Mehrere Abmahnungen = eine gebührenrechtliche Angelegenheit

Wird ein Rechtsanwalt beauftragt, gegen eine unrichtige Presseberichterstattung vorzugehen, so kann eine Tätigkeit in derselben Angelegenheit auch dann vorliegen, wenn sich die für den Betroffenen ausgesprochenen Abmahnungen sowohl gegen den für das Printprodukt verantwortlichen Verlag und den verantwortlichen Redakteur als auch gegen die für die Verbreitung der Berichterstattung im Internet Verantwortlichen richten.

Mehrere Abmahnungen = eine gebührenrechtliche Angelegenheit

Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war1.

Die Frage, ob von einer oder von mehreren Angelegenheiten auszugehen ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beantworten, wobei insbesondere der Inhalt des erteilten Auftrags maßgebend ist2.

Die Annahme einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne setzt nicht voraus, dass der Anwalt nur eine einzige Prüfungsaufgabe zu erfüllen hat. Von einem einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit kann vielmehr grundsätzlich auch dann noch gesprochen werden, wenn der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen bzw. mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Denn unter einer Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne ist das gesamte Geschäft zu verstehen, das der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Ihr Inhalt bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen der Rechtsanwalt tätig wird. Die Angelegenheit ist von dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit abzugrenzen, der das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis bezeichnet, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht. Eine Angelegenheit kann durchaus mehrere Gegenstände umfassen3. Für einen einheitlichen Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit reicht es grundsätzlich aus, wenn die verschiedenen Gegenstände in dem Sinn einheitlich vom Anwalt bearbeitet werden können, dass sie verfahrensrechtlich zusammengefasst bzw. in einem einheitlichen Vorgehen – z.B. in einem einheitlichen Abmahnschreiben – geltend gemacht werden können4.

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Die Inanspruchnahme mehrerer Schädiger kann eine einzige Angelegenheit in diesem Sinne sein. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn den Schädigern eine gleichgerichtete Verletzungshandlung vorzuwerfen ist und demgemäß die erforderlichen Abmahnungen einen identischen oder zumindest weitgehend identischen Inhalt haben. So ist das Vorliegen einer Angelegenheit zu bejahen, wenn Unterlassungsansprüche die gleiche Berichterstattung betreffen, an deren Verbreitung die in Anspruch Genommenen in unterschiedlicher Funktion mitwirken5. Abweichendes mag gelten, wenn es um – auch unternehmerisch – eigenständige Publikationen geht6. In der Regel kommt es auch nicht darauf an, dass jede Abmahnung wegen der verschiedenen Rechtspersönlichkeiten gegenüber jedem Schädiger ein eigenes rechtliches Schicksal haben kann. Sofern die Reaktionen der verschiedenen Schädiger auf die gleichgerichteten Abmahnungen nicht einheitlich ausfallen und deshalb eine differenzierte Bearbeitung durch den Rechtsanwalt erfordern, können aus der ursprünglich einheitlichen Angelegenheit mehrere Angelegenheiten entstehen7.

Der Beurteilung als eine Angelegenheit steht auch nicht schon entgegen, dass die Rechtmäßigkeit einer Berichterstattung hinsichtlich verschiedener in Anspruch zu nehmender Personen – etwa des Autors des Artikels, des Verlags, des Domain-Inhabers und des Betreibers des Online-Angebots – getrennt zu prüfen ist8. Insofern mag es sich um verschiedene Gegenstände handeln9. Mehrere Gegenstände bzw. Prüfungsaufgaben können indes in derselben Angelegenheit behandelt werden10.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 1. März 2011 – VI ZR 127/10

  1. BGH, Urteile vom 04.12.2007 – VI ZR 277/06, VersR 2008, 413, Rn. 17; vom 26.05.2009 – VI ZR 174/08; vom 27.07.2010 – VI ZR 261/09; vom 03.08.2010 – VI ZR 113/09; und vom 19.10.2010 – VI ZR 237/09[]
  2. vgl. BGH, Urteile vom 27.07.2010 – VI ZR 261/09; vom 03.08.2010 – VI ZR 113/09; und vom 19.10.2010 – VI ZR 237/09[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 26.05.2009 – VI ZR 174/08, mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2003 – IX ZR 109/00, NJW 2004, 1043, 1045; vom 03.05.2005 – IX ZR 401/00, NJW 2005, 2927, 2928; AnwK-RVG/N. Schneider, 5. Aufl., § 15 Rn. 31 f.[]
  5. BGH, Urteile vom 27.07.2010 – VI ZR 261/09; und vom 19.10.2010 – VI ZR 237/09[]
  6. vgl. LG Hamburg, AfP 2010, 197, 198[]
  7. vgl. BGH, Urteile vom 19.10.2010 – VI ZR 237/09; vom 27.07.2010 – VI ZR 261/09; und vom 03.05.2005 – IX ZR 401/00; vgl. auch BGH, Urteil vom 11.12.2003 – IX ZR 109/00[]
  8. vgl. LG Frankfurt am Main, AfP 2009, 77, 78; a.A. LG Berlin, JurBüro 2009, 421, 422; AfP 2009, 86, 87[]
  9. vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 05.10.2005 – VIII ZB 52/04, NJW 2005, 3786; vom 15.04.2008 – X ZB 12/06, AnwBl. 2008, 638; OLG Stuttgart, JurBüro 1998, 302, 303[]
  10. BGH, Urteile vom 19.10.2010 – VI ZR 237/09; vom 27.07.2010 – VI ZR 261/09; und vom 26.05.2009 – VI ZR 174/08; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 15 Rn. 6, 8[]
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