Der als unzulässig verworfene Musterverfahrensantrag

Der Beschluss des Prozessgerichts, der einen Musterverfahrensantrag als unzulässig verwirft, weil der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes nicht eröffnet sei, ist gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG unanfechtbar.

Der als unzulässig verworfene Musterverfahrensantrag

Die Rechtsbeschwerde ist weder nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO noch gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO eröffnet. Gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG ist die Anfechtung des Beschlusses, der den Musterverfahrensantrag als unzulässig verwirft, ausgeschlossen. Die vom Oberlandesgericht ausgesprochene Zulassung der Rechtsbeschwerde entfaltet keine Bindung für das Rechtsbeschwerdegericht.

Durch die Zulassung wird dem Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerde nur zugänglich gemacht, wenn sie nach dem Gesetz grundsätzlich eröffnet ist, nicht aber in den Fällen, in denen die Anfechtbarkeit gesetzlich ausgeschlossen ist. Die Bindungswirkung der Rechtsmittelzulassung umfasst bei der Rechtsbeschwerde nur die in § 574 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 574 Abs. 2 ZPO genannten Zulassungsvoraussetzungen. Sie kann hingegen nicht dazu führen, dass ein gesetzlich nicht vorgesehener Instanzenzug eröffnet wird. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann daher nicht durch den Ausspruch eines Gerichts der Anfechtung unterworfen werden1.

So liegt es auch in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall: Der Verwerfungsbeschluss des Landgerichts Hamburg2 ist gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG unanfechtbar, so dass auch die Rechtsbeschwerde von vornherein nicht eröffnet ist. Zu Recht hat daher das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg als Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Klägers mangels Statthaftigkeit als unzulässig verworfen3.

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Im Ansatz ist es zwar zutreffend, dass die fehlende Anwendbarkeit des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes (§ 1 KapMuG) im Katalog der Unzulässigkeitsgründe des § 3 Abs. 1 KapMuG nicht ausdrücklich mit aufgeführt ist. Allerdings enthält der Wortlaut von § 3 Abs. 1 KapMuG nicht alle Gründe, die zur Verwerfung des Musterverfahrensantrags führen. Es versteht sich von selbst und ist allgemein anerkannt, dass die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags auch voraussetzt, dass der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes eröffnet ist. Grundlage für die Verwerfung des Musterverfahrensantrags als unzulässig ist auch in diesem Falle § 3 Abs. 1 KapMuG4.

Die Anwendung von § 3 Abs. 1 KapMuG auf die vorliegende Fallgestaltung entspricht der erklärten Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Danach hat das Gericht zunächst festzustellen, ob der Musterverfahrensantrag statthaft ist, die allgemeinen Prozessvoraussetzungen erfüllt sind und ob er nach § 3 Abs. 1 KapMuG zulässig ist; soweit er unzulässig ist, wird er verworfen5. Da § 3 KapMuG die gesamten Entscheidungsmöglichkeiten des Gerichts über die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags regeln soll6, kann die Verwerfung dieses Antrags in dem Fall, dass der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes nicht eröffnet ist, allein gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG erfolgen. Eben dies hat der Gesetzgeber gewollt, im Wortlaut der Norm aber unvollkommen zum Ausdruck gebracht. Die mit dem Wort „soweit“ eingeleiteten Unzulässigkeitsgründe des § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KapMuG sind nicht abschließend gemeint, sondern zum Zwecke der Klarstellung erwähnt, nämlich in dem Sinne, dass der Musterverfahrensantrag auch dann unanfechtbar als unzulässig zu verwerfen ist, wenn einer dieser Gründe vorliegt. Die Missverständlichkeit des Gesetzeswortlauts kann im Wege der Auslegung der Norm behoben werden mit der Folge, dass § 3 Abs. 1 KapMuG unmittelbar auch für den Unzulässigkeitsgrund der Unanwendbarkeit des KapitalanlegerMusterverfahrensgesetzes gilt. Einer Analogie bedarf es mithin nicht.

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Der Anwendung von § 3 Abs. 1 KapMuG lässt sich nicht entgegenhalten, dass diese Vorschrift nicht herangezogen werden könne, wenn das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz nicht anwendbar sei7. Denn durch die Anbringung des Musterverfahrensantrags wird, wie das Oberlandesgericht zutreffend dargelegt hat, jedenfalls in prozessualer Hinsicht der Anwendungsbereich des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes zur Prüfung seiner materiellen Anwendbarkeit eröffnet und ist das Gericht deshalb gehalten, hierüber nach den verfahrensrechtlichen Bestimmungen dieses Gesetzes zu befinden8.

Dementsprechend ist die Verwerfung des Musterverfahrensantrags wegen Unanwendbarkeit des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes ebenso unanfechtbar wie die Verwerfung des Antrags aus den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KapMuG aufgeführten Gründen9.

Der Gesetzgeber wollte die Verwerfung des Musterverfahrensantrags als unzulässig – zum Zwecke der Rechtsklarheit und Verfahrensbeschleunigung generell von der Anfechtbarkeit ausschließen; verfahrensverzögernde Zwischenstreitigkeiten über die Zulässigkeit eines Musterverfahrensantrags sollten auf diese Weise vermieden werden6. Zwar hat das Kapitalanleger-Musterverfahren seinerseits den Zweck, den Rechtsschutz für Kapitalanleger effektiver zu gestalten, indem gleichgerichtete Interessen prozessual gebündelt, einzelfallübergreifende Fragen konzentriert behandelt und divergierende Entscheidungen vermieden werden10. Allerdings muss auch der Fortgang des Individualrechtsstreits Berücksichtigung finden. Ist der Musterverfahrensantrag nach Einschätzung des Prozessgerichts unzulässig, soll es nicht durch Rechtsmittel gegen den Verwerfungsbeschluss zu – weiteren – Verfahrensverzögerungen kommen können. Selbst wenn, wie die Rechtsbeschwerde meint, das Kapitalanleger-Musterverfahren für die hiermit im Zusammenhang stehenden Individualprozesse verfahrensbeschleunigende Wirkungen entfalten könnte, würde dies nichts daran ändern, dass ein über mehrere Instanzen geführter Zwischenstreit über die (Un-)Zulässigkeit eines Musterverfahrensantrags für sich genommen verfahrensverzögernd wirken und die Erledigung des Individualrechtsstreits in der Sache selbst hierdurch nicht gefördert würde.

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Der Hinweis der Rechtsbeschwerde, die Unanwendbarkeit des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes sei mit den in § 3 Abs. 1 KapMuG genannten Unzulässigkeitsgründen nicht vergleichbar, lässt die Regelungsabsicht des Gesetzgebers außer Acht und überzeugt auch inhaltlich nicht. Ist das Gesetz schon nicht anwendbar (§ 1 Abs. 1 KapMuG), so erübrigt sich die weitere Prüfung des Musterverfahrensantrags anhand der in § 3 Abs. 1 KapMuG genannten Kriterien; diese haben keine grundsätzlich andere Qualität als das Kriterium der Anwendbarkeit des Gesetzes. Nicht nur in den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KapMuG, sondern auch für alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen muss das Prozessgericht eine Individualprüfung vornehmen. Sämtlichen Zulässigkeitshindernissen ist gemeinsam, dass sie die Bekanntmachung des Musterverfahrensantrags nach § 3 Abs. 2 KapMuG versperren und somit in gleicher Weise wirken. In allen Fällen der Verwerfung des Musterverfahrensantrags schließlich würde ein beschwerdeführender Antragsteller geltend machen, dass der vom Prozessgericht angenommene Zulässigkeitsmangel nicht vorliege, und eine entsprechende individuelle Überprüfung durch das Beschwerdegericht vorgenommen werden müssen. Ein tragfähiger Grund, warum die Verwerfung des Antrags als unzulässig in den ausdrücklich geregelten Fällen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 KapMuG) unanfechtbar sein sollte, in anderen Fällen der Unzulässigkeit hingegen nicht, ist demnach weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.

Für die Unanfechtbarkeit der Verwerfung des Musterverfahrensantrags wegen Unanwendbarkeit des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes spricht schließlich auch der Vergleich mit der Unanfechtbarkeit des Bekanntmachungsbeschlusses nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KapMuG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs11 ist der Bekanntmachungsbeschluss auch dann unanfechtbar, wenn geltend gemacht wird, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes nicht eröffnet sei. § 3 KapMuG enthält eine abschließende Regelung für die Bescheidung des Musterverfahrensantrags durch das Prozessgericht, die nur zwei Alternativen – die Verwerfung als unzulässig oder die Bekanntmachung des Antrags – vorsieht. Ist die Entscheidung des Gerichts in der Alternative, dass ein Bekanntmachungsbeschluss ergeht, stets, also auch bei Unanwendbarkeit des Gesetzes, unanfechtbar, so ist es sachgerecht, wenn dies auch für die andere – komplementäre – Alternative gilt. Die Beschwerdeerwiderung weist zu Recht darauf hin, dass die Unsicherheit, ob der Anwendungsbereich des KapitalanlegerMusterverfahrensgesetzes eröffnet ist, unabhängig davon auftreten kann, in welche Richtung die Entscheidung des Prozessgerichts ausfällt.

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Der Ausschluss der Anfechtbarkeit des Verwerfungsbeschlusses ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Garantie einer gerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen behauptete Rechtsverletzungen gewährleistet keinen Rechtsweg über mehrere Instanzen hinweg. Es reicht grundsätzlich aus, dass die Rechtsordnung eine einmalige Möglichkeit zur Einholung einer gerichtlichen Entscheidung eröffnet. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können12. Dieser Aufgabe hat der Gesetzgeber Genüge getan. Dem Antragsteller wird im Individualprozess in verfassungsrechtlich ausreichender Weise Rechtsschutz gewährt, und die Unanfechtbarkeit des Verwerfungsbeschlusses vermeidet, dass es zu (weiteren) Verfahrensverzögerungen kommt13. Im Übrigen steht es dem Antragsteller offen, seinen Musterverfahrensantrag – gegebenenfalls modifiziert – bei dem Prozessgericht erneut zu stellen14.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. Juli 2020 – III ZB 47/19

  1. st. Rspr.; s. zB BGH, Beschluss vom 05.11.2015 – III ZB 69/14, BGHZ 207, 306, 308 f Rn. 7 mwN; BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – XI ZB 1/17, BGHZ 222, 27, 29 Rn. 10[]
  2. LG Hamburg, Beschluss vom 07.05.2019 – 305 O 150/18[]
  3. OLG Hamburg, Beschluss vom 26.07.2019 – 13 W 41/19[]
  4. so mit unterschiedlicher Herleitung im Ergebnis auch: Großerichter in Wieczorek/Schütze, ZPO und Nebengesetze, 4. Aufl., § 3 KapMuG Rn. 5 f und Vorwerk/Wolf in Vorwerk/Stender/Radtke-Rieger, KapMuG, 2. Aufl., § 3 Rn. 4; Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Aufl., § 3 Rn. 36, 66 und Rübben, VersR 2020, 204, 207; vgl. auch BGH, Beschluss vom 08.04.2014 – XI ZB 40/11, NZG 2014, 744 Rn. 23[]
  5. s. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Reform des KapitalanlegerMusterverfahrensgesetzes, BT-Drs. 17/8799, S. 17 r. Sp.[]
  6. Gesetzentwurf aaO[][]
  7. unklar insoweit Kruis aaO Rn. 66, 102[]
  8. so auch Rübben aaO; vgl. auch BGH, Beschluss vom 30.04.2019 aaO S.19 ff Rn. 11 ff[]
  9. so auch Großerichter aaO Rn. 74; Rübben aaO[]
  10. s. dazu BGH, Beschluss vom 05.11.2015 aaO S. 311 f Rn. 16 mwN[]
  11. BGH, Beschluss vom 30.04.2019 aaO[]
  12. BVerfGE 107, 395, 401 f; 136, 382, 392 Rn. 32[]
  13. Gesetzentwurf aaO; s. auch Kruis aaO Rn. 101; Großerichter aaO Rn. 73; Rübben aaO[]
  14. Kruis aaO; Großerichter aaO[]
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