Das Europäische Parlament hat gestern die entscheidende Zustimmung für das Finanzaufsichtspaket gegeben, so dass ab 2011 Banken, Wertpapiermärkte und Versicherungsunternehmen einer grundlegend neuen EU-Finanzaufsicht unterworfen sein werden.

Durch das jetzt beschlossene Finanzaufsichtspaket werden drei europäische Aufsichtsbehörden eingerichtet, welche die bisherigen Kontrollgremien ablösen und deren Kompetenzen größer sein sollen als die des bisherigen Systems, den überwiegend nur ein beratender Charakter zukam. Neu eingerichtet werden damit
- die Europäische Bankaufsichtsbehörde mit Sitz in London,
- die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung mit Sitz in Frankfurt/Main und
- die Europäische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde mit Sitz in Paris.
Zusätzlich wird ein Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) eingerichtet. Dieser ESRB soll die Finanzmärkte beobachten und frühzeitig vor dem allgemeinen Risikoaufbau für die EU-Wirtschaft warnen.
Das jetzt beschlossene Finanzaufsichtspaket war im Vorfeld nicht unumstritten, einige Mitgliedstaaten, insbesondere die mit großen Finanzzentren, favorisierten einen begrenzten Reformansatz. Das führte dazu, dass der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission, der dem Europäischen Parlament ursprünglich schon nicht weit genug ging, dann nochmals erheblich abgeschwächt wurde. Der nun letztlich erzielte Kompromiss zwischen Parlament und Rat verwandelt die beratenden Aufsichtsgremien nun jedoch in tatsächliche Aufsichtsbehörden: Die europäischen Finanzaufsichtsbehörden werden mit neuen Kompetenzen ausgestattet, um Streitigkeiten zwischen nationalen Finanzaufsichten zu schlichten. Sie können riskante Finanzprodukte und Finanzaktivitäten sogar zeitlich befristet verbieten. Falls die nationalen Aufsichtsbehörden nicht handeln, erhalten die europäischen Aufsichtsbehörden ein direktes Durchgriffsrecht auf Finanzinstitute, wie etwa Banken, um Verstöße gegen EU-Recht zu verhindern. Im Tagesgeschäft werden die europäischen Aufsichtsbehörden die Arbeit der nationalen Aufseher insbesondere bei grenzüberschreitenden Finanzinstituten koordinieren.
Sollten sich die nationalen Aufseher zukünftig nicht einigen können, kann die EU-Behörde ein rechtlich verbindliches Vermittlungsverfahren anordnen. Falls auch dabei keine Einigung zwischen den betroffenen nationalen Aufseher erreicht wird, so kann die EU-Behörde dem betroffenen Finanzinstitut direkte Anweisung geben. Die EU-Aufsichtsbehörden können nach eigenem Ermessen und aus eigener Initiative als Vermittler eingreifen, müssen also nicht auf eine Anfrage einer nationalen Behörde warten.
Die neuen EU-Behörden können zukünftig des Weiteren kontrollieren, wie die nationalen Aufsichtsbehörden die Vorschriften der EU-Gesetze umsetzen. Falls diese EU-Vorschriften nicht korrekt umgesetzt werden, können die EU-Behörden den betroffenen nationalen Aufsehern Anweisungen geben. Falls diese nicht beachtet werden, können die EU-Behörden direkte Weisungen an ein Finanzinstitut geben, um jegliche Verstöße gegen EU-Gesetze zu vermeiden.
Die EU-Behörden werden die Kompetenz erhalten, bestimmte Finanzinstitute, bestimmte Finanzprodukte wie etwa „Giftpapiere“ oder bestimmte Finanzaktivitäten – wie etwa die ungedeckten Leerverkäufe, zu überprüfen. So sollen die Risiken für das Finanzsystem bewertet und – wenn nötig – Warnungen herausgegeben werden. Soweit es die besondere Finanzgesetzgebung vorsieht, können die EU-Behörden schädliche Finanzaktivitäten oder Finanzprodukte zeitlich befristet verbieten oder einschränken. Sie können zudem die Kommission bitten, Gesetze auf den Weg zu bringen, die solche Aktivitäten oder Produkte dauerhaft verbieten.
Auch soll durch die neuen Regelungen sichergestellt werden, dass der neu einzurichtende Europäische Ausschuss für Systemrisiken schnell und deutlich kommunizieren kann. Der ESRB muss ein gemeinsames Set an Indikatoren entwickeln, mit dem einheitliche Risiko-Ratings bestimmter grenzüberschreitender Finanzinstitutionen erstellt werden können. Damit sollen auch bestimmte Risikotypen dieser Institute künftig leichter identifiziert werden. Der ESRB wird auch dafür verantwortlich sein, einen Farbcode auszuarbeiten, der die verschiedenen Risikoarten widerspiegelt. Wenn der ESRB Warnungen oder Empfehlungen zu aufkommenden Risiken ausspricht, wird er diesen Farbcode verwenden, um das Risikolevel anzuzeigen.
Damit der ESRB aufkommende Risiken besser vorhersagen kann, soll ein breites Spektrum an Erfahrungen und Kenntnissen, etwa von Wissenschaftlern, im Beratenden Wissenschaftlichen Ausschuss vertreten sein. Um die Sichtbarkeit und die Glaubwürdigkeit des ESRB hervorzuheben, wird der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) für die ersten fünf Jahre auch dem ESRB als Präsident vorstehen.
Sowohl die Finanzaufsichtbehörden als auch der ESRB können ihre Kompetenzen erweitern, wenn künftige Entwicklungen es erfordern sollten. Insbesondere für die Finanzaufsichtsbehörden haben die EU-Abgordneten sichergestellt, dass die Kommission alle drei Jahre Bericht erstatten wird, ob es erstrebenswert sei, die getrennten EU-Behörden für Banken, Versicherungen und Wertpapiergeschäfte zusammenzufassen und an einem Standort zu konzentrieren. Außerdem soll die Kommission berichten, ob die Aufsichtsbehörden mit weiteren Aufsichtsrechten ausgestattet werden sollten, vor allem über europaweit agierende Finanzinstitute.
Die Europäische Kommission, die neuen EU-Finanzaufsichtsbehörden und die ESRB können, so sehen es die jetzt beschlossenen Regelungen vor, den EU-Rat auffordern, den Notfall auszurufen.