BVerfG, NJW 2012, 1500 Rn. 35; NJW 2011, 740 Rn. 52[]
  4. vgl. z.B. BGH, Urteile vom 23.09.2014 – VI ZR 358/13, VersR 2014, 1465 Rn. 26, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt; vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13, VersR 2014, 968 Rn. 6; vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 Rn. 28; vom 13.11.1990 – VI ZR 104/90, VersR 1991, 433, 434[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 23.09.2014 – VI ZR 358/13, aaO; vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, aaO[]
  6. vgl. BGH, Urteile vom 23.09.2014 – VI ZR 358/13, aaO, Rn. 35; vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, aaO Rn. 29; vgl. ferner BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05, VersR 2007, 511 Rn. 11 f.; noch zweifelnd: BGH, Urteil vom 13.11.1990 – VI ZR 104/90, VersR 1991, 433, 434[]
  7. BGH, Urteil vom 10.11.1994 – I ZR 216/92, NJW-RR 1995, 301, 303; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 5 Rn. 94[]
  8. st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 30.09.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536 mwN[]
  9. BGH, Urteil vom 17.12 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 23 mwN[]
  10. BGH, Urteile vom 20.12 2011 – VI ZR 262/10, ZUM-RD 2012, 253 Rn. 12; vom 17.11.2009 – VI ZR 226/08, VersR 2010, 220 Rn. 21; vom 23.06.2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 Rn. 31[]
  11. BVerfG, VersR 2010, 1194 Rn. 25[]
  12. BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13, VersR 2014, 968 Rn. 23 mwN[]
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