Schadensersatzanspruch aus Kapitalanlageberatung: Die Angabe eines falschen Ratings

Aufgrund des Beratungsvertrags ist der Anlageberater zu einer anleger- und objektgerechten Beratung verpflichtet, wobei Inhalt und Umfang dieser Beratungspflichten von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Maßgeblich sind einerseits der Wissenstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarkts, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Der Anlageberater hat insbesondere alle Fakten darzulegen, deren Kenntnis für eine eigenverantwortliche Entscheidung des Anlegers erforderlich ist. Die Aufklärung des Kunden über diese Fakten muss richtig und vollständig zu sein. Dem kann sich eine eigene Bewertung und Empfehlung des Anlageberaters anschließen, die lediglich ex ante betrachtet vertretbar sein muss1.

Schadensersatzanspruch aus Kapitalanlageberatung: Die Angabe eines falschen Ratings

Wie diese Beratungspflichten „zielsicher“ verletzt werden können, zeigt ein vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg entschiedener Fall, in dem der Anlageberater im April 2008 an seinen Kunden herangetreten ist, um ihm den „Tausch“ von Commerzbank-Zertifikaten in Lehman-Zertifikate anzudienen.

Hierin sah das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg das Zustandekommen eines Anlageberatungsvertrages, in Rahmen dessen der Anlageberater seine Beratungspflichten verletzt hatte:

Nennung eines falschen Ratings[↑]

Zu berücksichtigen ist bei der hier streitgegenständlichen Anlageentscheidung, dass es sich nicht um eine Neuinvestition handelte, bei der sich die Beratung allein auf die neu zu erwerbende Anlage beziehen musste, sondern um einen „Tausch“ zweier Wertpapiere, bei dem das zu erwerbende Zertifikat als besser dargestellt wurde. Die Entscheidung war hier unstreitig motiviert durch den Vergleich beider Zertifikate. Um beide Papiere vergleichen zu können, müssen daher die wesentlichen Informationen zu beiden Zertifikaten richtig und vollständig sein. Dass das Rating beider Emittenten eine wesentliche Information für die Anlageentscheidung war, folgt bereits daraus, dass der Anlageberater selbst das Rating bei den Vergleichsdaten angeführt hat. Durch die Nennung der Daten spricht bereits eine Vermutung dafür, dass diese genannten Daten für die Entscheidung auch wesentlich sind. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass das Rating, das eine Aussagekraft hinsichtlich der Bonität der Emittenten bzw. Garantin hat, für jede Anlageentscheidung wichtig ist.

Das Rating der Commerzbank war in der E-Mail unstreitig falsch mit A- statt A angegeben. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Falschinformation. Auch wenn der Unterschied zwischen A- und A nicht groß und lediglich ein Schritt im Rahmen der Unterteilung innerhalb einer Ratingstufe war, so folgt daraus nicht, dass eine Falschinformation unschädlich ist. Denn grundsätzlich handelt es sich um eine Differenzierung in der Einordnung der Bonität, für die die Ratingagentur eine Unterscheidung zur Verfügung gestellt hat. Ansonsten wäre die Unterteilung unerheblich und hätte unterbleiben können. Wenn schon eine differenzierte Einordnung von der Ratingagentur zur Verfügung gestellt wird, so ist darüber richtig aufzuklären. Ob dieser Unterschied dann für den Kunden von wesentlicher Bedeutung ist, unterliegt seiner Einschätzung und Bewertung. Es ist nicht Sache der Bank, ihre Einschätzung an die Stelle der des Kunden zu setzen.

Der Anlageberater hat nicht bewiesen, dass diese Falschangabe vor der Anlageentscheidung gegenüber dem Anleger korrigiert wurde. Eine Korrektur ergibt sich nicht bereits daraus, dass er das Rating beider Emittenten in einem Telefonat als vergleichbar dargestellt hat. Der Anleger hat nachvollziehbar dargelegt, dass sich das Rating beider Emittenten aufgrund der E-Mail für ihn als deutlich unterschiedlich darstellte. Denn nach der E-Mail bestand zwischen den Emittenten ein Unterschied von immerhin 2 Bewertungsschritten, mögen sich auch beide Ratings im A-Bereich befunden haben. Dies ist nachvollziehbar ein nicht unerheblicher Unterschied im Rating.

Eine relevante Korrektur ergibt sich auch nicht aus einem späteren Schreiben, das im Anhang den Flyer für den „Tausch“-vorschlag mit dem richtigen Commerzbank-Rating enthielt. Der Anleger hat dargelegt, dass der Anleger diesen schriftlichen Tauschvorschlag erst nach der eigentlichen Tauschentscheidung erhalten, jedenfalls den Unterschied nicht bemerkt habe. Der Anleger war nach Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts insoweit im übrigen auch nicht verpflichtet, den Flyer nach Abweichungen zur vorherigen Beratung zu durchsuchen. Nachdem der Anleger bereits einen Großteil des empfohlenen Anlagegeschäftes durchgeführt hatte, wäre es an dem Berater gewesen, bei Änderungen der Daten, die für die Anlageentscheidung wichtig sind, den Anleger hierauf besonders aufmerksam zu machen. Dass dies geschehen ist, ergibt sich aber aus dem Anschreiben nicht und ist auch nicht vorgetragen. Der Anleger hatte demnach keine Veranlassung, den Flyer mit besonderer Aufmerksamkeit zu lesen. Eine Kontrollpflicht des Anlegers dahingehend, anhand von schriftlicher Unterlagen die Richtigkeit der erfolgten Beratung zu überprüfen, gibt es ohne konkreten Anhaltspunkt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht2.

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Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Anlageberater beim Vergleich der beiden Zertifikate verschwiegen hat, dass das Rating der Commerzbank bei der Ratingagentur Moody’s sogar besser war als das von Lehman Es kann offen bleiben, ob zwischen dem Anlageberater und dem Anleger für eine Neuinvestition vereinbart war, dass es lediglich auf das Rating der Ratingagentur S + P ankommen sollte. Denn eine solche Beschränkung kann für die hier entscheidende Anlageentscheidung nicht gelten. Für die konkrete Anlageentscheidung kam es nämlich nicht nur auf die Einordnung der Neuinvestition an, sondern gerade auf den Unterschied der Bewertungen bei den beiden Investitionen. Daher muss der Anlageberater bei einem solchen vergleichenden Anlagevorschlag jedenfalls auch die Bewertung anderer Ratingagenturen nennen, wenn dadurch das Umschichtungsinteresse berührt ist. Da das bessere Rating aber eines von mehreren Entscheidungskriterien für den „Tausch“ der Zertifikate war, hätte der Anlageberater darüber aufklären müssen, dass bei einer anderen renommierten Ratingagentur das Rating der bisher gehaltenen Anlage besser war als bei Lehman Dies hat der Anlageberater unstreitig nicht getan. Auch insoweit liegt ein Beratungsfehler vor. Auch wenn der Anlageberater diese Ratingangaben nicht bewusst weggelassen haben mag, so lag jedenfalls Fahrlässigkeit vor, Vorsatz ist für eine schuldhafte Pflichtverletzung nicht erforderlich

Lückenhafte Aufklärung über die Ausstattungsmerkmale der verglichenen Papiere[↑]

Ein weiterer Beratungsfehler ist darin zu sehen, dass der Anlageberater den Anleger nicht über die bessere Barriere beim EuroStoxx50 bezüglich des Commerzbank-Zertifikates aufgeklärt hat.

Unstreitig war die Barriere beim EuroStoxx50 bezüglich der Commerzbank-Zertifikate günstiger. Anhand der benutzten Produktflyer lässt sich ermitteln, dass die Barriere beim EuroStoxx50 bei den Commerzbank-Zertifikaten fast im gleichen Maße günstiger war als das Lehman-Zertifikat bezüglich der Barriere beim Nikkei-Index.

Insoweit handelt es sich um eine aufklärungspflichtige Tatsache, die dem Anleger nicht bekannt war. Dem Anleger war zwar unbestritten bekannt, dass die Zertifikate Wetten sowohl auf den Nikkei als auch auf den EuroStoxx50 waren. Ihm war auch bekannt, dass es für die Bewertung des Risikos letztendlich lediglich auf die Entwicklung des jeweils schwächsten Indexes ankam. Auch war richtig angegeben, dass zurzeit der Anlageentscheidung der schwächste Index der Nikkei-Index war. Diese Kenntnisse reichen aber für eine Bewertung der Chancen und Risiken des Anlageobjektes nicht aus. Grundsätzlich hat die Bank bei der Beratung diejenigen Eigenschaften und Risiken dazulegen, die für die jeweilige Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können. Dabei ist bei der hier in Frage stehenden Anlageentscheidung wieder zu berücksichtigen, dass es sich um eine Anlageempfehlung auf das vermeintlich günstigere Produkt handelt, so dass vollständige Angaben für die Beurteilung, ob es sich um das günstigere Anlageobjekt handelt, gemacht werden müssen. Dazu zählt auch der höhere Schutzpuffer des Commerzbank-Zertifikates bezüglich des EuroStoxx50-Indexes, zumal der Anlageberater unbestritten – und auch aus dem Anschreiben Anlage K 18 ersichtlich – mit dem leicht erhöhten Schutzpuffer beim Nikkei-Index geworben hat. Wird – wie hier – zur EuroStoxx50-Barriere keine Angabe gemacht, entsteht für den Anleger der Eindruck, dass die Barriere-Vorteile bei dem anderen Index vergleichbar gut sind. Anders als die Berufung hält es der Senat auch nicht für vertretbar, lediglich die Nikkei-Index-Barriere anzugeben, weil der Zeuge F… davon ausging, dass dies der entscheidende Index bleibt. Gerade bei der noch sehr langen Laufzeit von ca. 5,5 Jahren war überhaupt nicht absehbar, welcher Index auf Dauer der Schwächere sein wird. Es hätte durchaus sein können, dass in einem späteren Zeitpunkt der EuroStoxx50 der entscheidende Index geworden wäre. Daher hätte auch darüber aufgeklärt werden müssen, dass diese, für die Lehman-Zertifikate sprechende Aussage für die EuroStoxx50-Barriere nicht galt. Der Zeuge F… hätte insoweit dem Anleger nicht vorenthalten dürfen, dass der reduzierten Mitteilung von Fakten seine eigene Bewertung, dass allein der Nikkei-Index der entscheidende Index sei und bleibe, zugrunde liege. Eine richtige und vollständige Beratung setzt eine vollständige Information über sämtliche entscheidungserhebliche Fakten voraus, der sich dann eine Wertung – und auch als eine solche gekennzeichnete – des Anlageberaters anschließen kann. Eine eigene Wertung des Anlageberaters rechtfertigt nicht, Fakten zu verschweigen. Ohne Mitteilung der weiteren Fakten nimmt der Berater dem Anleger die Chance, aufgrund der vorhandenen Fakten eine eigene Bewertung vorzunehmen.

Der Anleger hatte keine Kenntnis von der besseren EuroStoxx-Barriere. Der Anleger hatte zwar vor der Anlageentscheidung die Flyer für beide Zertifikate gesehen, aus denen man die Werte hätte ermitteln können, allerdings waren diese Flyer anlässlich anderer, länger zurückliegender Anlageentscheidungen überreicht worden. Es kann ohne Nachfrage nicht erwartet werden, dass deren Einzelheiten bei einer späteren Anlageentscheidung noch präsent sind. Würde man dieser Argumentation folgen, hätte der Berater dem Anleger auch gar keine Vergleichsdaten an die Hand zu geben brauchen.

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Auch der Hinweis des Anlegers, er frage nach, wenn er auf etwas gestoßen werde, spricht wegen der grundsätzlichen Kenntnis von der Entscheidungserheblichkeit von zwei Barrieren nicht dafür, dass über beide Barrieren gesprochen wurde. Es kann genau so sein, dass der Anleger nicht nachgefragt hat, weil er – wenn nichts Gegenteiliges gesagt wird – davon ausging, dass diese Barriere ähnlich günstiger ist.

Im Übrigen ergibt sich auch aus der E-Mail des Anlegers vom 18.4, die als Bestätigungs-E-mail dem Telefonat vom 18.04.2008 nachfolgte, dass als einziger Nachteil der Lehman-Zertifikate über die längere Laufzeit gesprochen wurde. Der Zeuge F… hat dies mit den Worten „genau“ kommentiert. Diese Antwort ist nicht erklärlich, wenn denn als weiterer Nachteil ausführlich über die schlechtere EuroStoxx50-Barriere bei den Lehman-Zertifikaten gesprochen worden wäre. Auch wird daraus ersichtlich, dass der Anleger sehr wohl über Nachteile aufgeklärt werden wollte und diese Nachteile durchaus in den Entscheidungsprozess eingestellt hat. Soweit der Anlageberater Verspätung einwendet, bleibt für die Anwendung von § 531 ZPO kein Raum, da der Inhalt der E-Mail unstreitig ist.

An der Pflichtverletzung vermag auch nichts zu ändern, dass der Anleger über langjährige Erfahrungen in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten verfügte und auch andere risikoreiche Anlagen tätigte. Dies entbindet nämlich den Berater nicht, die für das einzelne Anlagegeschäft wesentlichen Faktoren mitzuteilen, es sei denn, er vergewissert sich, dass der Anleger diese Fakten bereits kennt. Dass sie dies getan hat, trägt der Anlageberater nicht konkret vor.

Nichtaufklärung über Negativpresse über Lehman[↑]

Ein weiterer Beratungsfehler ist darin zu sehen, dass der Anlageberater den Anleger nicht über die in der einschlägigen Fachpresse erwähnten Risikofaktoren bezüglich Lehman aufgeklärt hat.

Nach der Rechtsprechung des BGH hat sich der Anlageberater aktuelle Informationen über das Anlageobjekt zu verschaffen. Dazu gehört auch die Auswertung der Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse. Sind dabei zeitnahe gehäufte negative Berichte in der Börsenzeitschrift, der Financial Times, dem Handelsblatt und dem Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen zu verzeichnen, so muss der Anleger hierüber informiert werden3. Eine Haftung kommt insoweit nach der Rechtsprechung des BGH aber nur in Betracht, als in den Presseartikeln aufklärungspflichtige Umstände mitgeteilt werden4 Danach muss grundsätzlich über reine Meinungsäußerungen und Spekulationen nicht aufgeklärt werden. Auch darf es sich nicht um lediglich vereinzelte Pressestimmen handeln, sondern es muss sich um eine Berichterstattung handeln, die sich in der Wirtschaftspresse durchgesetzt hat.

In der Presse wurden im Sinne der BGH-Rechtsprechung nicht nur Spekulationen und Bewertungen mitgeteilt, sondern durchaus Fakten/Sachinformationen, die für die Beurteilung des Insolvenzrisikos von Lehman und damit für die Anlageentscheidung von entscheidender Bedeutung waren. Problematische Berichte sind hier insb. die der Börsenzeitung vom 20.02.2008, vom 28.03.2008, vom 29.03.2008 und vom 02.04.2008 sowie des Handelsblattes vom 14.03.2008, 17.03.2008 und 2.04.2008, aus denen sich das extreme Schwanken des Aktienkurses, Abschreibungen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar, Höhe von 1,8 Milliarden Dollar, Einbruch des Nettoergebnisses, problematischer Wertpapierbestand in Höhe von 87 Milliarden Dollar, erhebliche Ausweitung des Credit Default Spreads und die Herabstufung des Ausblicks durch die Ratingagentur Fitch von stable auf negativ ergeben. Auch hatte die Ratingagentur Moody’s den Ausblick von positiv auf stable herabgesetzt.

Jedenfalls gerade wenn bei einem vorherigen Erwerb von Zertifikaten im Oktober/November 2007 das Bankhaus als ebenso sicher wie das der D… Bank oder Commerzbank dargestellt wird, hätte bei dem Anlagevorschlag, bei dem zwei Zertifikate verglichen werden, über diese Fakten, die die Bonität der Emittentin betrafen, aufgeklärt werden müssen. Nur dann kann der Anleger insgesamt eine Risikobeurteilung durchführen und beurteilen, ob der vorgeschlagene „Tausch“ nicht nur wirtschaftlich günstiger, sondern auch genauso sicher ist. Nur in Kenntnis dieser Fakten kann der Anleger weiterhin beurteilen, ob die Einschätzung des Beraters, wie sicher ein Emittent im Vergleich zu einem anderen ist, von ihm geteilt wird. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob im April 2008 für der Anlageberater bereits ein konkretes Insolvenzrisiko von Lehman vorhersehbar war. Auch wenn der BGH in seinen ersten Lehman, Urteilen für die Zeitpunkte Dezember 2006 und September 2007 für die Beurteilung des Insolvenzrisikos lediglich auf die Bonitätsbewertungen (Ratings) abgestellt hat, die zu diesen Zeitpunkten so positiv gewesen seien, dass keine Zweifel an der Zahlungsfähigkeit aufkommen mussten5, folgt daraus nicht, das zu jedem Zeitpunkt allein das Rating für die Beurteilung eines konkreten Insolvenzrisikos entscheidend ist. Im April 2008 war das Rating zwar immer noch gut, allein auf das Rating dürfte aber angesichts der in der Zwischenzeit bekannt gewordenen negativen Fakten bei Lehman, gerade bei Vorschlag eines Zertifikataustausches, nicht mehr allein abgestellt werden. Denn gerade erst kurz vor der Anlageentscheidung bekannt gewordene negative Tatsachen sind in der Regel im Rating noch nicht berücksichtigt, da diese lediglich mit einer gewissen Zeitverzögerung durch die Ratingagenturen im Rating berücksichtigt werden können. Auch der positive Marktbericht von Lehman selbst rechtfertigt nicht, die negativen Fakten zu verschweigen, da es sich insoweit um eine einseitige Darstellung der betroffenen Gesellschaft und nicht um einen Bericht eines objektiven Dritten handelt. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, wie häufig über diese Fakten berichtet wurde und ob auch positive Presseberichte vorlagen. Unstreitig lagen die die Bonität der Garantin beeinflussenden negativen Fakten nämlich vor, der Anlageberater bestreitet ihr Vorliegen auch gar nicht. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, was für Schlussfolgerungen in der Presse aus diesen Fakten gezogen werden. Es ist nämlich nicht primär über die Schlussfolgerungen und Bewertungen, sondern über die zugrunde liegenden Fakten aufzuklären. Das Vorliegen negativer Fakten wird nicht relativiert durch Einschätzungen derart, dass Lehman sich besser geschlagen habe als andere Wettbewerber.

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Es kann auch kein Zweifel daran bestehen – und ist auch nicht bestritten -, dass der Anlageberater über die genannten Fakten jedenfalls aufgrund der Mitteilungen in den einschlägigen Presseberichten Kenntnis hatte, bzw. hätte Kenntnis haben müssen.

Soweit der Anlageberater Kenntnis des Anlegers von der negativen Presseberichterstattung einwendet, hat er eine entscheidende Kenntnis des Anlegers nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Hier ist bereits nicht nur unklar, welche konkreten Kenntnisse der Anleger über Lehman hatte. Allein die Tatsache, dass dieser Kenntnis von der amerikanischen Bankenkrise und dem Kapitalmarkt hatte, die zu einem Zeitpunkt auch Lehman betraf, reicht nicht aus, um dem Anleger konkrete Informationen über die Emittentenbank vorzuenthalten. Der Anlageberater hat nicht vorgetragen, mit dem Anleger über die konkreten Probleme bei Lehman, so wie sie sich aus der Presseberichterstattung ergeben haben, gesprochen zu haben. Es geht hier nicht um Kenntnis von der allgemeinen amerikanischen Bankenkrise, sondern um die Kenntnis von den negativen Fakten bezüglich Lehman, wie extremes Schwanken des Aktienkurses, Abschreibungen in Höhe von von 1,8 Milliarden, Einbruch des Nettoergebnisses, problematischer Wertpapierbestand in Höhe von 87 Mrd. Dollar, erhebliche Ausweitung des Credit Default Spreads und die Herabstufung des Ausblicks durch die Ratingagentur Fitch von stable auf negativ und der Ratingagentur Moody’s von positiv auf stable. Es ist nicht konkret vorgetragen, dass der Anleger von diesen Fakten Kenntnis hatte. Der Vortrag, der Anleger sei aufgrund der regelmäßigen Marktgespräche über die Bankenbranche und dem Kapitalmarkt im Allgemeinen über den wesentlichen Inhalt bereits informiert gewesen, bleibt völlig unkonkret und damit unsubstantiiert. Der Anlageberater stellt insoweit nur Vermutungen an. Er trägt an keiner Stelle vor, die Vorkenntnisse und das Wissen des Anlegers abgefragt zu haben, um ihn dann über die weiteren relevanten Fakten aufzuklären. Der Anleger hat jedenfalls bei seiner Vernehmung nachvollziehbar bekundet, dass er im April 2008 keine Kenntnis von negativen Meldungen bezüglich Lehman gehabt habe und der Anlageberater ihm gesagt habe, dass hinsichtlich der Sicherheit kein Unterschied zwischen der Commerzbank und Lehman bestehe. Was er angesichts der Gespräche im April 2008 konkret über Lehman gewusst haben soll, ist nicht ersichtlich und von dem Anlageberater nicht konkret vorgetragen. Auch aus der Tatsache, dass in dem Telefonat im April 2008 über Auffangszenarien bei einer möglichen Insolvenz von Lehman gesprochen worden sein soll, folgt nicht, dass über konkrete, zu einer Erhöhung des Insolvenzrisikos führende, Faktoren gesprochen wurde.

Sonderkündigungsrecht und fehlende Handelbarkeit der Zertifikate in den USA[↑]

Ob über das unbestritten bestehende Sonderkündigungsrecht der Emittentin und die Nichthandelbarkeit der Zertifikate in den USA hätte aufgeklärt werden müssen, kann hier dahingestellt bleiben, da die festgestellten Pflichtverletzungen für sich genommen bereits ausreichen, um eine Schadensersatzpflicht dem Anlageberater zu begründen. Gleiches gilt für die Frage, ob über eine Zahlung einer Vermittlungsgebühr von Lehman an der Anlageberater hätte aufgeklärt werden müssen und ob insoweit in dem Flyer ausreichend darüber informiert wurde.

Kausalität[↑]

Es ist für das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, dass das Landgericht aufgrund der Zeugeneinvernahme zu der sicheren Überzeugung gelangt ist, dass der Anleger dem Tausch nicht zugestimmt hätte, wenn er von dem in Wirklichkeit besseren Rating der Commerzbank und den negativen Fakten bei Lehman gewusst hätte. Insoweit braucht nicht mit der vom Bundesgerichtshof entwickelten Vermutungsregel für aufklärungsrichtiges Verhalten des Anlegers gearbeitet werden.

Die Beweiswürdigung des Landgericht weist keine Beweiswürdigungsfehler auf. Das Landgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass es aufgrund der überzeugenden Aussagen des Anlegers zu der sicheren Überzeugung gelangt ist, dass er bei Kenntnis von diesen Tatsachen dem Anlagevorschlag nicht zugestimmt hätte. Das Landgericht musste in seinen Überlegungen auch nicht berücksichtigen, dass es sich bei dem Anleger um einen risikobewussten Anleger handelte. Allein der Umstand, dass der Anleger bereits vor der konkreten Anlageentscheidung stark risikobehaftete Papiere gekauft hat, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Auch der risikobewusste Anleger muss von seinem Anlageberater vollständige und richtige Informationen erhalten, um eine eigenverantwortliche Anlageentscheidung treffen zu können. Einer Information bedarf es nur dann nicht, wenn der Anleger diese Informationen bereits besitzt. Dann liegt aber bereits keine Pflichtverletzung vor. Hierzu müsste der Anlageberater aber – wie bereits dargelegt – das konkrete Wissen des Anlegers abfragen oder darlegen, aufgrund welcher Umstände er von der Kenntnis bestimmter Fakten bei dem Anleger ausgehen konnte. Auch der Umstand, dass das richtige Rating der Commerzbank immer noch schlechter war als das Ranking von Lehman, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Der Anleger hat bei seiner Vernehmung nachvollziehbar dargelegt, dass es ihm auch darum ging, eine sicherere Anlage zu erwerben. Daher ist es durchaus plausibel, dass ein größerer Unterschied im Rating die Entscheidung positiv im Hinblick auf das zu erwerbende Produkt beeinflusst. Mitursächlichkeit reicht insoweit aus6. Dass der Unterschied für ihn wesentlich war, hat der Anleger dargelegt. Dies folgte für ihn nachvollziehbar daraus, dass der Unterschied im Rating durch die Falschangabe für ihn größer war als tatsächlich. Dass das Rating für ihn nahezu gleich war, hat der Anleger bei seiner Vernehmung entgegen den Darlegungen der Berufung nicht bekundet. Auch die Tatsache, dass der Anleger Kenntnis von der allgemeinen amerikanischen Bankenkrise hatte und er dennoch das Zertifikat einer amerikanischen Bank kaufte, spricht nicht dafür, dass er die Zertifikate auch gekauft hätte, wenn er von einem konkreten Risiko bei Lehman gewusst hätte. Denn dadurch, dass der Anlageberater hinsichtlich der Sicherheit den Vergleich zu einer deutschen Bank hergestellt hat, hat er suggeriert, dass die allgemeinen Risiken des amerikanischen Bankenmarkts bei Lehman nicht zuträfen.

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Im Übrigen ist der Umstand, dass man ein Papier behält, obwohl man von einer Beratungspflichtverletzung Kenntnis erhält, nicht zwingend ein Indiz dafür, dass man bei Kenntnis das Papier dennoch erworben hätte. Für das Behalten eines Papieres können ganz andere Umstände eine Rolle spielen als für den Neuerwerb, so wie zum Beispiel Kosten oder steuerliche Erwägungen.

Hinsichtlich der Nichtangabe der EuroStoxx50-Barriere streitet für den Anleger die Vermutungsregel des aufklärungsrichtigen Verhaltens. Bei der Verletzung von Beratungspflichten gilt die Vermutung, dass der Mandant bei pflichtgemäßer Belehrung des Beraters dessen Hinweisen gefolgt wäre, sofern für ihn bei vernünftiger Betrachtungsweise aus damaliger Sicht nur eine Entscheidung nahegelegen hätte. Dabei gilt die Kausalitätsvermutung für alle Aufklärungspflichten des Beraters7. Das gilt nach der Rechtsprechung des BGH auch dann, wenn es Handlungsalternativen gegeben hätte8. Wenn die Vermutungsregel greift, hat der Bankberater konkrete Umstände vorzutragen und zu beweisen, die es überwiegend wahrscheinlich sein lassen, dass der Kunde die Anlage auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung getätigt hätte. Solche Umstände hat der Anlageberater nicht vorgetragen. Auch wenn andere Kriterien, wie die erhöhten Kuponzahlungen oder steuerliche Erwägungen bei dem Tausch eine Rolle gespielt haben mögen, so folgt daraus nicht, dass die weiteren Entscheidungskriterien nicht kausal geworden sind. Gerade weil die bessere Barriere auch eines der Verkaufsargumente der Beklagen war, ist nicht ersichtlich, warum die Falschberatung nicht mitursächlich geworden sein soll. Bei einer „Tausch“entscheidung ist zu berücksichtigen, dass es in der Regel mehrere Vor- und Nachteile der zu vergleichenden Anlagen gibt. Die Entscheidung wird dann vom Anleger unter Abwägung aller Vor- und Nachteile getroffen werden. Dabei spielt auch eine Rolle, dass ein solcher Austausch von Anlagen stets mit Kosten verbunden ist und nicht jeglicher Vorteil zu einer Umschichtung des Vermögens führen wird. Da es um den „Tausch“ eines Zertifikates in ein angeblich besseres Zertifikat ging, für dessen Bewertung auch gerade die Barrieren eine Rolle spielten, ist durch das Vorhandensein anderer Entscheidungskriterien die Kausalitätsvermutung nicht widerlegt.

Mitverschulden[↑]

Der Anlageberater kann sich nicht mit Erfolg auf den Mitverschuldenseinwand berufen. Grundsätzlich kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Mitverschulden bei der Falschberatung eines Anlageberaters nicht eingewandt werden. Der Anleger darf sich in der Regel auf die Beratung verlassen und ist nicht gehalten, die Richtigkeit der Beratung zu überprüfen9.

Dennoch kann unter besonderen Umständen der Einwand des Mitverschuldens begründet sein, etwa wenn Warnungen von dritter Seite oder differenzierende Hinweise des anderen Teils nicht genügend beachtet wurden oder wenn im Hinblick auf die Interessenlage, in der der Anlageinteressent und der Anlagevermittler in vertragliche Beziehungen zueinander treten, solche besonderen Umstände vorliegen10. Soweit der Anlageberater sich darauf beruft, der Anleger hätte Warnungen durch Dritte oder selbst gelesenen Zeitungsberichten nicht beachtet, ist der Anlageberater für die bestrittene Behauptung darlegungs- und beweispflichtig geblieben. Die Berufung auf die Kenntnis der allgemeinen amerikanischen Bankenkrise ist insoweit -wie bereits dargelegt – nicht ausreichend.

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Schaden[↑]

Der Schaden liegt hier darin, dass der Anleger ein Papier erhalten hat, bei dem er hinsichtlich der Risiken und Nachteile im Verhältnis zum Commerzbankzertifikat nicht richtig aufgeklärt worden ist. Er kann daher Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übertragung der erworbenen Papiere verlangen.

Soweit der Anlageberater nunmehr einwendet, der Schaden sei begrenzt, da jedenfalls ab Juli 2008 Kenntnis von der Bankenkrise bestanden habe und insoweit jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die Kausalität entfallen würde, greift dieser Einwand nicht. Dieses Argument betrifft nicht den Schaden, sondern nur die Mitverantwortlichkeit des Anlegers an einer ab diesem Zeitpunkt eintretenden Schadensvergrößerung. Insoweit ist aber zur Kenntnis hinsichtlich der zur Pflichtverletzung führenden Umstände (falsches Rating der Commerzbank, fehlende Angabe zur EuroStoxx50-Barriere, Abschreibungen in Höhe von von 1,8 Milliarden, Einbruch des Nettoergebnisses, problematischer Wertpapierbestand in Höhe von 87 Mrd. Dollar, erhebliche Ausweitung des Credit Default Spreads und die Herabstufung des Ausblicks durch die Ratingagentur Fitch von stable auf negativ und der Ratingagentur Moody’s von positiv auf stable auch im Juli 2008) nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

Abraten vom Verkauf der Zertifikate im Juli/August 2008[↑]

Der Anlageberater ist weiterhin zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Anleger dadurch entstanden ist, dass der Anlageberater ihn im Juli/August 2008 nicht über die Herabstufung des Ratings von Lehman und deren Negativpresse aufgeklärt hat und ihm von einem Verkauf der Lehman-Zertifikate abgeraten hat. Die Anlageentscheidung beruhte auch auf diesen Pflichtverletzungen.

Jedenfalls hinsichtlich der Frage, ob die Lehman-Zertifikate im Juli/August verkauft werden sollten, ist ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist. Dies ergibt sich aus der ständigen Geschäftsbeziehung, sowie der Anfrage und der Antwort hierauf per Mail vom 08.08.2008.

Eine Pflichtverletzung ist darin zu sehen, dass der Anlageberater den Anleger am 28.07.2008 nicht auf die Absenkungen des Ratings durch die Ratingagenturen hingewiesen hat.

Die Nichtaufklärung über die Herabstufung stellt eine Pflichtverletzung dar. Grundsätzlich hat der Berater in Bezug auf das Anlageobjekt über die Eigenschaften und Risiken aufzuklären, die für die jeweilige Anlageentscheidung – oder hier der Verkaufsentscheidung – von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können. Wenn der Anleger fragt, ob er die Anlage verkaufen solle und was bei Lehman los sei, so muss der Berater über alle wesentlichen Aspekte, die für die Verkaufsentscheidung von Bedeutung sein könnten, aufklären. Ob es ausreichende Anhaltspunkte für ein gestiegenes Insolvenzrisiko trotz weiter bestehenden guten Ratings bei Lehman im Juli 2008 gab, kann im Rahmen der Entscheidung, ob über eine Herabstufung aufgeklärt werden muss, dahin gestellt bleiben. Auch kann offen bleiben, ob die Absenkung des Ratings von A+ auf A bei der Ratingagentur S + P und von A3 auf A2 bei Moodys allein ein hinreichendes Indiz für ein aufklärungspflichtiges gestiegenes Insolvenzrisiko war, da nach wie vor ein Rating mit guter Bonität der Emittentin/Garantin vorlag. Denn die Herabstufung als solche ist nach Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts jedenfalls dann aufklärungspflichtig, wenn – wie hier – ein Anleger im Hinblick auf stark gefallene Kurse im Rahmen einer Verkaufsanfrage fragt, was denn los sei. Jedenfalls ist dann die Auskunft, es habe sich nichts geändert, schlichtweg falsch, denn die Herabstufung im Rating ist auf jeden Fall eine Änderung.

In diesem Zusammenhang hätte der Anlageberater auch über die sich aus den Presseberichten ergebenden negativen Tatsachen aufklären müssen. Aus den Presseberichten gehen nicht nur Meinungsäußerungen ohne zugrunde liegende Fakten hervor. Es wird vielmehr zusätzlich zu den negativen Berichten aus März/April 2008 von einem negativen Ertrag von 2,8 Mrd. berichtet, auch wird deutlich der Vertrauensverlust des Marktumfeldes durch die hohen Verluste von 2,8 Mrd. Insbesondere machen die Berichte deutlich, dass das Lehman-Management vor der Meldung der weiteren Verluste die Situation beschönigend dargestellt, die Erforderlichkeit weiterer Kapitalerhöhungen verneint hat und trotz Kapitalerhöhung um 4 Mrd. weitere höhere Verluste eingetreten sind. Daraus ergibt sich zumindest die Erhöhung des Risikos bei Lehman

Eine Aufklärungspflicht besteht zwar nur insoweit, als der Anleger von diesen negativen Tatsachen nicht bereits Kenntnis hatte. Für die Kenntnis des Anlegers ist der Anlageberater darlegungs- und beweispflichtig. Der Anleger gibt insoweit zwar zu, dass er Kenntnis von der allgemeinen Bankenkrise hatte. Dies allein ist aber nicht ausreichend, um von der Entbehrlichkeit der Information über konkrete Negativfakten bezüglich Lehman auszugehen. Auch hatte der Anleger zwar Kenntnis von den stark sinkenden Kursen von Lehman und den hohen Verlusten, denn diese waren dem 2. Quartalsbericht von Lehman zu entnehmen, den der Anlageberater dem Anleger zugesandt hatte. Allerdings war diese Verlustmeldung von Lehman im Quartalsbericht in ansonsten positive Meldungen wie „Anhaltende Stärke unserer Kundenbeziehungen“, „Gute Positionierung für neue Marktchancen“, „starke Kapitalausstattung“, „Liquidität stark wie noch nie“, „Abbau von Risikoaktiva in bedeutenden Asset-Klassen“, „Operatives Kerngeschäft weiterhin ertragsstark“ und „Robustes Geschäftsmodell wird weiter ausgebaut“ und von dem Berater mit den begleitenden Worten “ anbei Lehman-Zahlen – sehr interessant…“ übersandt, eingebettet. Nach Auffassung des OLG Hamburg hätte daher der Anlageberater den Anleger darüber aufklären müssen, dass die positiven Prognosen des Managements vom April 2008 nicht eingetreten sind und trotz weiterer Kapitalerhöhungen es dem Management nicht gelungen ist, den Abwärtstrend zu stoppen, sondern diesen noch weiter verstärkt hat, das Risiko also zumindest gestiegen ist. Diese Tatsachen hat der Anlageberater verschwiegen und regelrecht weggeredet. Aus den Zeugenaussagen ergibt sich nämlich, dass der Berater dem Anleger erklärt hat, das Lehman stabil sei, der Markt sich wieder drehe und es sich lediglich um eine negative Pressekampagne gegen Lehman handele. Dies ist eine unzulässige Verharmlosung, der Anlageberater hätte deutlich machen müssen, dass es sich insoweit um eine persönliche, nicht auf Fakten basierende, Einschätzung handelt.

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Auch die von dem Berater gegenüber dem Anleger als sicher dargestellte Empfehlung, dass der Verkauf einen Fehler darstellen würde, weil Lehman stabil sei und der Markt sich wieder drehen werde, die Presse habe sich auf Lehman eingeschossen, schlimmstenfalls werde Lehman durch den Staat gestützt, war im Juli 2008 nicht mehr vertretbar.

Soweit der Anlageberater auch hier Kenntnis einwendet, gilt das bereits im Rahmen der Pflichtverletzung Gesagte entsprechend. Der Anlageberater hat nicht konkret dargelegt, dass der Anleger Kenntnis von der Herabstufung des Ratings von Lehman oder von den konkreten in den Presseberichten genannten Tatsachen hatte. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht aufgrund der Zeugeneinvernahme zu der sicheren Überzeugung gelangt ist, dass der Anleger im Juli 2008 die Zertifikate verkauft hätte, wenn er von der Herabstufung und den Fakten in der Presse von dem Berater aufgeklärt worden wäre. Allein die Tatsache, dass er davor auch Anlagen mit A-Rating gekauft hat, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Gerade eine Veränderung des Ratings nach unten kann in Zusammenhang mit weiteren negativen Fakten – wie vom Anleger dargelegt – ein Indiz für einen beginnenden Abwärtstrend und Motiv für den Verkauf von Papieren sein. Dass auch steuerliche Überlegungen im Rahmen der Frage des Verkaufs eine Rolle gespielt haben mögen, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Insoweit reicht Mitursächlichkeit.

Hinsichtlich der zweiten Tranche hat das Landgericht zu Recht den Kurs für die Zertifikate am 28.07.2008 zugrunde gelegt.

Ein Mitverschulden hinsichtlich des Nichtverkaufs der Zertifikate im Juli 2008 ist nicht ersichtlich. Auch insoweit hat der Anlageberater nicht substantiiert dargelegt, von welchen Tatsachen der Anleger konkret Kenntnis hatte. Kenntnis von der amerikanischen Bankenkrise im Allgemeinen und bei Lehman im Speziellen reicht insoweit nicht. Gerade weil der Anleger von Problemen bei Lehman erfahren hat, hat er ja bei dem Anlageberater nachgefragt, was bei Lehman los sei. Insoweit hat er signalisiert, dass er Beratungsbedarf habe und Informationen benötige. Wenn dann dies von dem Fachmann mit den Worten abgetan wird, es habe sich bei Lehman nichts geändert, es handele sich lediglich um Gerüchte und die Presse habe sich auf Lehman eingeschossen, so besteht trotz Kenntnis von stark gefallenen Kursen und Verlusten keine weitere Nachforschungspflicht. Es war für den Anleger auch nicht ersichtlich, dass es sich insoweit um eine rein persönliche Einschätzung des Beraters handelte.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 16. Mai 2012 – 14 U 291/10

  1. vgl. zuletzt BGH – XI ZR 182/10, m.w.N.; und BGH – XI ZR 178/10[]
  2. vgl. so der BGH hinsichtlich der Verpflichtung, bei Beratungsfehlern den Prospekt auf weitere Beratungsfehler zu kontrollieren, BGH ZR III 203/09[]
  3. vgl. BGH NJW-RR 2009, 687, 688[]
  4. vgl. BGH a.a.O.[]
  5. vgl. BGH XI ZR 182/10 und XI ZR 178/10[]
  6. vgl. BGH v. 26.04.1991, V ZR 165/89[]
  7. vgl. BGH 12.05.2009, XI ZR 586/07[]
  8. vgl. BGH 2.03.2009, II ZR 266/07[]
  9. vgl. BGH NJW-RR 1998, 16; BGH NJW 2010, 3292[]
  10. vgl. BGH NJW-RR 1993, 1114[]