Die mit der Zustellung eines Mahnbescheids verbundene Hemmungswirkung erfasst den Streitgegenstand insgesamt und somit auch alle materiellrechtlichen Ansprüche, die zum Streitgegenstand gehören. Demgemäß erstreckt sich die Hemmungswirkung bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs im Mahnantrag auf alle im Rahmen der Anlageberatung unterlaufenen Beratungsfehler1.

Die § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO widerstreitende Geltendmachung des „großen“ Schadensersatzes, der nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines erlangten Vorteils zu gewähren ist, stellt, wenn der Antragsteller entgegen § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht, einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen2.
Zwar ist die Verjährung mehrerer eigenständiger und hinreichend deutlich voneinander abgrenzbarer Pflichtverletzungsvorwürfe in Anlageberatungsfällen materiellrechtlich selbständig zu beurteilen. Die kenntnisabhängige regelmäßige Verjährungsfrist nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB berechnet sich für jeden dieser Beratungsfehler gesondert, so dass die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB für jede Pflichtverletzung getrennt zu prüfen sind3. Die Reichweite der Hemmungswirkung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen gemäß § 204 Abs. 1 BGB beurteilt sich jedoch – ebenso wie die materielle Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO – nicht nach dem einzelnen materiellrechtlichen Anspruch, sondern nach dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch. Dieser erfasst alle materiellrechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen, in Anlageberatungsfällen folglich sämtliche Pflichtverletzungen eines zu einer Anlageentscheidung führenden Beratungsvorgangs, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Pflichtverletzungen vorgetragen worden sind oder vorgetragen hätten werden können4. Dementsprechend wird die Verjährung der Ansprüche für jeden einer Anlageentscheidung zugrunde liegenden Beratungsfehler gehemmt, wenn in unverjährter Zeit wegen eines oder mehrerer Beratungsfehler Klage erhoben oder ein Mahn- oder Güteverfahren eingeleitet wird5.
Ob die Angabe der Beteiligung und des Zeichnungsdatums zur Individualisierung des geltend gemachten (Zahlungs)Anspruchs genügt, konnte in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob für den von der Anlegerin geltend gemachten Freistellungsanspruch die Zustellung des Mahnbescheids eine Hemmung der Verjährung schon deshalb nicht bewirken konnte, weil dieser Anspruch nicht Gegenstand des Mahnverfahrens war. Denn es war der Anlegerin vorliegend jedenfalls nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf eine Hemmung der Verjährung zu berufen:
Zwar kommt es für den Eintritt der Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB nicht auf die Zulässigkeit, sondern allein auf die Wirksamkeit des auf den Mahnantrag erlassenen und zugestellten Mahnbescheids an, so dass bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs dessen Verjährung auch dann gehemmt wird, wenn der Mahnantrag an Mängeln leidet oder sogar (etwa im Hinblick auf § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unzulässig ist6.
Die Berufung auf die durch Zustellung eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann jedoch rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei7.
So lag es auch in dem hier entschiedenen Fall.
Das Mahnverfahren findet gemäß § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht statt, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist. Dementsprechend muss der Mahnantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Erklärung enthalten, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder dass die Gegenleistung erbracht ist. Dies gilt auch dann, wenn sich der Antragsgegner hinsichtlich der Gegenleistung im Annahmeverzug befindet8.
Vom Anwendungsbereich der Regelung in § 688 Abs. 2 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO werden nicht nur die Fälle des Zurückbehaltungsrechts nach §§ 273, 320 BGB erfasst, sondern sämtliche Ansprüche, die Zug um Zug zu erfüllen sind, also auch der Anspruch auf den sogenannten „großen“ Schadensersatz, bei dem Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines vom Geschädigten durch das schädigende Ereignis adäquat kausal erlangten Vorteils beansprucht werden darf9. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollten sämtliche Rechtsverhältnisse, bei denen von keiner Seite voraus, sondern Zug um Zug zu leisten ist, dem Mahnverfahren entzogen werden, weil es sich hierbei nicht um voraussichtlich unstreitige Ansprüche handele10.
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Solange Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten. Hierzu bedarf es keines besonderen Antrags oder einer Einrede des Schädigers; der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist vielmehr von vornherein nur mit dieser Einschränkung begründet11. Die Verknüpfung des Schadens mit dem Vorteil ist mithin unter diesem Aspekt noch stärker als in den Fällen, in denen sich der Schuldner erst auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen muss (§§ 273, 274, 320, 322, 348 BGB), um eine Verbindung zwischen Leistung und Gegenleistung herzustellen12.
Die demnach § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO widerstreitende Geltendmachung des „großen“ Schadensersatzes, der nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines erlangten Vorteils zu gewähren ist, stellt, wenn der Antragsteller entgegen § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht, einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen13. Denn der Antragsteller, dem der Gesetzgeber eine Erleichterung auf dem Weg zu einem vollstreckungsfähigen Titel nur gegen eine klare Festlegung zu den Voraussetzungen des Mahnverfahrens gewährt, überspielt auf diese Weise zielgerichtet die Sicherungen, die das Mahnverfahren als Kompensation für die lediglich begrenzte Schlüssigkeitsprüfung zugunsten des Antragsgegners vorsieht14.
Vorliegend ließ die Anlegerin, die sich das Verhalten ihrer vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 166 BGB, § 85 Abs. 2 ZPO), in ihrem Mahnantrag bewusst wahrheitswidrig angeben, dass ihre Gegenleistung erbracht sei.
Entgegen der Erklärung im Mahnantrag war die der Anlegerin obliegende Gegenleistung, nämlich die Übertragung ihrer Beteiligung an dem Fonds auf die Anlageberaterin, nicht erbracht worden. Ihre Absichtserklärung im Anspruchsschreiben reicht für die Erbringung der Gegenleistung nicht aus.
Die Unrichtigkeit dieser Angabe war den Rechtsanwälten der Anlegerin auch bewusst.
Bereits aus dem Angebot im Anspruchsschreiben, Zug um Zug gegen Schadensersatz die Beteiligungsrechte der Anlegerin am Fonds auf die Anlageberaterin zu übertragen, und aus der damit korrespondierenden Zugum-Zug-Beschränkung des Zahlungsbegehrens in der Anspruchsbegründung ist ersichtlich, dass den damaligen Prozessbevollmächtigten der Anlegerin die Unvereinbarkeit ihrer Verfahrensweise mit § 688 Abs. 2 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vor Augen stand. Vor dem Hintergrund dieser Angaben und der einschlägigen juristischen Erfahrung der Rechtsanwälte der Anlegerin ist es auszuschließen, dass mit der laut Mahnantrag bereits erbrachten „Gegenleistung“ guten Glaubens die Zahlung der Zeichnungssumme nebst Agio oder die Offerte zur Übereignung der Beteiligung im Anspruchsschreiben gemeint gewesen sein könnte.
Unbeschadet dessen WURDE das Mahnverfahren von den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Anlegerin gezielt gewählt, um angesichts der Vielzahl der Mandate kostensparend und ohne größeren Aufwand noch rechtzeitig vor dem Ablauf der (für alle sogenannten „Altfälle“ geltenden) kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr.1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB am 2.01.2012 (Montag) eine Verjährungshemmung herbeizuführen – obschon ihnen bewusst war, dass seitens der Anlegerin die Verpflichtung besteht, die erworbene Beteiligung Zug um Zug an die Anlageberaterin zu übertragen. Dass es zur Herbeiführung der Verjährungshemmung auch möglich gewesen wäre, eine kurze einfache – gegebenenfalls auch unschlüssige – Klage zu erheben, hilft der Anlegerin nicht weiter, weil dieser Weg gerade nicht eingeschlagen wurde, sondern der gemäß § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO von Gesetzes wegen versperrte Weg des Mahnverfahrens. Ebenso unbehelflich ist der Verweis auf die Alternative der Geltendmachung des „kleinen“ Schadensersatzes (Differenzschaden), denn ein solches Verlangen stand hier zu keiner Zeit im Raum.
Wenn der Gläubiger eine unzulässige oder unschlüssige Klage erhebt, wird der Schuldner durch die richterliche Zulässigkeits- und Schlüssigkeitsprüfung vor einem klagestattgebenden (Versäumnis)Urteil bewahrt, wohingegen im Mahnverfahren lediglich eine begrenzte Schlüssigkeitsprüfung stattfindet15. Im Übrigen kommt auch einem unzulässigen Mahnantrag eine verjährungshemmende Wirkung zu. Ob sich der Gläubiger jedoch auf diese Hemmungswirkung berufen kann, ist davon abhängig, ob er sich insoweit – etwa durch bewusst unwahre Angaben – rechtsmissbräuchlich verhalten hat. Letzteres ist hier indes, wie ausgeführt, der Fall.
Den „kleinen“ Schadensersatz (Differenzschaden) macht die Anlegerin nicht geltend. Abgesehen davon ist es dem Gläubiger im Regelfall nach § 242 BGB auch verwehrt, sich (wenigstens) auf eine Hemmung der Verjährung in Höhe des „kleinen“ Schadensersatzes zu berufen, wenn er im Mahnverfahren als Antragsteller in Kenntnis der Vorgaben in § 688 Abs. 2 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht, indem er, obwohl er zum Vorteilsausgleich noch verpflichtet ist, erklärt, die von ihm geforderte Leistung in Höhe des „großen“ Schadensersatzes sei von einer Gegenleistung nicht abhängig oder die Gegenleistung sei erbracht16.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Juli 2015 – III ZR 238/14
- Fortführung der BGH, Urteile vom 18.06.2015 – III ZR 303/14 und – III ZR 198/14[↩]
- Anschluss an BGH, Urteil vom 23.06.2015 – XI ZR 536/14[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 18.06.2015 – – III ZR 198/14 Rn. 14 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 22.10.2013 – XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294, 298 ff Rn. 15 ff sowie Beschluss vom 21.10.2014 – XI ZB 12/12, BGHZ 203, 1, 59 ff Rn. 142 ff; s. auch BGH, Beschluss vom 26.02.2015 – III ZR 53/14, BeckRS 2015, 04823 Rn. 1[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.10.2014 aaO S. 60 f Rn. 145 f; BGH, Urteile vom 18.06.2015 – III ZR 303/14 Rn. 8 ff und – III ZR 198/14 Rn. 15, jeweils mwN[↩]
- s. etwa BGH, Urteile vom 05.05.1988 – VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268, 273; vom 12.04.2007 – VII ZR 236/05, BGHZ 172, 42, 57 Rn. 43; vom 21.12 2011 – VIII ZR 157/11, NJW 2012, 995, 996 Rn. 8; und vom 23.06.2015 – XI ZR 536/14 Rn. 16 mwN[↩]
- s. BGH, Urteile vom 21.12 2011 aaO Rn. 9 ff; vom 05.08.2014 – XI ZR 172/13, NJW 2014, 3435 Rn. 11; und vom 23.06.2015 aaO Rn 17 ff; OLG München, Urteil vom 04.12 2007 – 5 U 3479/07, BeckRS 2010, 00584 und BKR 2015, 260, 262 Rn. 18 ff; OLG Bamberg, BKR 2014, 334, 337 Rn. 53 ff; OLG Stuttgart, WM 2014, 1998 ff; OLG Hamm, BKR 2015, 125, 127 Rn. 14 ff; vgl. auch bereits BGH, Urteil vom 28.09.2004 – IX ZR 155/03, BGHZ 160, 259, 266[↩]
- BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn.20; OLG Bamberg aaO S. 338 Rn. 62; OLG Hamm aaO Rn. 18; OLG München, BKR 2015, 260, 262 Rn. 21; Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 688 Rn. 7a; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 688 Rn. 3; aA Reinthaler, Die Hemmung der Verjährung durch Mahnbescheid bei Ansprüchen aus der Rückabwicklung des Erwerbs von Anteilen an geschlossenen Immobilienfonds, 2010, S. 157[↩]
- BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn. 21 ff; OLG Bamberg aaO S. 337 Rn. 56 ff; OLG Stuttgart aaO S.1998 f; OLG München, BKR 2015, 260, 262 Rn.20; aA Schultz, NJW 2014, 827, 828 sowie Reinthaler aaO S. 150[↩]
- s. Begründung des Entwurfs zu § 581 CPO, S. 380 in Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 2. Band, 1. Abteilung, 1880, S. 415; s. auch Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes CLXXXIV. bis CCLIV. Sitzung, 1869, S. 1187, 1196, 1258, 1468[↩]
- st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn. 22 sowie BGH, Urteile vom 21.10.2004 – III ZR 323/03, NJW-RR 2005, 170, 171; und vom 15.01.2009 – III ZR 28/08, NJW-RR 2009, 603, 604, jeweils mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn. 23[↩]
- BGH, Urteile vom 05.08.2014 aaO; und vom 23.06.2015 Rn. 24 mwN; OLG München, Urteil vom 04.12 2007 – 5 U 3479/07, BeckRS 2010, 00584 und BKR 2015, 260, 262 Rn. 18 ff; OLG Bamberg aaO S. 337 Rn. 53 ff; OLG Stuttgart aaO S.1998 ff; OLG Hamm aaO Rn. 14 ff; aA Reinthaler aaO S. 149 ff und Schultz, NJW 2014, 827, 828 f[↩]
- BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn. 24 ff[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn. 25 f[↩]
- BGH, Urteil vom 23.06.2015 aaO Rn. 34[↩]