Aufgrund der Anmeldung eines Zeichens als Marke ist im Regelfall zu vermuten, dass seine Benutzung für die einzutragenden Waren oder Dienstleistungen in naher Zukunft bevorsteht, wenn keine konkreten Umstände vorliegen, die gegen eine solche Benutzungsabsicht sprechen [1]. Die Anmeldung einer Marke begründet regelmäßig eine Begehungsgefahr auch für eine markenmäßige Benutzung des angemeldeten Zeichens [2].

Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke regelmäßig die Gefahr ihrer Benutzung (auch) in Deutschland begründet [3] oder ob eine Erstbegehungsgefahr nur bei zusätzlichen Anzeichen für eine drohende Verwendung im Inland zu bejahen ist [4]. Die Frage braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.
Die Frage, ob allein eine Anmeldung der Gemeinschaftsmarke die Annahme der Erstbegehungsgefahr für die Verletzung von mit dem angemeldeten Zeichen kollidierenden nationalen Marken begründen kann, bedarf entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung keiner Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union. Die Frage ist nicht entscheidungserheblich, weil im Streitfall außer der Markenanmeldung weitere Umstände vorliegen, die die Erstbegehungsgefahr in Deutschland begründen.
Die Erstbegehungsgefahr entfällt auch nicht dadurch, dass die Anmelderin die Entscheidung des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt über die Zurückweisung der Markenanmeldung hat bestandskräftig werden lassen.
An die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr sind grundsätzlich weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Fortfall der durch eine Verletzungshandlung begründeten Gefahr der Wiederholung des Verhaltens in der Zukunft. Anders als für die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr besteht für den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr keine tatsächliche Vermutung. Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr genügt daher grundsätzlich ein „actus contrarius“, also ein der Begründungshandlung entgegengesetztes Verhalten [5], sofern es ernst gemeint und unmissverständlich ist [6]. Im Regelfall führt bei der durch eine Markenanmeldung oder eintragung begründeten Erstbegehungsgefahr die Rücknahme der Markenanmeldung oder der Verzicht auf die Eintragung der Marke zum Fortfall der Erstbegehungsgefahr [7]. Dabei ist es unerheblich, ob die Rücknahme der Anmeldung beziehungsweise der Verzicht auf die Eintragung aus prozessökonomischen Gründen oder aufgrund besserer Einsicht erfolgt ist [8].
Die Anmelderin hat im vorliegenden Fall ihre in der Anmeldung der Gemeinschaftsfarbmarke „Rot“ zutage getretene Absicht zur markenmäßigen Benutzung des roten Farbtons nicht durch ein ausreichendes entgegengesetztes Verhalten beseitigt. Die unterbliebene Einlegung einer Beschwerde gegen die die Anmeldung einer Marke zurückweisende Entscheidung steht der Rücknahme der Markenanmeldung nicht gleich. Insoweit fehlt es an einer auf die Erzielung einer bestimmten Rechtswirkung gerichteten positiven Handlung des Anmelders nach außen, die der Annahme entgegensteht, er werde das angemeldete Zeichen markenmäßig nutzen [9]. Die unterbliebene Fortführung des Anmeldeverfahrens lässt nicht unmissverständlich auf die willentliche Entscheidung des Anmelders schließen, die Absicht zur markenmäßigen Benutzung des angemeldeten Zeichens aufzugeben, sondern kann auf vielfältigen Gründen beruhen [10]. Der bloßen Untätigkeit kommt ebenso wenig ein Erklärungswert zu wie dem bloßen Schweigen [11].
Der Annahme einer fortbestehenden Erstbegehungsgefahr bei bloßer Nichteinlegung eines Rechtsmittels steht nicht entgegen, dass die Erstbegehungsgefahr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entfällt, wenn die Anmeldung einer nationalen Marke aufgrund der unterbliebenen Zahlung der Anmeldegebühren gemäß § 64a MarkenG, § 6 Abs. 2 PatKostG als zurückgenommen gilt [12]. In beiden Fällen trägt der Anmelder zwar durch seine Untätigkeit dazu bei, dass es nicht zur Eintragung der Marke kommt. Im Fall der unterlassenen Einzahlung der Anmeldegebühren wird aber eine bewusste Handlung in Form der Rücknahme der Anmeldung und damit die entsprechende Rechtswirkung vom Gesetz fingiert [13]. Eine vergleichbare gesetzliche Fiktion bei der unterbliebenen Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung über die Zurückweisung einer Markenanmeldung existiert weder im Gemeinschaftsmarkenrecht noch im nationalen Markenrecht. Der vom Berufungsgericht angenommene Wertungswiderspruch, dass dasselbe tatsächliche Verhalten bei der Gemeinschaftsmarke einerseits und der nationalen Marke andererseits zu einer unterschiedlichen Beurteilung des Wegfalls der Erstbegehungsgefahr führen würde, besteht bei der vorliegend in Rede stehenden Verhaltensweise deshalb nicht.
Der Anmelderin standen und stehen nach der Anmeldung der Gemeinschaftsfarbmarke hinreichende Möglichkeiten zur Verfügung, um die Erstbegehungsgefahr auszuräumen. Sie konnte bis zur bestandskräftigen Entscheidung des Harmonisierungsamts die Markenanmeldung zurücknehmen [14]. Anschließend konnte sie durch Abgabe einer Unterlassungserklärung dem Inhaber der widersrpechenden Marke gegenüber unmissverständlich und ernsthaft zu erkennen geben, dass sie die als Marke angemeldete Farbe „Rot“ nicht als Herkunftshinweis benutzen werde [15]. Ob dazu nachdem sie die Markenanmeldung nicht zurückgenommen hatte in jedem Fall eine strafbewehrte Unterlassungserklärung erforderlich war, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, weil die Anmelderin keinerlei Unterlassungserklärung abgegeben hat.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. September 2015 – I ZR 78/14
- vgl. BGH, Urteil vom 13.03.2008 – I ZR 151/05, GRUR 2008, 912 Rn. 30 = WRP 2008, 1353 Metrosex; Urteil vom 04.12 2008 – I ZR 94/06, GRUR-RR 2009, 299 Rn. 12 – Underberg; Urteil vom 14.01.2010 – I ZR 92/08, GRUR 2010, 838 Rn. 24 = WRP 2010, 1043 – DDR-Logo[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2010, 838 Rn. 25 – DDR-Logo; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Aufl., vor §§ 1419d Rn. 103[↩]
- so Fezer, Markenrecht, 4. Aufl., § 14 Rn. 1007; Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 14 MarkenG Rn. 615[↩]
- so OLG München, GRUR-RR 2005, 375, 378; Ingerl/Rohnke aaO vor §§ 1419d Rn. 119; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, 11. Aufl., § 14 Rn. 446[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2008, 912 Rn. 30 – Metrosex; GRUR-RR 2009, 299 Rn. 12 – Underberg; GRUR 2010, 838 Rn. 27 – DDR-Logo; GRUR 2014, 382 Rn. 33 – REAL-Chips[↩]
- vgl. BGH, GRUR-RR 2009, 299 Rn. 14 – Underberg; BGH, Urteil vom 15.01.2009 – I ZR 57/07, GRUR 2009, 841 Rn. 23 = WRP 2009, 1139 – Cybersky; BGH, GRUR 2014, 382 Rn. 35 – REAL-Chips[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2008, 912 Rn. 30 f. – Metrosex; GRUR-RR 2009, 299 Rn. 12 Underberg; GRUR 2010, 838 Rn. 29 – DDR-Logo[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2008, 912 Rn. 30 f. – Metrosex; GRUR-RR 2009, 299 Rn. 12 – Underberg[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2014, 382 Rn. 34 f. REAL-Chips[↩]
- vgl. Ingerl/Rohnke aaO vor §§ 1419d Rn. 128[↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 19.09.2002 – V ZB 37/02, NJW 2002, 3629, 3630[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2010, 838 Rn. 30 – DDR-Logo[↩]
- vgl. BGH, GRUR 2014, 382 Rn. 36 – REAL-Chips[↩]
- vgl. HABM, Entscheidung vom 23.03.2007 R 350/20071 Rn. 8; Entscheidung vom 12.11.2013 R 2240/20121 Rn. 6; BeckOK MarkenR/Leister, 3. Edition, Stand 1.08.2015, VO (EG) 207/2009 Art. 43 Rn. 4; Hoffrichter-Daunicht in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO Art. 43 GMV Rn. 3; Schennen in Eisenführ/Schennen, Gemeinschaftsmarkenverordnung, 4. Aufl., Art. 43 Rn. 8[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2008 – I ZR 142/05, GRUR 2008, 815 Rn.20 = WRP 2008, 1180 Buchführungsbüro; MünchKomm-.UWG/Fritzsche, 2. Aufl., § 8 Rn. 98[↩]
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