Im Rahmen eines Kapitalanleger-Musterverfahren sind Feststellungsziele, mit denen die gerichtliche Zuständigkeit nach § 32b ZPO geklärt werden soll, zulässig. Diese Feststellungsziele sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG klärungsfähig.

Das Rechtsbeschwerdegericht ist weder durch § 20 Abs. 1 Satz 3 KapMuG noch durch § 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG daran gehindert zu prüfen, ob das Feststellungsziel, über das durch Musterentscheid entschieden wurde, Gegenstand eines Musterverfahrens sein kann1.
Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht Braunschweig in der Vorinstanz zu Unrecht angenommen, dass die Feststellungsziele auf die Klärung einer Rechtsfrage im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG gerichtet seien2. Das Feststellungsziel betrifft eine Rechtsfrage, wenn eine die Auslegung einer Rechtsnorm betreffende Frage abstrakt beantwortet werden und die Anwendung des Rechts im Einzelfall dem Prozessgericht vorbehalten bleiben soll3. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Mit den Feststellungszielen, über die das Oberlandesgericht entschieden hat, soll nicht nur geklärt werden, wie der Begriff des „betroffenen Emittenten“ in § 32 Abs. 1 KapMuG abstrakt zu verstehen ist. Die Feststellungsziele betreffen auch die konkrete Rechtsanwendung im Einzelfall. Es soll beantwortet werden, ob die Musterbeklagten in den konkret erhobenen Klagen als betroffener Emittent anzusehen sind und ob für diese Klagen ein ausschließlicher Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO beim Landgericht Stuttgart bzw. beim Landgericht Braunschweig begründet ist.
Die Feststellungsziele betreffen aber die Feststellung von anspruchsbegründenden Voraussetzungen im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Der Begriff der anspruchsbegründenden Voraussetzungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG umschließt auch die Voraussetzungen der Zulässigkeit der Klage, hier solche der örtlichen Zuständigkeit. Das Musterverfahren ist nicht auf die Klärung materiell-rechtlicher Anspruchsvoraussetzungen beschränkt, sondern erfasst auch die Voraussetzungen des prozessualen Anspruchs4. Zu diesen gehören alle Voraussetzungen, die eine dem Kläger günstige Sachentscheidung über den Streitgegenstand ermöglichen. Eine Beschränkung auf die Voraussetzungen materiell-rechtlicher Ansprüche ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und der Begründung des Regierungsentwurfs nicht5. Der Regierungsentwurf zu § 2 KapMuG aF benennt zwar exemplarisch Voraussetzungen für materiell-rechtliche Ansprüche, lässt aber nicht erkennen, dass insoweit eine Einschränkung beabsichtigt war6. Eine solche Einschränkung stünde dem Sinn und Zweck des Musterverfahrens entgegen, in dem sich, wie der vorliegende Fall deutlich macht, verallgemeinerungsfähige Fragen auch auf der Ebene der Zulässigkeit der Klagen stellen können.
Der Klärungsfähigkeit der Feststellungsziele und deren Bestimmtheit steht es im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass sich die Annahme der Zuständigkeit des Prozessgerichts aus dem individuellen Prozessgeschehen und der Anwendung weiterer Normen, insbesondere der §§ 36, 281, 282 Abs. 3 Satz 1 und 2 und § 513 Abs. 2 ZPO, ergeben kann. Die Feststellungsziele betreffen nur den ausschließlichen Gerichtsstand nach § 32b ZPO und ihnen liegen allgemein klärungsfähige Tatsachen und Rechtsfragen zu Grunde.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juli 2020 – II ZB 19/19
- BGH, Beschluss vom 13.12.2011 – II ZB 6/09, ZIP 2012, 117 Rn. 13; Beschluss vom 21.10.2014 – XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1 Rn. 135; Beschluss vom 23.10.2018 – XI ZB 3/16, ZIP 2019, 25 Rn. 70[↩]
- OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.08.2019 – 3 Kap 1/16, ZIP 2019, 1829[↩]
- Kruis in KK-KapMuG, 2. Aufl., § 2 Rn. 53; Großerichter in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 2 KapMuG Rn.19; Vorwerk/Stender in Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2. Aufl., § 2 Rn. 18; Hanisch, Das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz [KapMuG] Anwendungsfragen und Rechtsdogmatik, 2011, S. 92 ff.[↩]
- Kruis in KK-KapMuG, 2. Aufl., § 2 Rn. 36; aA Maier-Reimer/Wilsing, ZGR 2006, 79, 99[↩]
- BT-Drs. 17/8799, S. 17[↩]
- BT-Drs. 15/5091, S.20[↩]