Die Parteien können den Gegenstand eines Kapitalanleger-Musterverfahrens nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht erweitern.

Zwar ist die in § 13 Abs. 1 KapMuG aF enthaltene Bestimmung, dass ergänzende Musterfeststellungsanträge „bis zum Abschluss des Musterverfahrens“ gestellt werden müssten, ihrem Wortlaut nach nicht eindeutig. Für diese Auslegung sprechen aber die Gesetzesmaterialien, der systematische Zusammenhang und der Sinn und Zweck des § 13 Abs. 1 KapMuG aF.
Die Begründung zum Regierungsentwurf des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes aF geht ausdrücklich davon aus, dass Erweiterungen des Verfahrensgegenstands des Musterverfahrens nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich seien1. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber diese Vorstellung mit der Übernahme der dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 KapMuG aF entsprechenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses2 aufgegeben hätte. Der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 13 KapMuG aF lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass gegenüber der Fassung des Regierungsentwurfs eine Änderung bezüglich des maßgebenden Zeitpunkts erfolgen sollte.
Dieser Befund wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 15 KapMuG, der die Wendung „bis zum Abschluss des Musterverfahrens“ nicht mehr enthält. Darin wird ausgeführt, dass Erweiterungsanträge vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung zu stellen seien und allenfalls eine Wiedereröffnung nach § 156 ZPO in Betracht komme3. Hätte dies aus Sicht des Gesetzgebers eine Änderung oder jedenfalls eine Klarstellung gegenüber § 13 KapMuG aF bedeutet, so wäre zu erwarten gewesen, dass sich in der Gesetzesbegründung eine ausdrückliche Erwähnung finden würde, was aber – im Gegensatz zu anderen dort angesprochenen Punkten wie der Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf das Oberlandesgericht und der Streichung des Begriffs „Gegenstand des Musterverfahrens“ – gerade nicht der Fall ist.
Demgegenüber spricht nichts für die Auffassung des Musterklägers, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung „bis zum Abschluss des Musterverfahrens“ den Zeitpunkt des Erlasses des Musterentscheids gemeint haben könnte oder sogar erst den des Eintritts der Rechtskraft. Nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen4. Allenfalls können sie zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO führen. Hätte der Gesetzgeber von diesen allgemein anerkannten Grundsätzen abweichen wollen, obwohl er noch in der Begründung des Regierungsentwurfs eben hiervon ausgegangen war, wären entsprechende Ausführungen zu erwarten gewesen.
Auch die in § 9 KapMuG aF angeordnete Anwendung der im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung stützt diese Auslegung des § 13 KapMuG aF. So ist eine Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO nach Schluss der mündlichen Verhandlung vorbehaltlich einer Wiedereröffnung gemäß § 156 ZPO grundsätzlich ausgeschlossen. Zwar lassen sich die Begrifflichkeiten der Zivilprozessordnung nicht ohne weiteres auf das Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz übertragen. Auch sollte § 13 KapMuG aF nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerade eine Spezialvorschrift zu § 263 ZPO sein1. Gleichwohl zeigt schon die ausdrückliche Erwähnung des § 263 ZPO in der Begründung des Regierungsentwurfs, dass ein Vergleich der Erweiterung des Gegenstands des Musterverfahrens gemäß § 13 KapMuG aF mit einer Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO jedenfalls nahe liegt.
Auch die Sperrwirkung des § 5 KapMuG aF spricht für kein anderes Ergebnis. Zwar ist es richtig, dass die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens in allen gemäß § 7 KapMuG aF auszusetzenden Verfahren mit Erlass des Vorlagebeschlusses unzulässig ist (so auch weiterhin §§ 7 f. KapMuG nF). Hieraus lässt sich aber auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – mit Blick auf die Gebote der Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs – nicht schließen, dass mit dem Begriff „Abschluss des Musterverfahrens“ im Sinne von § 13 KapMuG aF der Eintritt der Bindungswirkung gemäß § 16 KapMuG aF gemeint sein müsse, um es den Parteien zu ermöglichen, bis dahin – unter Umständen also sogar während eines laufenden Rechtsbeschwerdeverfahrens gegen den Musterentscheid – eine Erweiterung des Gegenstands des Musterverfahrens zu erwirken. Denn eine Einführung neuer Gesichtspunkte in die Ausgangsverfahren bleibt vorbehaltlich der dort anzuwendenden Präklusionsvorschriften grundsätzlich ebenso möglich wie die Erhebung einer neuen Klage im Falle einer beabsichtigten, aber nach Schluss der mündlichen Verhandlung grundsätzlich ausgeschlossenen Klageänderung.
Im Übrigen widerspräche – bei unterstellter Möglichkeit der Erweiterung des Musterverfahrens noch nach Schluss der mündlichen Verhandlung – der Erlass eines Teilmusterentscheids Sinn und Zweck des Musterverfahrens. Das Ziel des Musterverfahrens, den Rechtsschutz des Einzelnen in sog. „Streuschadenfällen“ effektiver zu gestalten, würde konterkariert, wenn ein Teil des Musterverfahrens noch beim Oberlandesgericht und ein anderer Teil bereits beim Bundesgerichtshof anhängig wäre. Selbst bei Eintritt der – dann nur teilweisen – Bindungswirkung gemäß § 16 KapMuG aF erschiene die Fortführung der Ausgangsverfahren vor der endgültigen Entscheidung über alle im Musterverfahren zu klärenden Fragen zumindest unpraktikabel und weniger sinnvoll als die Einführung der beabsichtigten Erweiterungen in die jeweiligen Ausgangsverfahren nach rechtskräftigem Abschluss des – nicht erweiterten – Musterverfahrens.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Januar 2015 – II ZB 11/14