Insolvenzeröffnung bei einer ausländischen Gesellschaft

Die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft mit Sitz im Ausland, die ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat und nicht abgewickelt wird, richtet sich danach, wo sie bei Einstellung ihrer Tätigkeit den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hatte1.

Insolvenzeröffnung bei einer ausländischen Gesellschaft

Für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens sind nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO stellt für Gesellschaften und juristische Personen bis zum Beweis des Gegenteils die Vermutung auf, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Die Vermutung ist widerlegbar; sie muss jedoch durch hinreichende Anhaltspunkte entkräftet werden. Kann der Interessenmittelpunkt in einem anderen Mitgliedstaat nicht hinreichend sicher festgestellt werden, gibt der satzungsmäßige Sitz den Ausschlag2.

Art. 3 EuInsVO legt nur die internationale Zuständigkeit für ein Hauptinsolvenzverfahren fest. Er regelt nicht das Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts. Dieses wendet vielmehr sein Recht an3. Das Insolvenzgericht prüft deswegen die internationale Zuständigkeit von Amts wegen, ohne an übereinstimmenden Vortrag der Verfahrensbeteiligten im Eröffnungsverfahren gebunden zu sein4. Eine Prüfung von Amts wegen bedeutet indes noch nicht eine Ermittlung von Amts wegen5. Diese hat der Bundesgerichtshof bislang auch noch nicht gefordert.

Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet das deutsche Gericht, alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Diese Ermittlungspflicht von Amts wegen setzt jedoch nur dann ein, wenn der Verfahrensstand Anlass für Ermittlungen bietet6. Bei der Frage, wann Ermittlungen erforderlich sind, hat das Gericht einen gewissen Beurteilungsspielraum. Das Gericht ist nicht verpflichtet, ohne jeden konkreten Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ Ermittlungen anzustellen7, sondern nur dann, wenn es aufgrund gerichtsbekannter Umstände oder aufgrund der Angaben der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Antragstellers, hierzu veranlasst wird. Ebenso wenig muss es tätig werden, wenn der das Verfahren einleitende Insolvenzantrag mangels ordnungsgemäßer Darlegung eines Insolvenzgrundes nicht zulässig ist8.

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Deswegen muss ein Antragsteller, um die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nach § 3 InsO zu ermöglichen und somit seinen Antrag zulässig zu machen, alle die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründenden Tatsachen angeben. Erst dann ermittelt das Gericht, sofern erforderlich, nach § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO die seine Zuständigkeit begründenden Umstände von Amts wegen9. Entsprechendes gilt für die internationale Zuständigkeit nach § 3 EuInsVO10. Da die Verordnung bei juristischen Personen und Gesellschaften den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen am Satzungssitz vermutet, ergeben sich hieraus jedoch folgende Auswirkungen auf die Beibringungslast des Antragstellers und die Prüfungspflicht des Gerichts: Das Gericht des satzungsmäßigen Sitzes darf zunächst von seiner internationalen Zuständigkeit ausgehen, solange sich aus dem Vortrag des Antragstellers nicht etwas anderes ergibt11. Demgegenüber hat ein Gläubiger, der einen Insolvenzantrag gegen eine Schuldnergesellschaft mit ausländischem Sitz bei einem deutschen Gericht stellt, substantiiert zur internationalen Zuständigkeit des Gerichts und zum Interessenmittelpunkt der Schuldnerin vorzutragen.

Die Pflicht des Gerichts, die internationale Zuständigkeit zu ermitteln, wird nicht durch Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO beschränkt12. Die dort aufgestellte Vermutung greift nur ein, wenn die Ermittlungen von Amts wegen zu keinem abweichenden Ergebnis geführt haben. Denn Art. 3 EuInsVO regelt nicht das zur Klärung der internationalen Zuständigkeit anzuwendende Verfahrensrecht. Allein dem Antragsteller in diesem Verfahrensstadium die Beibringungslast aufzuerlegen, steht dem Zweck der Verordnung entgegen, die verhindern will, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um dadurch eine verbesserte Rechtsstellung zu erreichen13.

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Diese Grundsätze werden nicht hinreichend beachtet, wenn auf die Verhältnisse der Schuldnergesellschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt wird. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat inzwischen entschieden, dass es dann, wenn die Schuldnergesellschaft im Register gelöscht ist und sie jedwede Tätigkeit eingestellt hat, auf den Zeitpunkt ihrer Löschung und der Einstellung ihrer Tätigkeit ankommt. Denn nur so ist sichergestellt, dass an dem Ort das Insolvenzverfahren durchgeführt wird, zu dem die Gesellschaft objektiv und für Dritte erkennbar die engsten Beziehungen hat14.

Entsprechendes gilt auch für den hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall, der sich nur dadurch von dem durch den Europäischen Gerichtshof entschiedenen unterscheidet, dass die Schuldnerin noch im niederländischen Register eingetragen ist. Dieser Gesichtspunkt war für den Europäischen Gesichtspunkt erkennbar nicht entscheidend. Denn die engste Beziehung hat die Schuldnergesellschaft zu dem Ort, an dem zuletzt für Dritte erkennbar die Entscheidungen getroffen und die Tätigkeiten entfaltet worden sind. Der Eintrag in das Handelsregister spielt insoweit nur eine untergeordnete Rolle. Die Verordnung will mit Art. 3 Abs. 1 EuInsVO erreichen, dass die rechtlichen Risiken im Insolvenzfall für den Gläubiger vorhersehbar sind15. Diese Vorhersehbarkeit wäre gefährdet, wenn bei Einstellen des Geschäftsbetriebs das Gericht am satzungsmäßigen Sitz international zuständig würde, obwohl vorher die Schuldnergesellschaft den Interessenmittelpunkt an einem anderen Ort hatte16. Das Vertrauen der Gläubiger, dass an diesem Ort und nach jenem Recht ein etwaiges Insolvenzverfahren durchgeführt werde, würde enttäuscht17.

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Mithin kommt es für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit allein darauf an, wo die Schuldnergesellschaft bei Einstellung ihrer Tätigkeit – dazu können auch Abwicklungsarbeiten gehören – den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hatte.

Dabei wird das Insolvenzgericht im hier entschiedenen Fall zu berücksichtigen haben, dass die Schuldnergesellschaft zwar eine Gesellschaft mit Sitz in den Niederlanden ist, sie jedoch Rechtsnachfolgerin von in Deutschland operativ tätigen Gesellschaften deutschen Rechts ist. Sie wurde nach dem zumindest teilweise belegten Vortrag des Antragstellers zusammen mit einer weiteren niederländischen Gesellschaft erst 2007 gegründet, um die Geschäftsanteile der deutschen GmbH zu übernehmen und diese in eine Kommanditgesellschaft umzuwandeln. Schon kurze Zeit später schied die einzige Kommanditistin und vorletzte Gesellschafterin aus und bewirkte so die Beendigung der Gesellschaft ohne Liquidation und die Sitzverlegung der Schuldnergesellschaft von Deutschland in die Niederlande. Alleingesellschafter und Geschäftsführer beider Gesellschaften niederländischen Rechts ist und war ein deutscher Staatsangehöriger mit ständigem Wohnsitz in Deutschland.

Nach dem Vortrag des Antragstellers waren beide Gesellschaften niederländischen Rechts, so auch die Schuldnerin, nie – weder in Deutschland, noch in den Niederlanden – geschäftlich nach außen tätig. Mit der Umwandlung der GmbH in eine BV & Co. KG ist Ende 2007 das operative Geschäft und das Vermögen der GmbH auf die Kommanditgesellschaft übergegangen, die allein in Deutschland wirtschaftlich tätig war. Mit dem Erlöschen der Kommanditgesellschaft im Mai 2008 durch Ausscheiden der vorletzten Gesellschafterin und einzigen Kommanditistin führte die Schuldnerin nach dem Vortrag des Antragstellers kein (nennenswertes) operatives Geschäft mehr aus. Ein Büro in Deutschland betreibt die Schuldnerin seitdem nicht mehr; ebenso wenig unterhält sie ein Büro in den Niederlanden. Der diesbezügliche Vortrag des Antragstellers ist durch vielfältige Anhaltspunkte belegt. Auch der Bundesgerichtshof konnte Schriftstücke nur an den Wohnsitz des Geschäftsführers der Schuldnerin in Deutschland zustellen.

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Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Düsseldorf ergibt sich – sofern das Gericht international zuständig ist – aus Art. 102 § 1 Abs. 1 EGInsO. Nach dieser Regelung ist das Insolvenzgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, wenn in einem Insolvenzverfahren den deutschen Gerichten nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die internationale Zuständigkeit zukommt, ohne dass nach § 3 InsO ein inländischer Gerichtsstand begründet wäre. Das trifft vorliegend zu.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – IX ZB 232/10

  1. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 20.10.2011 – C-396/09 [Interedil][]
  2. EuGH, Urteil vom 02.05.2006 – Rs C341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 31 ff – Eurofood; Urteil vom 20.10.2011 – Rs C396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 50 f – Interedil; MünchKomm-InsO/Reinhart, 2. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 5[]
  3. Kemper in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2010, Art. 3 EuInsVO Rn. 17[]
  4. BGH, Beschluss vom 21.06.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121 Rn. 11; siehe ferner Beschluss vom 22.04.2010 – IX ZB 217/09, ZInsO 2010, 1013 Rn. 7; Kemper, aaO Rn. 17[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 31.01.1991 – III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3096[]
  6. HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl., § 5 Rn. 8[]
  7. HmbKomm-InsO/Rüther, 3. Aufl., § 5 Rn. 9[]
  8. BGH, Beschluss vom 12.12.2002 – IX ZB 426/02, BGHZ 153, 205, 207; Uhlenbruck/Pape, InsO, 13. Aufl, § 5 Rn. 1; MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 5 Rn. 13[]
  9. HK-InsO/Kirchhof, aaO § 3 Rn. 22; MünchKomm-InsO/Ganter, aaO § 3 Rn. 37; Uhlenbruck/Pape, aaO § 3 Rn. 14[]
  10. vgl. AG Köln, NZI 2006, 57; HmbKomm-InsO/Undritz, 3. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 55 f[]
  11. vgl. DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 3 Rn. 25; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 831[]
  12. vgl. Nerlich/Römermann, InsO, 2011, Art. 3 EuInsVO Rn. 9; Pannen in Europäische Insolvenzordnung, Art. 3 Rn. 33; MünchKomm-InsO/Reinhardt, aaO Art. 3 EuInsVO Rn. 6; Borges, ZIP 2004, 733, 737; Klöhn, NZI 2006, 383 f; a.A. wohl HmbKomm-InsO/Undritz, aaO Rn. 57[]
  13. EuGH, Urteil vom 17.01.2006 – Rs C1/04, ZIP 2006, 188 Rn. 25 – StraubitzSchreiber[]
  14. EuGH [Interedil], aaO Rn. 58[]
  15. vgl. EuGH – StraubitzSchreiber, aaO Rn. 27[]
  16. MünchKomm-InsO/Reinhart, aaO Art. 3 EuInsVO Rn. 36 f; HmbKomm-InsO/Undritz, aaO Art. 3 EuInsVO Rn. 33 f[]
  17. Nerlich, aaO Art. 3 EuInsVO Rn.20 f; vgl. zu allem EuGH GA, Schlussanträge Interedil, ZIP 2011, 918 Rn. 53, 54[]
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