Erhält ein Kapitalanleger Kenntnis von einer bestimmten Pflichtverletzung des Anlageberaters oder ‑vermittlers, so handelt er bezüglich weiterer Pflichtverletzungen nicht grob fahrlässig, wenn er die erkannte Pflichtverletzung nicht zum Anlass nimmt, den Anlageprospekt nachträglich durchzulesen, auch wenn er bei der Lektüre des Prospekts Kenntnis auch der weiteren Pflichtverletzungen erlangt hätte [1].

Mit dieser Begründung lehnte es der Bundesgerichtshof ab, den Beginn der Verjährungsfrist auf diesen frühen Zeitpunkt vorzuverlegen:
Die hier in Rede stehenden Ansprüche wegen positiver Vertragsverletzung sind im entschiedenen Fall im Jahre 1992, nämlich mit dem Erwerb der Beteiligung an dem geschlossenen Immobilienfonds, entstanden (§ 198 Satz 1 BGB a.F.) und unterlagen zunächst der 30jährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB a.F. Zwar ist der für den Verjährungsbeginn maßgebliche Eintritt eines Schadens regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn es zu einer konkreten Verschlechterung der Vermögenslage des Gläubigers gekommen ist; der Eintritt einer risikobehafteten Situation reicht dafür regelmäßig nicht [2]. Jedoch kann der auf einer Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung beruhende Erwerb einer für den Anlageinteressenten nachteiligen, weil seinen konkreten Anlagezielen und Vermögensinteressen nicht entsprechenden Kapitalanlage bereits für sich genommen einen Schaden darstellen und ihn deshalb – unabhängig von der ursprünglichen Werthaltigkeit der Anlage – dazu berechtigen, im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung zu verlangen; der Anspruch entsteht hierbei schon mit dem (unwiderruflichen und vollzogenen) Erwerb der Anlage [3]. So liegt der Fall auch hier:
Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 EGBGB gilt seit dem 1. Januar 2002 für bis dahin nicht verjährte Schadensersatzansprüche die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB n.F. Hierbei setzt der Beginn der Frist allerdings das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB voraus, das heißt der Gläubiger muss von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben oder seine diesbezügliche Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhen [4]. Für eine dahingehende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis trägt der Schuldner – hier also die beklagte Bank – die Darlegungs- und Beweislast [5].
Grobe Fahrlässigkeit setzt dabei einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt vor-aus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat [6]. Hierbei trifft den Gläubiger aber generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können [7].
Geht es – wie hier – um den Vorwurf verschiedener Aufklärungs- oder Beratungsfehler, sind die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB allerdings getrennt für jede einzelne Pflichtverletzung zu prüfen. Wird ein Schadensersatzanspruch auf mehrere Fehler gestützt, beginnt die Verjährung daher nicht einheitlich, wenn bezüglich eines Fehlers Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt und dem Anleger insoweit eine Klage zumutbar wäre. Vielmehr ist jede Pflichtverletzung verfahrensrechtlich selbständig zu behandeln. Dem Gläubiger muss es in einem solchen Fall auch unbenommen bleiben, eine ihm bekannt gewordene Pflichtverletzung – selbst wenn eine darauf gestützte Klage auf Rückabwicklung des Vertrags erfolgversprechend wäre – hinzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst aber noch unbekannten Pflichtverletzungen zu verjähren beginnen [8].
Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Juli 2010 – III ZR 203/09
- Fortführung von BGH, Urteil vom 08.07.2010 – III ZR 249/09[↩]
- vgl. nur BGHZ 73, 363, 365; 100, 228, 231 f; 124, 27, 30[↩]
- vgl. – jeweils m.w.N. – nur BGHZ 162, 306, 309 f; BGH, Urteil vom 08.07.2010 – III ZR 249/09[↩]
- vgl. nur BGHZ 171, 1, 7 ff Rn. 19 ff; 179, 260, 276 Rn. 46; BGH, Urteile vom 19.11.2009 – III ZR 169/08, BKR 2010, 118, 119; vom 08.07.2010, aaO[↩]
- vgl. nur BGHZ 171, 1, 11; BGH, Urteile vom 03.06.2008 – XI ZR 319/06, ZIP 2008, 1714, 1717; und vom 08.07.2010, aaO[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 23.09.2008 – XI ZR 262/97, ZIP 2008, 2164, 2165; vom 10.11.2009 – VI ZR 247/08, VersR 2010, 214, 215; BGH, Urteil vom 08.07.2010, aaO, m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2009, aaO, S. 216, m.w.N.; BGH, Urteil vom 08.07.2010, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 09.11.2007 – V ZR 25/07, NJW 2008, 506, 507; BGH, Urteil vom 19.11.2009, aaO S. 119 f[↩]