Der mitverpflichtete Ehegatte – und seine finanzielle Überforderung

Mit der Widerlegung der Vermutung der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Der mitverpflichtete Ehegatte – und seine finanzielle Überforderung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die rechtliche Qualifizierung der von dem Ehepartner oder Angehörigen des Darlehensnehmers übernommenen Verpflichtung als eigene Darlehensschuld oder als reine Mithaftung davon ab, ob der Ehepartner oder Angehörige nach dem maßgeblichen Willen der Beteiligten als gleichberechtigter Vertragspartner neben dem Darlehensnehmer einen Anspruch auf Auszahlung der Darlehensvaluta haben und im Gegenzug gleichgründig zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet sein oder aber ob er ausschließlich zu Sicherungszwecken mithaften und damit eine ihn einseitig belastende Verpflichtung übernehmen sollte. Zu den bei der Ermittlung des wirklichen Parteiwillens zu beachtenden Auslegungsgrundsätzen gehören insbesondere die Maßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung und die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner1.

In dem hier vom Bundesgerichtshof beurteilten Fall spricht der Wortlaut des vorformulierten Darlehensvertrages zwar dafür, dass die Ehefrau echte Mitdarlehensnehmerin ist. Die Bezeichnung als „Darlehensnehmerin“ deutet für sich genommen darauf hin, dass der Darlehensvertrag mit ihr und ihrem verstorbenen Ehemann gemeinsam geschlossen wurde. Dem Wortlaut ist aber angesichts der Stärke der Verhandlungsposition der kreditgewährenden Bank und der allgemein üblichen Verwendung von Vertragsformularen grundsätzlich weniger Bedeutung beizumessen als sonst2. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist als Mitdarlehensnehmer daher ungeachtet der konkreten Vertragsbezeichnung in aller Regel nur derjenige anzusehen, der für den Darlehensgeber erkennbar ein eigenes sachliches und/oder persönliches Interesse an der Kreditaufnahme hat sowie im Wesentlichen gleichberechtigt über die Auszahlung bzw. Verwendung der Darlehensvaluta bzw. bestimmter Teile davon mitentscheiden darf3.

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Ein solches Interesse an der Kreditaufnahme hatte die Ehefrau nicht. Nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsschließenden diente das Darlehen über 560.300 DM ausschließlich zur Finanzierung des Bauvorhabens auf dem im Alleineigentum des Ehemanns der Ehefrau stehenden Grundstück in G. und ist ausschließlich dazu verwandt worden. Dass die Ehefrau gleichwohl über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta oder Teilen davon als im Wesentlichen gleichberechtigte Vertragspartei mitbestimmen durfte und von einem solchen Recht ganz oder teilweise Gebrauch gemacht hat, ist nicht ersichtlich. Der Verwendungszweck, d.h. die Finanzierung des Bauvorhabens des Ehemanns der Ehefrau, war bereits im Darlehensvertrag festgelegt. Zwar mag die Errichtung des Mehrfamilienhauses in G. auch der Erzielung von Mieteinkünften und steuerlichen Vorteilen sowie der privaten Altersvorsorge gedient haben. Anders als die Revisionserwiderung mit ihrer Gegenrüge geltend macht, spricht dies aber nicht für eine gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerschaft, sondern allenfalls für einen mittelbaren Vorteil der Ehefrau aus der Kreditaufnahme4.

Im vorliegenden Fall überforderte die Mithaftungsübernahme die Ehefrau von Anfang an finanziell in krasser Weise.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Wege einer tatsächlichen Vermutung von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht, wie dies im Verhältnis zwischen Ehegatten und damit auch hier der Fall ist. Dann kann nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass der Mithaftende die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat5. Es handelt sich hierbei um eine tatsächliche Vermutung, die der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Gläubiger zu widerlegen hat6.

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die Beklagte durfte davon ausgehen, dass eine Inanspruchnahme der Ehefrau im Hinblick auf die zu Gunsten der Darlehensgeberin auf dem Grundstück in G. lastende zweitrangige Grundschuld allenfalls zu einem solch geringen Teil erfolgen würde, dass damit deren finanzielle Leistungsfähigkeit nicht überfordert würde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind anderweitige Sicherheitsleistungen des Kreditnehmers vor allem dingliche Sicherheiten im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung finanziell übermäßig belastender Bürgschaften oder Schuldbeitritte zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Betroffenen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken. Nach dem Willen verständiger Parteien darf den finanziell krass überforderten Bürgen oder Mithaftenden jedoch mit Rücksicht auf die weitere Sicherheit allenfalls eine seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigende und damit von § 138 Abs. 1 BGB nicht erfasste „Ausfallhaftung“ treffen7. Dazu muss gewährleistet sein, dass der Kreditgeber ihn erst nach einer ordnungsgemäßen Verwertung der anderen Sicherheit in Anspruch nimmt. Dies ist vorliegend nach den vertraglichen Regelungen nicht der Fall. Davon abgesehen wird die krasse finanzielle Überforderung der Ehefrau durch die Grundschuld hier zudem deshalb nicht beseitigt, weil die Grundschuld was das Berufungsgericht übersehen hat nach § 10 Abs. 1 des Darlehensvertrags vom 20.12 1994/17.01.1995 nicht nur zur Sicherung des streitgegenständlichen Darlehens, sondern auch aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der Darlehensgeberin gegen den Ehemann der Ehefrau diente8.

Diese Umstände waren der Darlehensgeberin bekannt, so dass unter diesen Gesichtspunkten eine Widerlegung der tatsächlichen Vermutung nicht in Betracht kommt. Aufgrund dessen kommt es auf die Werthaltigkeit der Grundschuld nicht mehr an.

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Auch durfte die Beklagte im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse der Ehefrau nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass diese über die in dem Schreiben ihres Ehemanns angegebenen Vermögenswerte verfügte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nicht ohne weiteres dadurch widerlegt, dass Wertangaben des Bürgen oder Mithaftenden in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags bzw. der Mithaftungserklärung erteilten Selbstauskunft seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen9. Den (subjektiven) Vorwurf der Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung des Gläubigers standhalten10. Für Angaben durch einen Dritten gilt dies erst recht.

Im vorliegenden Fall konnte nicht festgestellt werden, dass die Beklagte die Angaben des Ehemanns der Ehefrau der gebotenen sorgfältigen Überprüfung unterzogen hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann der Ehefrau in der Selbstauskunft vom 21.10.1993 die Guthaben der Ehefrau bei Kreditinstituten und Bausparkassen nur mit insgesamt 30.000 DM beziffert hat, während er in dem Schreiben vom 30.03.1995 für die Ehefrau und sich noch „weitere Geldanlagen, wie z.B. Wertpapiere ca. TDM 38, Bausparguthaben TDM 13, Wertpapieranteile TDM 20, Rückkaufwerte aus Lebensversicherungen TDM 153 und einige Kleinsparverträge“ aufgeführt hat.

Soweit die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung für die Übernahme der Mithaftung aufgrund einer emotionalen Verbundenheit der Ehefrau mit ihrem Ehemann und für das Ausnutzen dieser Lage durch die Beklagte ferner darauf gestützt werden soll, dass die Ehefrau aus der Sicht der Darlehensgeberin den Darlehensvertrag nicht aus emotionaler Verbundenheit, sondern zwecks Auszahlung der Subvention an ihren Ehemann unterzeichnet habe, trägt dies die Verneinung einer Sittenwidrigkeit ebenfalls nicht.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar ein auf einen freien Willensentschluss hindeutendes und ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit widerlegendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Ehepartners an der Darlehensgewährung grundsätzlich zu bejahen sein, wenn er zusammen mit dem Ehepartner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen11. In einem solchen Fall ist dann auch die tatsächliche Vermutung widerlegt12.

Ein solcher unmittelbarer Vorteil, wie insbesondere das Miteigentum an dem finanzierten Objekt, liegt hier aber bei der Ehefrau nicht vor. Nur mittelbare Vorteile, wie etwa eine Verbesserung des Lebensstandards oder der Wohnverhältnisse oder die Aussicht auf eine spätere Mitarbeit im Betrieb, ändern an der Sittenwidrigkeit nichts13. Ihnen kommt daher auch für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung keine Bedeutung zu.

Nichts anderes gilt, wenn für den Ehepartner mit der Darlehensgewährung die Erzielung eines verlorenen Zuschusses verbunden ist und das Darlehen in den ersten 15 Jahren zinsfrei ist. Denn auch dabei handelt es sich im Verhältnis zur Ehefrau allenfalls um mittelbare geldwerte Vorteile14. Ansonsten würde dem mithaftenden Ehepartner nur wegen der Gewährung von Eigenkapitalhilfen die Mitverantwortung für das Scheitern der Investitionspläne des anderen aufgebürdet, damit der eheliche Frieden gefährdet und der betroffene Partner allein damit einem erheblichen psychologischen Druck ausgesetzt. Dies spricht indes gerade gegen die Berücksichtigung eines verlorenen Zuschusses oder einer Zinsvergünstigung im Rahmen der Widerlegung der tatsächlichen Vermutung. Es versteht sich von selbst, dass staatliche Fördermaßnahmen nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, ob ein Dritter finanzielle Verpflichtungen übernimmt, die er nicht erfüllen kann, die ihn andererseits aber für den Rest seines Lebens auf den pfändungsfreien Betrag seiner Einkünfte beschränken, falls er nicht die Voraussetzungen für etwaige künftige gesetzliche Entschuldungsmodelle erfüllt15.

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Schließlich ist es für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung ohne Belang, dass die auf das Darlehen zu leistenden Zinsen bei Eingehung der Mithaftung noch nicht endgültig festgestanden haben. Dies gestaltet zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses16 die Prognose schwieriger, ob die Ehefrau im Zeitpunkt des Zinsbeginns die Zinslast aus ihrem Einkommen aufbringen konnte, enthebt das Berufungsgericht aber nicht von entsprechenden Feststellungen, ob die Beklagte eine solche belastbare Prognose angestellt hat, die im Ergebnis dazu geführt hat, dass aus Sicht der Darlehensgeberin eine krasse finanzielle Überforderung der Ehefrau zu verneinen gewesen wäre. Daran fehlt es hier.

In diesem Zusammenhang ist bei den Einkommensverhältnissen der Ehefrau deren Eintritt in das (Vor)Ruhestandsalter zu berücksichtigen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. November 2016 – XI ZR 32/16

  1. vgl. nur BGH, Urteile vom 25.01.2005 – XI ZR 325/03, WM 2005, 418, 419; und vom 16.06.2009 – XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rn. 14 mwN[]
  2. BGH, Urteile vom 25.01.2005 – XI ZR 325/03, WM 2005, 418, 419; und vom 16.06.2009 – XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rn. 15 mwN[]
  3. BGH, Urteile aaO[]
  4. vgl. BGH, Urteile vom 28.05.2002 – XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1650 f.; und vom 16.06.2009 – XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rn. 16[]
  5. vgl. nur BGH, Urteile vom 14.10.2003 – XI ZR 121/02, BGHZ 156, 302, 307; vom 25.01.2005 – XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 422; und vom 25.04.2006 – XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024, 1025[]
  6. vgl. nur BGH, Urteil vom 24.11.2009 – XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rn.20 mwN[]
  7. vgl. nur BGH, Urteile vom 14.11.2000 – XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 44; und vom 16.06.2009 – XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rn. 21 mwN[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 16.06.2009 – XI ZR 539/07, aaO Rn. 22 mwN[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 01.04.2014 – XI ZR 276/13, WM 2014, 989 Rn. 21 mwN[]
  10. BGH, Beschluss aaO[]
  11. BGH, Urteil vom 14.11.2000 – XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 45; BGH, Urteil vom 27.05.2003 – IX ZR 283/99, WM 2003, 1563, 1565[]
  12. vgl. BGH, Urteil vom 27.05.2003 – IX ZR 283/99, aaO[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2002 – XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1650 f.[]
  14. vgl. BGH, Urteil vom 25.01.2005 – XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 423 [staatlich gefördertes Existenzgründungsdarlehen][]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 11.03.1997 – XI ZR 50/96, BGHZ 135, 66, 71[]
  16. vgl. BGH, Urteile vom 14.11.2000 – XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 42 f.; und vom 11.02.2003 – XI ZR 214/01, BKR 2003, 288, 289[]
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