Feststellungsziele, die nicht die Verwendung einer öffentlichen Kapitalmarktinformation im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG betreffen, sind im Musterverfahren unstatthaft.

Dies gilt insbesondere, wenn sich die Feststellungsziele nicht auf die Verwendung einer öffentlichen Kapitalmarktinformation beziehen, sondern allgemein auf vorvertragliche und gesellschaftsvertragliche Aufklärungspflichten, deren Erfüllung durch die Verwendung einer öffentlichen Kapitalmarktinformation sie nicht voraussetzen.
Aufklärungsfehler, die ohne Bezug zu einer öffentlichen Kapitalmarktinformation begangen worden sein sollen, können auch nach der Novelle des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes im Jahr 2012 nicht – auch nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG – Gegenstand eines Musterverfahrens sein1.
Dagegen soll das Ziel festzustellen, die Verwendung des Prospekts stelle Verletzungen von Pflichten durch die Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter gegenüber den Treugebern der Fondsgesellschaft dar, die Frage allein für einen möglichen Anspruch der Anleger gegen die Musterbeklagten beantworten, der sich daraus ergeben kann, dass die Musterbeklagten die ihnen als künftiger Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB obliegenden vorvertraglichen Pflichten durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung verletzt haben2.
Im hier entschiedenen Fall ließ sich dieses (zulässige) Feststellungsziel sich dem Antrag im Wege der Auslegung entnehmen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann das Revisionsgericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen3. Das gilt auch für ein zur Entscheidung gestelltes und in den Vorlagebeschluss aufgenommenes Feststellungsziel. Das Auslegungsergebnis folgt dem Grundsatz, dass Prozesserklärungen so auszulegen sind, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird. Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung4 anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft5.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/18
- BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – XI ZB 13/18, BGHZ 222, 15 Rn. 16[↩]
- so für den parallelen Fall der vorvertraglichen Haftung einer Kapitalanlagegesellschaft: BGH, Beschluss vom 23.10.2018 – XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 15 und 59[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 27.05.2008 – XI ZR 132/07, WM 2008, 1260 Rn. 45; und vom 16.05.2017 – XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 11[↩]
- BGH, Beschluss vom 30.04.2019 – XI ZB 13/18, BGHZ 222, 15 Rn. 17[↩]
- BGH, Beschluss vom 23.10.2018, aaO, Rn. 59[↩]