Feststellungsziele im Kapitalanleger-Musterverfahren – unbegründet oder gegenstandslos?

Hat das Oberlandesgericht in einem Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz das Feststellungsziel 1 als unbegründet zurückgewiesen und den Vorlagebeschluss hinsichtlich des Feststellungsziels 2 für gegenstandslos erklärt, kann das Rechtsbeschwerdegericht – auf eine Rechtsbeschwerde auf Seiten des Musterklägers hin, mit der die Feststellungsziele 1 und 2 weiterverfolgt werden – die Entscheidung dahingehend abändern, dass es das Feststellungsziel 2 als unbegründet zurückweist und den Vorlagebeschluss hinsichtlich des Feststellungsziels 1 für gegenstandslos erklärt.

Feststellungsziele im Kapitalanleger-Musterverfahren – unbegründet oder gegenstandslos?

So konnte im hier entschiedenen Fall für den Bundesgerichtshof dahingestellt bleiben, ob das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass keine Prospektfehler vorliegen. Denn die Rechtsbeschwerden haben bereits aus einem anderen Grund im Ergebnis keinen Erfolg. Das Feststellungsziel 2 ist wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückzuweisen. Somit ist der Vorlagebeschluss nicht nur wie vom Oberlandesgericht bereits festgestellt hinsichtlich des Feststellungsziels 3, sondern auch hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f gegenstandslos. 

Durch das Feststellungsziel 2 sollte nur eine Haftung der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Das Feststellungsziel 2 enthält zwar keine derartige Einschränkung bei der Aussage, dass die Beklagten verpflichtet waren, alle Anleger richtig und vollständig aufzuklären. Das Feststellungsziel 3 bezieht sich hingegen ausdrücklich auf ein schuldhaftes Handeln „bei der Veröffentlichung des Prospekts“. Auch aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass es jeweils um die Haftung für den Inhalt des Prospekts geht. Beide Feststellungsziele stellen ausdrücklich auf die Prospekthaftung im weiteren Sinne ab. Im Feststellungsziel 2 geht es um die Passivlegitimation der Musterbeklagten und das Vorliegen einer Pflichtverletzung, im Feststellungsziel 3 um das Verschulden. Das Feststellungsziel 2 ist daher im Einklang mit dem Feststellungsziel 3 so auszulegen, dass auch die im Feststellungsziel 2 angesprochene Pflichtverletzung nur in der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung bestehen kann. Zudem sind Feststellungsziele so auszulegen, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird. Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft1.

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Die begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten als (Rechtsnachfolger der) Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird was der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat2 vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.

Auf den am 24.09.2007 veröffentlichten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 01.07.2005 bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind3. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes als Prospektveranlasser unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospektes verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospektes gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist4.

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Nach diesen Grundsätzen sind die Musterbeklagten Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Sie sind was bereits ausreicht Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaft, hier mit Kommanditeinlagen von 20.000 € (Musterbeklagte zu 1), 5.000 € (Musterbeklagte zu 2) und 10.000 € (Musterbeklagte zu 3) bei einem Gesamtkommanditkapital von 65.000 €. Die Musterbeklagte zu 1 war darüber hinaus im Prospekt als 100%ige „Gesellschafterin“ der I. M. F. AG bezeichnet, welche Prospektherausgeberin und Anbieterin war, und hatte eine Platzierungsgarantie abgegeben. Eine 100%ige Tochtergesellschaft der Musterbeklagten zu 1 war mit dem Vertrieb beauftragt. Die Musterbeklagte zu 2 fungierte als Treuhandkommanditistin und hatte auch die Mittelverwendung/Mittelfreigabe übernommen. Die Musterbeklagte zu 3 war neben ihrer Stellung als Gründungskommanditistin die Vertragsreederin.

Sämtliche Musterbeklagten hafteten mithin als Veranlasser für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung des unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen5. Das Feststellungsziel 2 ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

Weil der Antrag zu dem Feststellungsziel 2 in der Sache unbegründet ist, ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 1a, 1b, 1c, 1f und 3 gegenstandslos.

Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist6.

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Das ist hier für die Feststellungsziele 1a, 1b, 1c und 1f, die jeweils Prospektfehler zum Gegenstand haben, und hinsichtlich des Feststellungsziels 3, das sich auf ein Verschulden der Musterbeklagten bezieht, der Fall. Der Vorlagebeschluss ist dahin auszulegen, dass die Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen7. Im Vorlagebeschluss ist ausgeführt, dass die Parteien sämtlicher Musterverfahrensanträge um Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne streiten würden. Das Verschulden soll nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Feststellungsziels 3 ebenfalls nur im Hinblick auf eine Prospekthaftung im weiteren Sinn festgestellt werden. Da eine solche Haftung aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu Prospektfehlern und zum Verschulden nicht mehr an.

Der Bundesgerichtshof ist zu einer entsprechenden Änderung des Musterentscheids befugt.

Eine Schlechterstellung ist damit nicht verbunden. Der Musterklägerseite, die hier als einzige Rechtsbeschwerde eingelegt hat und eine Sachentscheidung hinsichtlich der von ihr weiterverfolgten Feststellungsziele begehrt, ist dadurch, dass der Vorlagebeschluss im Musterentscheid hinsichtlich des Feststellungsziels 2 für gegenstandslos erklärt worden ist, keine Rechtsposition irgendeiner Art zuerkannt worden. Damit hat das Oberlandesgericht nur zum Ausdruck gebracht, dass es dieses Feststellungsziel nicht mehr für entscheidungserheblich hält und eine Beantwortung der darin enthaltenen Tatsachen- oder Rechtsfrage daher nicht erfolgt8.

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Der Bundesgerichtshof ist zudem weder durch den Vorlagebeschluss noch durch den Musterentscheid an eine bestimmte Prüfungsreihenfolge der Feststellungsziele gebunden8.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Oktober 2021 – XI ZB 26/19

  1. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 21[]
  2. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff.[]
  3. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 24 mwN[]
  4. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, aaO[]
  5. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26[]
  6. BGH, Beschlüsse vom 22.11.2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106; vom 19.09.2017 – XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 49; vom 23.10.2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 61; und vom 06.10.2020 – XI ZB 28/19, WM 2020, 2411 Rn. 54[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 19.09.2017 – XI ZB 17/15, BGHZ 216, 37 Rn. 54[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 22.11.2016 – XI ZB 9/13, BGHZ 213, 65 Rn. 106[][]