Bei Prämiensparverträgen, bei denen die Prämien auf die Sparbeiträge stufenweise bis zum 15. Sparjahr steigen, sind im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) für die vorzunehmenden Zinsanpassungen ein langfristiger Referenzzinssatz und die Verhältnismethode maßgebend. Der als Referenz heranzuziehende Marktzinssatz oder die als Referenz heranzuziehende Umlaufrendite ist vom Gericht mit sachverständiger Hilfe zu bestimmen und hat widerzuspiegeln, dass es sich bei den Prämiensparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt1. Zur Verfahrensbeschleunigung kann gemäß § 411a ZPO die schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden.

Dieser Entscheidung des Bundesgerichtshof lag ein Musterverfahren aus Sachsen zum „S-Prämiensparen flexibel“ zugrunde. Die beklagten Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er Jahre bis zum Anfang dieses Jahrhunderts mit Verbrauchern Sparverträge ab, die eine variable Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach bis zu 50% der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr gestaffelte verzinsliche Prämie vorsahen. Die Vertragsformulare enthielten keine konkreten Bestimmungen zur Änderung des variablen Zinssatzes. In ihnen heißt es u.a.: „Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst.“ oder „Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. …%, am Ende eines Kalender/Sparjahres […].“ In den in die Sparverträge einbezogenen „Bedingungen für den Sparverkehr“ der Sparkasse heißt es u.a.:
Verzinsung
1 Zinshöhe
Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist.
…
Kündigung
Die Kündigungsfrist beträgt mindestens drei Monate. …
Der klagende Verbraucherschutzverband hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Sparkasse vorgenommene Verzinsung für zu niedrig. Das Oberlandesgericht Dresden hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen2. Die hiergegen gerichteten Revision sowohl des Verbraucherschutzverbandes wie auch der Sparkasse hatten vor dem Bundesgerichtshof Erfolg:
Wie der Bundesgerichtshof zwischenzeitlich erkannt und eingehend begründet hat, hätte das Oberlandesgericht einen Referenzzinssatz für die variable Verzinsung des Sparguthabens im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen müssen3. Unionsrechtliche Erwägungen stehen der Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht entgegen4. Nach dem Konzept der Sparverträge der vorliegenden Art ist es dabei allein interessengerecht, einen Referenzzinssatz für langfristige Spareinlagen heranzuziehen5, wobei die Ansparphase Berücksichtigung finden kann6. Neben der langen Fristigkeit des Referenzzinssatzes wird der als Referenz heranzuziehende Marktzinssatz7 oder die als Referenz heranzuziehende Umlaufrendite auch widerzuspiegeln haben, dass es sich bei den streitgegenständlichen Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt8.
Das Oberlandesgericht hat bislang keine Feststellungen dazu getroffen, ob die vom Musterkläger in seinem Hauptantrag zum Feststellungsziel 2 genannte Umlaufrendite inländischer Inhaberschuldverschreibungen/Hypothekenpfandbriefe mit einer Restlaufzeit von über neun bis zehn Jahren (ehemalige Zinsreihe WX4260 der Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank) als Referenzzinssatz den Interessen der Parteien eines Sparvertrags mit den typischen Merkmalen gerecht wird. Es wird dies daher mit sachverständiger Hilfe nachzuholen haben. Sollte das Oberlandesgericht zu dem Ergebnis kommen, dass dieser Zinssatz den an ihn als Referenzzinssatz zu stellenden Anforderungen nicht genügt, wird es ebenfalls sachverständig beraten über den ersten Hilfsantrag zum Feststellungsziel 2 zu entscheiden haben und dabei klären müssen, welcher konkrete, in den Zinsstatistiken der Deutschen Bundesbank veröffentlichte Zinssatz als Referenzzinssatz heranzuziehen ist9.
Wie der Bundesgerichtshof desweiteren zwischenzeitlich bereits erkannt hat, muss bei den von der Sparkasse vorzunehmenden Zinsanpassungen das Verhältnis des konkret vereinbarten Zinssatzes zum Referenzzinssatz gewahrt bleiben und nicht eine gleichbleibende absolute Gewinnmarge10. Die ergänzende Vertragsauslegung kann der Bundesgerichtshof selbst vornehmen11. Die Anwendung der Verhältnismethode entspricht bei der maßgebenden objektivgeneralisierenden Sicht den typischen Vorstellungen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss. Sie wahrt das Äquivalenzprinzip, indem sie gewährleistet, dass günstige Zinskonditionen günstig bleiben und ungünstige auch ungünstig bleiben dürfen12. Wie der Bundesgerichtshof ebenfalls bereits eingehend begründet hat, stehen bankaufsichtsrechtliche Gesichtspunkte der Anwendung der Verhältnismethode nicht entgegen13.
An diesem Auslegungsergebnis hält der Bundesgerichtshof auch vor dem Hintergrund der von Teilen des Schrifttums neuerlich vorgebrachten Einwände fest.
Die Verhältnismethode widerspricht entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung14 nicht den anerkannten Grundsätzen des Preisanpassungsrechts. Nach diesen Grundsätzen haben Zinsanpassungsklauseln einen den Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligenden Inhalt im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie es dem Verwender ermöglichen, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so nicht nur eine Gewinnschmälerung zu vermeiden, sondern einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen, oder wenn sie nur das Recht des Klauselverwenders enthalten, Erhöhungen ihrer eigenen Kosten an ihre Kunden weiterzugeben, nicht aber auch die Verpflichtung, bei gesunkenen eigenen Kosten den Preis für die Kunden zu senken15.
Derartige Vorteile der Sparkasse sind mit der anzuwendenden Verhältnismethode nicht verbunden. Denn die Sparkasse hat bei Anwendung dieser Methode von vornherein keinen Einfluss auf die Höhe der von ihr vorzunehmenden Zinsanpassungen. Die Höhe der Zinsanpassungen wird vielmehr auf der Grundlage der Höhe des anfänglich vereinbarten Vertragszinses durch die Höhe des Referenzzinssatzes bei Vertragsbeginn und durch die Entwicklung des Referenzzinssatzes während der Laufzeit des Sparvertrags bestimmt. Diese Faktoren kann die Sparkasse nicht einseitig festlegen. Dass sich die absolute Zinsmarge der Sparkasse bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall eines Anstiegs des Referenzzinssatzes erhöht und im Fall eines Absinkens des Referenzzinssatzes reduziert, verstößt nicht gegen die vorgenannten Grundsätze des Preisanpassungsrechts. Die Verhältnismethode gewährleistet vielmehr anders als die von der Sparkasse befürwortete Differenzmethode , dass der anfängliche relative Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz konstant und damit das Grundgefüge der Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt16.
Der Einwand, die Zinsanpassung nach der Verhältnismethode habe aus deren Sicht einen „spekulativen Charakter“, der bei den Sparverträgen von keiner Partei gewollt sei, verfängt ebenfalls nicht. Es trifft zwar zu, dass sich bei Anwendung der Verhältnismethode die absolute Zinsmarge der Sparkasse bei steigenden Referenzzinssätzen erhöht und bei sinkenden Referenzzinssätzen reduziert. Da die absolute Zinsmarge der Sparkasse aber bei sinkenden Referenzzinssätzen sinken und bei steigenden Referenzzinssätzen steigen muss, um dem Äquivalenzprinzip Rechnung zu tragen und damit das Grundgefüge des Vertragsverhältnisses bei den vorzunehmenden Zinsanpassungen zu erhalten17, sind die mit den Zinsanpassungen verbundenen Änderungen der absoluten Zinsmarge der Sparkasse vertragsimmanent. Darüber hinaus verhindert auch die Differenzmethode bei einer ausgeschlossenen negativen variablen Verzinsung18 im Fall sinkender Referenzzinssätze eine Reduktion der absoluten Zinsmarge der Sparkasse nicht, wenn der Referenzzinssatz kleiner ist als der anfängliche absolute Abstand zwischen Vertrags- und Referenzzinssatz19.
Soweit im Schrifttum20 in dem Zusammenhang weiter vorgebracht wird, die Sparkasse könne die „Wette“ nur verlieren, da Sparer bei steigenden Referenzzinssätzen den Vertrag kurzfristig kündigen könnten, wohingegen die Sparkasse bei sinkenden Referenzzinssätzen keine Kündigungsmöglichkeit habe21, handelt es sich nicht um ein Phänomen, das nur bei Anwendung der Verhältnismethode auftritt. Spiegelbildlich besteht bei Anwendung der Differenzmethode im Fall sinkender Referenzzinssätze für Sparer gleichermaßen der Anreiz, den Vertrag kurzfristig zu kündigen, da sinkende Referenzzinssätze bei einem absolut gleichbleibenden Abstand des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz zu einer im Verhältnis zum Vertragszinssatz überzogenen Marge der Sparkasse führen können17. Ursächlich für diese aus Sicht der Sparer günstige vertragliche Position ist nicht die Methode der Zinsanpassung, sondern sind die weiteren vertraglichen Bestimmungen des Sparvertrags, die dahin zu verstehen sind, dass dem Sparer das Recht zukommt, einseitig zu bestimmen, ob er bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe spart22.
Schließlich vermag auch der Hinweis, Zinsanpassungen könnten sowohl bei Anwendung der Differenz- als auch bei Anwendung der Verhältnismethode mathematisch zu einem negativen Vertragszins führen23, kein anderes Auslegungsergebnis rechtfertigen. Soweit der Bundesgerichtshof24 ausgeführt hat, dass ein absolut gleichbleibender Abstand zum Referenzzinssatz bei sinkenden Zinsen die Gefahr einer negativen Verzinsung des angesparten Kapitals birgt, ist damit nicht gemeint, dass eine negative Verzinsung bei Anwendung der Verhältnismethode mathematisch ausgeschlossen ist. Interessengerecht ist die Verhältnismethode in dem Zusammenhang deswegen, weil sie anders als die Differenzmethode bei positiven Referenzzinssätzen stets zu positiven Vertragszinsen führt und damit den Vorstellungen der an den Sparverträgen beteiligten Verkehrskreise entspricht, auch bei sinkenden aber positiven Marktzinsen Zinserträge mit der Spareinlage zu generieren, die im gleichen Verhältnis zum Marktzinsniveau stehen wie bei Vertragsschluss25.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 24. Januar 2023 – XI ZR 257/21
- Bestätigung der BGH, Urteile vom 13.04.2010 – XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166 Rn. 22 f., 26 f.; vom 21.12.2010 – XI ZR 52/08, WM 2011, 306 Rn. 22, 25; und vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 85, 95 ff.[↩]
- OLG Dresden, Urteil vom 31.03.2021 – 5 MK 2/20, BeckRS 2021, 6404[↩]
- BGH, Urteil vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 81 ff.; zustimmend Berger/Nettekoven, EWiR 2021, 705, 706[↩]
- BGH, Urteil, aaO Rn. 47 ff.; zustimmend Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 13. Aufl., § 307 Rn. 393b; Staudinger/Roth, BGB, Neubearb.2020, Updatestand: 30.04.2022, § 157 Rn. 47c.2; Edelmann, WuB 2022, 305, 308; Furche, WM 2022, 993, 995; Omlor, BKR 2022, 38, 49; kritisch BeckOGK BGB/Bonin, Stand: 1.12.2022, § 306 Rn. 102.1; v. Westphalen, ZIP 2022, 1465 ff.; ders., NJW 2022, 288 Rn. 18 ff.[↩]
- BGH, Urteil, aaO Rn. 85; zustimmend Feldhusen, BKR 2022, 579, 585; kritisch Omlor, BKR 2022, 38, 50[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 13.04.2010 – XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166 Rn. 23[↩]
- BGH, Urteil vom 06.10.2021, aaO Rn. 91[↩]
- vgl. OLG Dresden, WM 2022, 1973, 1975[↩]
- BGH, Urteil vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 86[↩]
- BGH, Urteil vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 95 ff., im Ergebnis zustimmend Gebauer/Gramlich/Müller/Thießen, VuR 2022, 208, 214[↩]
- BGH, Urteil, aaO Rn. 94[↩]
- BGH, Urteil, aaO Rn. 96 mwN[↩]
- BGH, Urteil, aaO Rn. 100 ff.[↩]
- Berger/Nettekoven, ZIP 2022, 293, 298 f.; Furche, WM 2022, 1041, 1045 f.; Langner, BKR 2022, 305, 308; Herresthal, WM 2020, 1997, 2001; Furche/Götz, WM 2019, 2290, 2298[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.04.2009 – XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn. 25 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 96 und 99[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 96[↩][↩]
- vgl. hierzu OLG Dresden, WM 2022, 1973, 1975[↩]
- vgl. BGH, Urteil, aaO Rn. 103; Omlor, ZBB 2020, 355, 366[↩]
- Berger/Nettekoven, ZIP 2022, 293, 299; Beck/Bleses, ZBB 2020, 191, 198[↩]
- zum Ausschluss des Kündigungsrechts der Sparkasse bis zum Erreichen der höchsten Prämienstufe vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2019 – XI ZR 345/18, BGHZ 222, 74 Rn. 38 ff.[↩]
- BGH, Urteil vom 14.05.2019, aaO Rn. 38[↩]
- vgl. Berger/Nettekoven, ZIP 2022, 293, 298; dies., EWiR 2021, 705, 706 f.; Elsas/Luz/Worch, BKR 2022, 570, 573 f.; Furche, WM 2022, 1041, 1045; Gebauer/Gramlich/Müller/Thießen, VuR 2022, 208, 210; Langner, BKR 2022, 305, 308 f.; Wimmer/Rösler, WM 2022, 1963, 1965; Furche/Götz, WM 2019, 2290, 2298; Herresthal, WM 2020, 1997, 1998; Hölldampf, BB 2020, 265, 266; Omlor, ZBB 2020, 355, 365[↩]
- BGH, Urteil vom 06.10.2021 – XI ZR 234/20, BGHZ 231, 215 Rn. 96[↩]
- vgl. BGH, Urteil, aaO Rn. 99[↩]