Kapitalanleger-Musterverfahren – und die Feststellungsziele

Feststellungsziele sind so auszulegen, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird.

Kapitalanleger-Musterverfahren – und die Feststellungsziele

Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft1.

Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts München2 ist eine geltend gemachte Feststellung nicht zu treffen, wenn eine Haftung der Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird – was der Bundesgerichtshof wiederholt entschieden hat3 – durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt:

Auf den am 8.03.2006 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 01.07.2005 bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.

Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind4. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes als Prospektveranlasser unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospekts verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospekts gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist5.

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Nach diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall die Musterbeklagten Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Sie sind was bereits ausreicht6 Gründungsgesellschafterinnen der Fondsgesellschaft mit Kommanditeinlagen von 500 € bzw. 10.000 €. Dass die Musterbeklagte zu 1 nach dem Beitritt des ersten Anlegers im Jahr 2006 planmäßig aus der Fondsgesellschaft ausgeschieden ist, ändert nichts an ihrer Eigenschaft als Gründungsgesellschafterin.

Die Musterbeklagten hafteten mithin als Prospektverantwortliche für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung des unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen7. Dies gilt auch für die vom Oberlandesgericht bejahte Haftung der Musterbeklagten zu 1 aus ihrer Stellung als Beteiligungsverwalterin gegenüber den Anlegern, die sich erst nach dem Ausscheiden der Musterbeklagten zu 1 aus der Fondsgesellschaft als Kommanditisten beteiligt haben. Denn das Oberlandesgericht stellt dabei entscheidend auf die frühere Stellung der Musterbeklagten zu 1 als Gründungsgesellschafterin ab.

Das Feststellungsziel ist daher als unbegründet zurückzuweisen, soweit es um den mit dem Feststellungsziel geltend gemachten Prospektfehler geht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. April 2022 – XI ZB 32/19

  1. BGH, Beschlüsse vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 21; und vom 11.01.2022 – XI ZB 1/21 16[]
  2. OLG München, Musterentscheid vom 26.09.2019 – 23 Kap 2717[]
  3. vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 23.10.2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 54 ff. [zu § 127 Abs. 1 InvG in der Fassung vom 21.12.2007]; vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff.; und vom 11.01.2022 – XI ZB 1/21 17 ff.[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 24; und vom 11.01.2022 – XI ZB 1/21 21, jeweils mwN[]
  5. BGH, Beschlüsse aaO[]
  6. BGH, Beschlüsse vom 12.10.2021 – XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 24; und vom 11.01.2022 – XI ZB 1/21 22[]
  7. BGH, Beschlüsse vom 19.01.2021 – XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 26; und vom 11.01.2022 – XI ZB 1/21 23[]
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