Mehrere Mieter – und die Realofferte des Energieversorgers

Das typischerweise an alle Mieter eines Grundstücks (hier: eines Einfamilienhauses) gerichtete Leistungsangebot des Energieversorgungsunternehmens (sogenannte „Realofferte“) wird in der Regel von demjenigen, der die Energie entnimmt, konkludent sowohl für sich selbst als auch im Wege der – jedenfalls nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht gegebenen – Stellvertretung für die Mitmieter angenommen1.

Mehrere Mieter – und die Realofferte des Energieversorgers

Das konkludente Angebot des Energieversorgungsunternehmens auf Abschluss eines Versorgungsvertrags richtet sich bei der gebotenen Auslegung aus Sicht eines verständigen Dritten in der Position des Empfängers (§§ 133, 157 BGB) an alle Mietmieter als Gesamtschuldner. Es wurde von allen Mitmietern konkludent angenommen, indem einer von ihnen in dem gemieteten Einfamilienhaus Gas verbrauchte. Dabei handelte er sowohl im eigenen Namen als auch als Stellvertreter für den anderen Mitmieter.

In dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ist grundsätzlich ein Vertragsangebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrags in Form einer sogenannten Realofferte zu sehen. Diese wird von demjenigen konkludent angenommen, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt. Dieser Rechtsgrundsatz, der in § 2 Abs. 2 der Verordnungen über die Allgemeinen Bedingungen für die (Grund)Versorgung mit Energie und Wasser (StromGVV, GasGVV, AVBWasserV, AVBFernwärmeV) lediglich wiederholt wird, trägt der Tatsache Rechnung, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden. Er zielt darauf ab, einen ersichtlich nicht gewollten vertragslosen Zustand bei den zugrunde liegenden Versorgungsleistungen zu vermeiden2, und berücksichtigt die normierende Kraft der Verkehrssitte, die dem sozialtypischen Verhalten der Annahme der Versorgungsleistungen den Gehalt einer echten Willenserklärung zumisst. Aus Sicht eines objektiven Empfängers stellt sich typischerweise die Vorhaltung der Energie und die Möglichkeit der Energieentnahme an den ordnungsgemäßen Entnahmevorrichtungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte als Leistungsangebot und damit als Vertragsangebot dar. Die Inanspruchnahme der angebotenen Leistungen beinhaltet – auch bei entgegenstehenden ausdrücklichen Äußerungen – die schlüssig erklärte Annahme dieses Angebots, weil der Abnehmer weiß, dass die Lieferung nur gegen eine Gegenleistung erbracht zu werden pflegt3.

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Kommen mehrere Adressaten des schlüssig erklärten Vertragsangebots des Versorgungsunternehmens in Betracht, ist durch Auslegung aus Sicht eines verständigen Dritten in der Position des möglichen Erklärungsempfängers zu ermitteln, an wen sich die Realofferte richtet. Weichen der vom Erklärenden beabsichtigte Inhalt der Erklärung und das Verständnis des objektiven Empfängers voneinander ab, hat die – dem Erklärenden zurechenbare – objektive Bedeutung des Verhaltens aus der Sicht des Erklärungsgegners Vorrang vor dem subjektiven Willen des Erklärenden4. Es kommt mithin nicht auf die subjektive Sicht des Erklärenden an, sondern darauf, an wen sich nach dem objektiven Empfängerhorizont das in der Bereitstellung von Gas liegende Vertragsangebot richtet.

Empfänger der im Leistungsangebot des Versorgungsunternehmens liegenden Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrags ist hiernach typischerweise derjenige, der die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt ausübt5.

Inhaber dieser Verfügungsgewalt ist grundsätzlich der Eigentümer. Wie das Berliner Kammergericht insoweit zu Recht angenommen hat6, kommt es dabei jedoch nicht auf die Eigentümerstellung selbst, sondern auf die hierdurch vermittelte Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss am Übergabepunkt an7.

Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt kann deshalb auch eine andere Person sein, etwa der Mieter oder Pächter eines Grundstücks, da diesem aufgrund des Miet- oder Pachtvertrags die tatsächliche Verfügungsgewalt über die ihm überlassenen Miet- oder Pachtsache eingeräumt wird8. Ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist, er also etwa weiß, dass das zu versorgende Grundstück sich im Besitz eines Mieters oder Pächters befindet und dieser die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss ausübt, ist unerheblich. Denn bei einer am objektiven Empfängerhorizont unter Beachtung der Verkehrsauffassung und des Gebots von Treu und Glauben ausgerichteten Auslegung der Realofferte eines Energieversorgers geht dessen Wille – ähnlich wie bei unternehmensbezogenen Geschäften9 – im Zweifel dahin, den – möglicherweise erst noch zu identifizierenden – Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss zu berechtigen und zu verpflichten. Jede andere Sichtweise würde dem in § 2 Abs. 2 der Verordnungen über die Allgemeinen Bedingungen für die (Grund)Versorgung mit Energie (StromGVV, GasGVV, AVBFernwärmeV) zum Ausdruck gekommenen, an den beiderseitigen Interessen orientierten Verkehrsverständnis zuwiderlaufen, zur Vermeidung eines vertragslosen Zustands einen Vertrag mit demjenigen zustande zu bringen, der die angelieferte Energie oder das angelieferte Wasser entnimmt10.

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Ob für die Anlieferung und Entnahme für Wasser die Realofferte des Versorgers im Hinblick darauf, dass die Gemeinden in ihren Satzungen häufig den Grundstückseigentümer als Anschlussberechtigten und verpflichteten ausweisen, regelmäßig dahin auszulegen ist, dass sie sich an den Eigentümer richtet11, kann offen bleiben12. Denn im Streitfall stehen die Lieferung und der Verbrauch von Gas in Frage.

Diese auf den Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss weisenden Grundsätze gelten nur dann nicht, wenn gegenläufige Anhaltspunkte vorhanden sind, die im Einzelfall unübersehbar in eine andere Richtung weisen13, oder wenn der Abnehmer der Versorgungsleistung bereits anderweitig feststeht, weil das Versorgungsunternehmen oder der Abnehmer zuvor mit einem Dritten eine Liefervereinbarung geschlossen haben, aufgrund derer die – nur einmal fließende – Leistung in ein bestehendes Vertragsverhältnis eingebettet ist14.

Bei Anwendung dieser Grundsätze sind alle Mitmieter als Gesamtschulder – und nicht, wie das Berliner Kammergericht meint15, der entnehmende Mieter allein – als Empfänger der im Leistungsangebot des Energieversrogers liegenden Realofferte zum Abschluss eines Gaslieferungsvertrags anzusehen.

Aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers der Realofferte des Energieversorgersgerin richtete sich diese an denjenigen, dem aus dem Eigentum oder aus einer vom Eigentümer vertraglich eingeräumten Nutzungsbefugnis die tatsächliche Verfügungsgewalt über den auf dem Grundstück befindlichen Versorgungsanschluss am Übergabepunkt zusteht. Letzteres ist hier sowohl hinsichtlich aller Mitmieter des Hauses der Fall.

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Wer einen Mietvertrag abschließt, hat mit der Einräumung der Nutzungsbefugnis typischerweise auch die tatsächliche Sachherrschaft über die gemieteten Räume und die darin vorhandenen Versorgungsanschlüsse. Dies gilt auch, wenn – wie hier – mehrere Mieter gemeinschaftlich den Mietvertrag abschließen. Die Realofferte des Energieversorgungsunternehmens richtet sich in diesem Fall regelmäßig an sämtliche Mitmieter.

Dass einer der Mitmieter Beklagte die ihm mietvertraglich eingeräumte Verfügungsgewalt über die (auch) ihm überlassenen Mieträume in der Folgezeit nur eingeschränkt ausübte und – wie im hier entschiedenen Fall – die Hausschlüssel bei der Übergabe des Hauses einvernehmlich allein dem anderen Mitmieter ausgehändigt wurden, ändert daran nichts. Solange keine sonstigen auf einen – oben beschriebenen – Ausnahmetatbestand hindeutenden Umstände vorliegen, richtete sich die Realofferte des Energieversrogungsunternehmens an alle Mieter.

Hiergegen kann ein Mitmieter auch nicht mit Erfolg einwenden, dass durch die Entnahme von Gas in der Zeit seit dem Auszug der Vormieter ein Energieversorgungsvertrag mit dem Eigentümer zustande gekommen sei, der der Annahme einer an die späteren Mieter gerichteten Realofferte der Klägerin entgegenstehe.

Das an beide Mieter gerichtete Vertragsangebot der Energieversorgerin wurde nach dem objektiven Empfängerhorizont von beiden Mietern konkludent angenommen, indem einer der beiden Mieter in dem gemieteten Einfamilienhaus Gas verbrauchte. Dabei handelte er sowohl im eigenen Namen als auch als Stellvertreter für die Mitmieterin.

Die erforderliche Vertretungsmacht ergibt sich hier jedenfalls nach den Grundsätzen der Duldungsvollmacht.

Eine Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene es willentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, und der Geschäftspartner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde zu den vorgenommenen Erklärungen bevollmächtigt ist16.

Das ist hier der Fall. Indem die eine Mitmieterin den Mietvertrag unterzeichnete und den Mitmieter im Anschluss daran ohne weitere Vereinbarungen in das Haus einziehen ließ, duldete sie es willentlich, dass er die – zur Nutzung zwingend erforderliche – Heizung in Betrieb nahm, hierdurch Gas verbrauchte und damit die Realofferte annahm.

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Den Einwand, der Annahme des Abschlusses eines Gaslieferungsvertrags durch konkludente Annahme der Realofferte der Mitmieterin durch Entnahme von Gas stehe hier der Inhalt der Richtlinie 2009/73/EG17 entgegen, da die sich aus Erwägungsgrund 48 und Art. 3 Abs. 3 sowie Anhang 1 der Richtlinie Transparenzanforderungen ergäben, wonach der Kunde vor dem Abschluss des Energielieferungsvertrags in jedem Fall über die Vertragsbedingungen informiert werden müsse, verwirft der Bundesgerichtshof ebenfalls.

Vorliegend hatte keiner der Mitmieter der Grundversorgerin die Entnahme von Gas mitgeteilt. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der auf den hier vorliegenden Gasversorgungsvertrag anzuwenden GasGVV (§ 1 Abs. 1 Satz 4 GasGVV) ist der Kunde, wenn der Grundversorgungsvertrag dadurch zustande kommt, dass Gas aus dem Versorgungsnetz der allgemeinen Versorgung entnommen wird, über das der Grundversorger die Grundversorgung durchführt, verpflichtet, dem Grundversorger die Entnahme von Gas unverzüglich in Textform mitzuteilen. Da die Mieter dieser Verpflichtung nicht nachgekommen sind, bestand für den Energieversorger keine Möglichkeit, sie bereits im Zusammenhang mit dem konkludenten Abschluss des Gaslieferungsvertrags über die Vertragsbedingungen zu informieren. Den (Mit)Mietern ist es deshalb jedenfalls gemäß § 242 BGB versagt, ihre Zahlungspflicht aus diesem Grund in Abrede zu stellen.

Im Übrigen steht auch der Gesichtspunkt einer richtlinienkonformen Auslegung der vorgenannten Bestimmungen schon deshalb der Annahme eines konkludenten Abschlusses eines Gaslieferungsvertrags zwischen dem Energieversorger und den beiden Mietern nicht entgegen, weil die Richtlinie zwar die oben dargestellten Informationspflichten vorsieht, nicht jedoch das Zustandekommen eines Vertrags als solchen regelt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. Juli 2014 – VIII ZR 313/13

  1. Fortführung von BGH, Urteil vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13[]
  2. BGH, Urteile vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, unter – II 1, zur Veröffentlichung bestimmt; vom 22.01.2014 – VIII ZR 391/12, CuR 2014, 27 Rn. 13; vom 06.07.2011 – VIII ZR 217/10, NJW 2011, 3509 Rn. 16; vom 25.11.2009 – VIII ZR 235/08, WuM 2010, 89 Rn. 13; vom 10.12 2008 – VIII ZR 293/07, NJW 2009, 913 Rn. 6; vom 15.02.2006 – VIII ZR 138/05, NJW 2006, 1667 Rn. 15; vom 26.01.2005 – VIII ZR 66/04, WM 2005, 1089 unter – II 1 b aa, und – VIII ZR 1/04, ZNER 2005, 63 unter – II 1 a; jeweils mwN[]
  3. BGH, Urteile vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, aaO; vom 26.01.2005 – VIII ZR 66/04, aaO, und – VIII ZR 1/04, aaO; jeweils mwN[]
  4. BGH, Urteile vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, aaO unter – II 1 a; vom 27.04.2005 – VIII ZR 140/04, WM 2005, 1717 unter – II 1 a; vom 26.01.2005 – VIII ZR 66/04, aaO unter – II 1 b bb (1), und – VIII ZR 1/04, aaO unter – II 1 b aa; jeweils mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 28.07.2005 – III ZR 3/05, NJW 2005, 3636 unter – II 1 b; Staudinger/Singer, BGB, Neubearb.2012, § 133 Rn. 6, 11, 18, 26[]
  5. vgl. BGH, Urteile vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, aaO unter – II 1 a aa; vom 22.01.2014 – VIII ZR 391/12, aaO; vom 10.12 2008 – VIII ZR 293/07, aaO; vom 15.02.2006 – VIII ZR 138/05, aaO Rn.20; vom 16.07.2003 – VIII ZR 30/03, NJW 2003, 2902 unter [II] 1; BGH, Beschluss vom 20.12 2005 – VIII ZR 7/04, WuM 2006, 207 Rn. 2[]
  6. KG, Urteil vom 10.10.2013 – 22 U 233/12[]
  7. BGH, Urteil vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, aaO unter – II 1 a bb; BGH, Beschluss vom 20.12 2005 – VIII ZR 7/04, aaO mwN[]
  8. BGH, Beschluss vom 20.12 2005 – VIII ZR 7/04, aaO[]
  9. vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 31.07.2012 – X ZR 154/11, NJW 2012, 3368 Rn. 10 mwN; MünchKomm-BGB/Schramm, 6. Aufl., § 164 Rn. 23; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 164 Rn. 2; BeckOK-BGB/Valenthin, Stand: November 2013, § 164 Rn. 25; jeweils mwN[]
  10. BGH, Urteil vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, aaO[]
  11. so wohl BGH, Urteil vom 30.04.2003 – VIII ZR 278/02, WuM 2003, 458 unter – II 1 b[]
  12. vgl. hierzu bereits BGH, Beschluss vom 20.12 2005 – VIII ZR 7/04, aaO; BGH, Urteil vom 02.07.2014 – VIII ZR 316/13, aaO[]
  13. vgl. BGH, Urteile vom 10.12 2008 – VIII ZR 293/07, aaO Rn. 11; vom 25.11.2009 – VIII ZR 235/08, aaO Rn. 12 f.[]
  14. BGH, Urteile vom 22.01.2014 – VIII ZR 391/12, aaO Rn. 14; vom 10.12 2008 – VIII ZR 293/07, aaO Rn. 8 f.; vom 27.04.2005 – VIII ZR 140/04, aaO; vom 26.01.2005 – VIII ZR 66/04, aaO unter – II 1 b bb und – VIII ZR 1/04, aaO unter – II 1 b; vom 17.03.2004, – VIII ZR 95/03, WM 2004, 2450 unter – II 2[]
  15. KG, a.a.O.[]
  16. st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 14.05.2002 – XI ZR 155/01, NJW 2002, 2325 unter – II 3 a bb (1); vom 10.03.2004 – IV ZR 143/03, NJW-RR 2004, 1275 unter – II 3 c bb (1); vom 10.01.2007 – VIII ZR 380/04, NJW 2007, 987 Rn.19; vom 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, BGHZ 189, 346 Rn. 14; jeweils mwN[]
  17. Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.07.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. Nr. L 211, S. 94[]
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