Abofallen – und der Aufruf zur Kontokündigung

Die an eine Sparkasse gerichtete Aufforderung eines Verbraucherverbandes, das Girokonto eines Inkassounternehmens zu kündigen, das sich durch die Geltendmachung von Forderungen bewusst an der Durchsetzung eines auf systematische Täuschung von Verbrauchern angelegten Geschäftsmodells des Auftraggebers beteiligt, stellt keinen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar.

Abofallen – und der Aufruf zur Kontokündigung

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Rechtsstreit zwischen einem Inkassounternehmen und der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, die die Sparkasse Heidelberg in einem Schreiben zur Kündigung und Sperrung des Girokontos des Inkassounternehmens aufgefordert hat, nachdem sich das Inkassounternehmen in der Betreibung von Abofallen“Gebühren“ für einen „Routenplaner-Service“ hervorgetan hatten.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Frankfurt am Main hat die Unterlassungsklage des Inkassounternehmens gegen die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz abgewiesen1, das Oberlandesgericht Franfkurt am Main hatte ihr dagegen stattgegeben2. Auf die Revision der Verbrauchezentrale hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts Frankfurt aufgehoben und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wieder hergestellt. Der Bundesgerichtshof befand, dem Inkassounternehmen stehe kein Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 BGB wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gegen die Verbraucherzentrale zu.

Ein Anspruch wegen Verletzung des als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs kommt in Betracht, wenn spezielle Schutzvorschriften zugunsten eines Unternehmens nicht durchgreifen3. Der Schutz des § 823 Abs. 1 BGB wird gegen jede Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gewährt, wenn die Störung einen unmittelbaren Eingriff in den gewerblichen Tätigkeitskreis darstellt. Durch den dem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb von der Rechtsprechung gewährten Schutz soll das Unternehmen in seiner wirtschaftlichen Tätigkeit und in seinem Funktionieren vor widerrechtlichen Eingriffen bewahrt bleiben. Die Verletzungshandlung muss sich gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten und über die bloße Belästigung oder eine sozial übliche Behinderung hinausgehen. Unmittelbare Eingriffe in das Recht am bestehenden Gewerbebetrieb, gegen die § 823 Abs. 1 BGB Schutz gewährt, sind nur diejenigen, die gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen sind und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betreffen4.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in seinem Berufungsurteil in der Aufforderung der Verbraucherzentrale an die Sparkasse, das Girokonto des Inkassounternehmens zu kündigen, einen tatbestandsmäßigen Eingriff in sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb bejaht. Das lässt für den Bundesgerichtshof keinen Rechtsfehler erkennen.

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Allerdings sieht der Bundesgerichtshof die beanstandete Aufforderung zur Sperrung und Kündigung des Girokontos des Inkassounternehmens unter Abwägung der betroffenen Interessen nicht als rechtswidrig an.

Das Recht am Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit den konkret kollidierenden Interessen anderer ergeben5. Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt6. Bei dieser Abwägung sind insbesondere die betroffenen Grundrechte zu berücksichtigen7. Diesen Anforderungen wird die vom Oberlandesgericht Frankfurt vorgenommene Interessenabwägung nicht gerecht.

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat, so der Bundesgerichtshof, bei seiner Abwägung nicht berücksichtigt, dass sich die Verbraucherzentrale im Hinblick auf den beanstandeten Aufruf auf die Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG berufen kann. Die von dem Inkassounternehmen angegriffene Aufforderung zur Kündigung und Sperrung des Girokontos durch das Schreiben der Verbraucherzentrale ist eine durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsäußerung.

Dem steht nicht entgegen, dass die Aufforderung auf die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen des Inkassounternehmens abzielt, indem sie sich an den Anbieter einer Dienstleistung richtet, auf dessen Dienste das Inkassounternehmen zur Ausübung seines Geschäftsbetriebs angewiesen ist und die deshalb den Charakter einer Boykottmaßnahme hat. Auch der Aufruf zu einer Boykottmaßnahme, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zu Grunde liegt, kann in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen8.

Das Schreiben der Verbraucherzentrale an die Sparkasse ist nicht auf die Aufforderung zur Kündigung und Sperrung des Girokontos beschränkt, sondern enthält auch wertende Elemente, mit denen die Verbraucherzentrale der Sparkasse ihre Ansicht deutlich macht, dass das Inkassounternehmen einem Unternehmen Hilfe leistet, das in rechtswidriger Weise durch Täuschung von Verbrauchern angebliche vertragliche Ansprüche unberechtigt durchzusetzen versucht. Mit ihrem Schreiben bringt die Verbraucherzentrale ihre ablehnende Haltung gegen das Geschäftsgebaren des Inkassounternehmens und seiner Auftraggeberin zum Ausdruck.

Hiergegen kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs auch nicht eingewandt werden, die Verbraucherzentrale könne sich nicht auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit berufen, weil ihre beanstandeten Äußerungen, das Inkassounternehmen mache unberechtigte Forderungen geltend, seine Auftraggeberin, die W. GmbH, handele offenkundig wettbewerbswidrig, unterhalte eine rechtswidrige Internetseite und erfülle den Tatbestand des Betrugs, im Kontext des Schreibens einen Tatsachenkern enthielten.

Bei den angegriffenen Äußerungen der Verbraucherzentrale handelt es sich nicht um Tatsachenbehauptungen. Der Umstand, dass die Äußerungen strafrechtliche und deliktsrechtliche Tatbestände anführen, die eine umfassende Subsumtion erfordern, deutet auf eine subjektive Beurteilung hin9. Als Tatsachenmitteilung sind solche Angaben dagegen nur zu qualifizieren, wenn die Beurteilung im Gesamtzusammenhang ihrer Verwendung beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind10.

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Nach diesen Kriterien beinhalten die angegriffenen Äußerungen der Verbraucherzentrale keine auf ihre Richtigkeit überprüfbaren Aussagen, sondern subjektive Bewertungen der Rechtslage. Die Verbraucherzentrale hat ihren rechtlichen Ausführungen keinen konkreten Sachverhalt zugrunde gelegt. Sie hat vielmehr auf eine nicht weiter bezeichnete und nach ihrer objektiven Gestaltung nicht näher beschriebene Internetseite der W. GmbH verwiesen. Den dort angeführten Preishinweis hat die Verbraucherzentrale als versteckt und den Nutzer deshalb über die Kostenlosigkeit des Angebots in die Irre führend eingeschätzt.

Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass die in Rede stehenden Äußerungen nicht auf Werturteile beschränkt wären, kann die Verbraucherzentrale sich auf die Meinungsäußerungsfreiheit berufen.

Außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 GG liegen nur unwahre Tatsachenbehauptungen. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie für den Betroffenen nachteilig sind11. Die Revisionserwiderung macht nicht geltend, die Behauptungen der Verbraucherzentrale in dem angegriffenen Schreiben seien unwahr. Sie hat sich nicht gegen die Beurteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt gewandt, das Angebot der W. GmbH sei unter Verstoß gegen das Verbot der Irreführung gemäß § 5 UWG allein darauf angelegt gewesen, den Teil der Verbraucher vorsätzlich zu täuschen, der die Kostenpflichtigkeit des Angebots übersehe. Weiter hat sich die Revisionserwiderung nicht gegen die Annahme des Oberlandesgerichts Frankfurt gewandt, dass die Realisierung der durch dieses irreführende Angebot erlangten Forderungen ein schwerwiegender Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellt, für den auch das Inkassounternehmen verantwortlich ist, weil sie sich bewusst an dem auf systematische Täuschung des Verbrauchers angelegten Geschäftsmodell der W. GmbH beteiligt.

Der im vom Oberlandesgericht Frankfurt ausgesprochenen Verbot liegende Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit kann allerdings durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB, der ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG darstellt, gerechtfertigt sein12. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diesem Recht seinerseits durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlicher Schutz zukommt13. Ob der in der Untersagung eines Boykottaufrufs liegende Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit gerechtfertigt ist, hängt von einer Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen ab. Wesentlich sind zunächst die Motive und damit verknüpft das Ziel und der Zweck des Aufrufs. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG regelmäßig Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden. Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf allerdings das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten. Schließlich müssen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich zu billigen sein. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung, also auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung Nachdruck verleihen sollen und die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen14. Diesen Anforderungen wird die vom Oberlandesgericht Frankfurt vorgenommene Interessenabwägung auch im Ergebnis nicht gerecht.

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Im Streitfall ist es von maßgeblicher Bedeutung, dass die Verbraucherzentrale keine eigennützigen wirtschaftlichen Ziele verfolgt. Der Aufruf zur Sperrung und Kündigung des Girokontos bezweckt nicht die Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Frankfurt wollte die Verbraucherzentrale vielmehr unter Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Verbraucherschutzverband dem für alle Verbraucher gefährlichen und schädigenden Verhalten der W. GmbH und dem dieser Hilfe leistenden Inkassounternehmen Einhalt gebieten. Der Aufruf diente damit allein dem Schutz der Internetnutzer vor irreführenden Geschäftspraktiken und der Verhinderung der Durchsetzung durch Täuschung erlangter Forderungen. Wird ein solches im Allgemeininteresse liegendes Anliegen verfolgt, kommt der Ausübung der Meinungsfreiheit grundsätzlich erhebliches Gewicht zu, auch wenn Interessen Dritter berührt werden. Die Verfolgung von nicht wirtschaftlichen Interessen ist im Zuge der Abwägung auch dann von Belang, wenn als Nebeneffekt eines Aufrufs wirtschaftliche Folgen eintreten, selbst wenn diese mitbeabsichtigt sind. Meinungsäußerungen, sei es in der Form eines Boykottaufrufs, sei es in anderer Form, tragen das Risiko in sich, für bestimmte Personenkreise wirtschaftlich nachteilige Wirkungen mit sich bringen zu können, wenn die angesprochenen Kreise auf Grund der Meinungsäußerung ihr bisheriges Verhalten ändern und dadurch wirtschaftliche Folgen auslösen15.

Bei der Abwägung ist ferner zu berücksichtigen, dass der beanstandete Aufruf sich auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung und damit auf Mittel beschränkt, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten. Die Verbraucherzentrale hat keine zusätzlichen Machtmittel eingesetzt, die der eigenen Meinung Nachdruck verleihen sollen und die innere Freiheit der Meinungsbildung der angeschriebenen Sparkasse zu beeinträchtigen drohen.

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Die Verbraucherzentrale hat im Schreiben dargelegt, dass die Sparkasse deswegen das Girokonto des Inkassounternehmens sperren und kündigen soll, weil das Inkassounternehmen über dieses Konto Forderungen für die W. GmbH einzieht, die durch Täuschung entstanden und deshalb unberechtigt sind. Sie hat sich zum Beleg ihrer Rechtsauffassung auf Rechnungen und Mahnungen bezogen und damit der Sparkasse zusätzliche Anhaltspunkte für eine eigene Meinungsbildung mitgeteilt. Gleiches gilt im Hinblick auf den im Schreiben erhobenen Vorwurf des Betruges und die Bitte, die zuständige Staatsanwaltschaft zu kontaktieren, um zu erfahren, ob die Ansicht der Verbraucherzentrale durch Anzeigen und Verfahren untermauert wird. Dieser Vorwurf strafbaren Verhaltens bezieht sich auf das Vorgehen der W. GmbH. Es fehlen Anhaltspunkte im Schreiben dafür, dass die Verbraucherzentrale der Auffassung ist, die angeschriebene Sparkasse habe sich an dem strafbaren Verhalten beteiligt und müsse mit einer Anzeige oder mit einer öffentlichen Anprangerung rechnen. Die Verbraucherzentrale hat auch nicht den Eindruck erweckt, die Sparkasse sei aus Rechtsgründen verpflichtet, das Girokonto des Inkassounternehmens zu sperren und zu kündigen. Im Schreiben werden diese Maßnahmen vielmehr ausdrücklich allein als Beitrag zur Begrenzung des finanziellen Schadens der Opfer genannt.

Auch die Annahme des Oberlandesgerichts Frankfurt, die beanstandete Aufforderung sei nicht verhältnismäßig, weil der Verbraucherzentrale gleichwertige, für das Inkassounternehmen weniger belastende Möglichkeiten des Vorgehens zur Verfügung gestanden hätten, verwirft der Bundesgerichtshof:

Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt kann in der Möglichkeit der Verbraucherzentrale, durch Information der Öffentlichkeit Missstände anzuprangern und damit zu bekämpfen, keine das Inkassounternehmen weniger belastende Möglichkeit des Vorgehens gesehen werden. Eine Veröffentlichung der im beanstandeten Anschreiben mitgeteilten Umstände würde die Wirkung der Aussagen und den Druck auf das Inkassounternehmen erhöhen, die Zusammenarbeit mit der W. GmbH zu beenden, um nicht in der Öffentlichkeit als deren Gehilfe bei der Durchsetzung rechtswidrig erlangter Forderungen dazustehen. Eine solche mit einer öffentlichen Personalisierung des Angriffs verbundene Prangerwirkung greift regelmäßig in besonderem Maße in die Rechte der auf diese Weise kritisierten Person ein und stellt deshalb erhöhte Anforderungen an die Prüfung, ob den Belangen der Meinungsfreiheit ein höheres Gewicht zukommt16. Allgemeine Aufklärungskampagnen ohne Angabe der betroffenen Unternehmen sind dagegen wesentlich weniger geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen.

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Die Annahme des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, die beanstandete Aufforderung zur Sperrung und Kündigung des Girokontos sei auch deshalb unverhältnismäßig, weil die Verbraucherzentrale nicht zunächst den Versuch unternommen habe, gegen das Verhalten des Inkassounternehmens gerichtlich vorzugehen, verwirft der Bundesgerichtshof ebenfalls.

Allerdings hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass ein Boykottaufruf unverhältnismäßig sein kann, wenn das mit dem Aufruf verfolgte Ziel auch durch eine Inanspruchnahme des Rechtswegs erreicht werden kann17. In diesen Entscheidungen ging es jedoch um den Einsatz von Boykottaufrufen zur Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen im Wettbewerb. Für diese unter die strengeren Regeln des Wettbewerbsrechts mit dem Verbot der gezielten Behinderung von Mitbewerbern (§ 4 Nr. 10 UWG) fallenden Sachverhalte gilt nicht der grundsätzliche Vorrang der Meinungsfreiheit gemäß § 5 Abs. 1 GG18. Um einen damit vergleichbaren Sachverhalt handelt es sich vorliegend nicht. Die Verbraucherzentrale bezweckte mit dem Aufruf zur Sperrung und Kündigung des Girokontos nicht die Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs, sondern strebte allein den Schutz der Internetznutzer vor irreführenden Geschäftspraktiken und die Verhinderung der Durchsetzung von durch Täuschung erlangten Forderungen an.

Die Verbraucherzentrale war auch nicht deswegen vorrangig zur Beschreitung des Rechtsweges gehalten, weil ihr als Verbraucherverband zur Verfolgung von Verbraucherinteressen eine Klagemöglichkeit eingeräumt ist (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG, § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG). Die Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG steht Verbraucherverbänden vielmehr unabhängig von der Möglichkeit zur Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu.

Gleichwohl ist ein Verbraucherverband vor einer Aufforderung zur Kontokündigung grundsätzlich gehalten, die Verbraucherinteressen durch Beschreitung des Rechtswegs zu schützen, weil das mit dem Aufruf verfolgte Ziel der Kontokündigung Unternehmen wie das Inkassounternehmen in seiner wirtschaftlichen Betätigung besonders einschneidend trifft. Über das Girokonto eines Unternehmens wird regelmäßig auch Zahlungsverkehr abgewickelt, der auf rechtlich nicht zu beanstandende Geschäftstätigkeit zurückgeht. Die besondere Bedeutung der Kontoverbindung für die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Ausübung eines Geschäftsbetriebs wird deshalb im Regelfall zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit des Aufrufs zur Kontokündigung führen, wenn die durch den Aufruf geschützten Interessen auch im Klagewege durchgesetzt werden können. Etwas anderes gilt aber, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die das Interesse des Unternehmens an der Erhaltung der Kontoverbindung als nicht hinreichend schutzbedürftig erscheinen lassen. Solche Umstände liegen im Streitfall vor. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat festgestellt, dass das gesamte Verhalten des Inkassounternehmens nur so gewertet werden kann, dass es sich bewusst an der Durchsetzung eines auf systematische Täuschung des Verbrauchers angelegten Geschäftsmodells der Firma W. beteiligt hat.

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Damit kommt im Streitfall der Meinungsäußerungsfreiheit der Verbraucherzentrale der Vorrang vor den Interessen des Inkassounternehmens zu.

Ansprüche des Inkassounternehmens aus Vorschriften des UWG, aus § 824 BGB und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 186, 187 StGB bestehen ebenfalls nicht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Februar 2014 – I ZR 75/13

  1. LG Frankfurt/Main, Urteil vom 27.07.2012 – 310 O 17/12[]
  2. OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 26.03.2013 – 6 U 184/12, K&R 2013, 405[]
  3. BGH, Urteil vom 24.06.2004 – I ZR 26/02, GRUR 2004, 877, 880 = WRP 2004, 1272 Werbeblocker; Urteil vom 24.01.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 93[]
  4. BGH, Urteil vom 28.02.2013 – I ZR 237/11, GRUR 2013, 917 Rn. 16 = WRP 2013, 1196 Vorbeugende Unterwerfungserklärung, mwN[]
  5. BGH, GRUR 2013, 917 Rn. 18 Vorbeugende Unterwerfungserklärung, mwN[]
  6. BGH, Urteil vom 15.05.2012 – VI ZR 117/11, BGHZ 193, 227 Rn. 27[]
  7. BVerfGE 114, 339, 348; BGH, Urteil vom 11.03.2008 – VI ZR 7/07, NJW 2008, 2110 Rn. 12 = WRP 2008, 813[]
  8. BVerfG, Beschluss vom 08.10.2007 1 BvR 292/02, NJW-RR 2008, 200, 201, mwN[]
  9. BGH, Urteil vom 22.06.1982 – VI ZR 255/80, NJW 1982, 2248, 2249; BGH, Urteil vom 27.04.1999 – VI ZR 174/97, NJW-RR 1999, 1251, 1252[]
  10. BVerfG, NJW 2008, 358, 359[]
  11. BVerfGE 99, 185, 196; BVerfG, NJW 2012, 1500 Rn. 39[]
  12. BVerfGE 7, 198, 211[]
  13. vgl. BVerfG, NJW-RR 2004, 1710, 1711[]
  14. BVerfGE 25, 256, 264; BVerfG, NJW-RR 2008, 200, 201[]
  15. BVerfGE 7, 198, 219; BVerfG, NJW-RR 2008, 200, 201, mwN[]
  16. vgl. BVerfG, NJW-RR 2008, 200, 202, mwN[]
  17. vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1965 KZR 8/63, GRUR 1965, 440, 443 Milchboykott; Urteil vom 22.01.1971 – I ZR 76/69, GRUR 1971, 259, 260 = WRP 1971, 222 W.A.Z.[]
  18. vgl. BVerfG, NJW-RR 2008, 200, 201[]