Haftung des Anlageberaters – und die Verjährung bei grob fahrlässiger Unkenntnis

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus.

Haftung des Anlageberaters – und die Verjährung bei grob fahrlässiger Unkenntnis

Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wie etwa dann, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben.

Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung, eine schwere Form von „Verschulden gegen sich selbst“ vorgeworfen werden können. Sein Verhalten muss schlechthin „unverständlich“ beziehungsweise „unentschuldbar“ sein.

Hierbei unterliegt die Feststellung, ob die Unkenntnis des Gläubigers von verjährungsauslösenden Umständen auf grober Fahrlässigkeit beruht, als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung einer Überprüfung durch das Revisionsgericht nur dahingehend, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften gewürdigt worden ist, und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grads des Verschuldens wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat1.

Ob grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorliegt, wenn ein Kapitalanleger eine Risikohinweise enthaltende Beratungsdokumentation ungelesen unterzeichnet, muss der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls feststellen. Weder lässt sich allgemeingültig sagen, dass das ungelesene Unterzeichnen einer Beratungsdokumentation stets den Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis von hieraus ersichtlichen Pflichtverletzungen begründet, noch ist es zutreffend, allgemein grobe Fahrlässigkeit abzulehnen, wenn ein Anleger eine Beratungsdokumentation ungelesen unterschreibt2.

Weiterlesen:
Verharmlosung der Anlagerisiken im Werberundschreiben des Anlagevermittlers

Im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bedeutete dies: Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung diese Grundsätze zutreffend zu Grunde gelegt und die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung zu berücksichtigenden Kriterien erkannt. Es ist in einer einzelfallbezogenen Würdigung der Umstände des vorliegenden Falles ohne Verstoß gegen Denkgesetze, allgemeine Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften zu dem jedenfalls vertretbaren Ergebnis gekommen, dass der Kläger hier grob fahrlässig handelte. Es hat dabei ohne Rechtsfehler als wesentliches Kriterium berücksichtigt, dass die Risikohinweise hier grafisch besonders hervorgehoben waren, in einem Block mit drucktechnisch hervorgehobener Überschrift „Risiken der Beteiligung“ standen und die Unterschrift in engem räumlichen Anschluss an die Risikohinweise zu leisten war3. Das Vorbringen der Revision gegen diese tatrichterliche Würdigung greift nicht durch. Diese ist insbesondere nicht deshalb fehlerhaft, weil das Berufungsgericht nicht ausdrücklich auf das besondere persönliche Vertrauen zum Berater, eine fehlende Erörterung im Rahmen der Unterzeichnung des Beratungsprotokolls sowie die Tatsache, dass dieses nicht der Aufklärung dient, eingegangen ist. Das Berufungsgericht, das die zu berücksichtigenden Kriterien erkannt hat, durfte sich bei seinen weiteren Ausführungen auf die Darlegung der für seine Entscheidung wesentlichen Umstände beschränken. Dies gilt hier umso mehr, als der Kläger die bereits vom Landgericht angenommene; und vom Berufungsgericht in seinem Hinweisbeschluss vom 06.06.2018 bestätigte Auffassung, bei Berücksichtigung lediglich des Hauptvorbringens liege jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis und damit Verjährung des Anspruchs wegen nicht anlegergerechter Beratung vor, weder in der Berufungsbegründung noch in der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss substantiiert angegriffen und hierzu auf die nunmehr in der Revision vorgebrachten Umstände verwiesen hat. Das Berufungsgericht hatte auch deshalb keinen Anlass, hierauf einzugehen.

Weiterlesen:
Widerspruchsfrist bei Lastschriften

Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. Juli 2019 – III ZR 202/18

  1. vgl. nur BGH, Urteil vom 20.07.2017III ZR 296/15, NJW 2017, 3367 Rn. 24 und BGH, Versäumnisurteil vom 23.03.2017 – III ZR 93/16, NJW 2017, 2187 Rn. 8; jeweils mwN[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2017 – III ZR 296/15, NJW 2017, 3367 Rn. 25[]
  3. vgl. hierzu BGH, Versäumnisurteil vom 23.03.2017 – III ZR 93/16, NJW 2017, 2187 Rn. 11[]