Miesmuschelkulturflächen in der Nordsee

Die Muschelfischerei in den Küstengewässern ist gemäß § 17 Abs. 1 Niedersächsisches Fischereigesetz nur mit einem Erlaubnisschein des Fischereiamts für die Küstengewässer zulässig. Und auch die Anlage von Muschelkulturen in den Küstengewässern bedarf gemäß § 17 Abs. 2 Nds. FischG der Genehmigung des Fischereiamts für die Küstengewässer, wobei die Genehmigung gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 Nds. FischG zu versagen ist, wenn durch die Anlage die Erfüllung der Verwaltungsaufgaben des Bundes an den Seewasserstraßen oder der Insel- und Küstenschutz beeinträchtigt oder der Gemeingebrauch an den Küstengewässern unangemessen behindert würde. Diese Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. FischG hat nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Oldenburg hinsichtlich der durch die Genehmigung einer Muschelkulturfläche betroffenen Küstenfischer drittschützende Wirkung.

Miesmuschelkulturflächen in der Nordsee

§ 17 Abs. 2 Niedersächsisches Fischereigesetz – Nds. FischG – hat drittschützenden Charakter, wenngleich sich dies aus dem reinen Wortlaut der Norm nicht zwingend ergibt. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nds. FischG ist die Genehmigung zur Anlage von Muschelkulturen in den Küstengewässern u. a. zu versagen, wenn durch die Anlage der Gemeingebrauch an den Küstengewässern unangemessen behindert würde. Der Gemeingebrauch berechtigt seiner Natur nach die Allgemeinheit zur Nutzung der jeweils in Rede stehenden öffentlichen Sache, begünstigt also gerade keinen zu Anderen abgrenzbaren Personenkreis. Gleichwohl misst die Kammer der Norm drittschützenden Charakter jedenfalls in Bezug auf die in den Küstengewässern tätigen Fischer bei. Denn der Fischfang im Sinne des § 16 Abs. 1 Nds. FischG ist nur ein Unterfall des Gemeingebrauchs an den Küstengewässern und die Genehmigung zur Anlage einer Muschelkultur beeinträchtigt den Fischfang in einer zum sonstigen Gemeingebrauch abgrenzbaren Weise. Sobald nämlich eine Genehmigung zur Anlage einer Muschelkultur erteilt worden ist, ist der Bereich der Muschelkultur nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nds. FischG durch Allgemeinverfügung zu einem Muschelkulturbezirk zu erklären, mit der Folge, dass es nach § 17 Abs. 4 Nds. FischG Dritten verboten ist, innerhalb des Muschelkulturbezirks den Fischfang auszuüben. Der Begriff „unangemessen“ lässt dementsprechend erkennen, dass die Genehmigungsbehörde eine Abwägung zwischen den jeweils berechtigten Interessen der Küstenfischer und der Muschelfischer treffen soll. Auch der Beklagte misst § 17 Abs. 2 Satz 2 letzte Alt. Nds. FischG drittschützenden Charakter zu Gunsten von Fischern bei. Sie gibt nämlich die Neubeantragungen von Miesmuschelkulturflächen den Fischern durch Aushang in den Häfen (Bekanntmachungen für Seefahrer) bekannt, um diesen die Möglichkeit einzuräumen, Bedenken geltend zu machen. Schließlich ist auch in der Rechtsprechung die Klagebefugnis von Fischern gegen die Genehmigung einer Miesmuschelkulturfläche nicht verneint worden1. Sie ist im hier interessierenden Zusammenhang deshalb auch nicht auf die Geltendmachung eines existenzgefährdenden Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) beschränkt2.

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Trotz dieser drittschützenden Wirkung bleibt es für Küstenfischer (Krabbenfischer) jedoch schwierig, eine Genehmigung für eine Miesmuschelkulturfläche anzugreifen:

Rechtsgrundlage für die erteilte Genehmigung ist § 17 Nds. FischG. Nach Abs. 1 der Norm ist die Muschelfischerei in den Küstengewässern nur mit einem Erlaubnisschein des Fischereiamtes für die Küstengewässer zulässig. Abs. 2 der Norm bestimmt, dass die Anlage von Muschelkulturen in den Küstengewässern der Genehmigung des Fischereiamtes für die Küstengewässer bedarf. Die Genehmigung ist u. a. dann zu versagen, wenn durch die Anlage der Gemeingebrauch an den Küstengewässern unangemessen behindert würde. Der Landesgesetzgeber hat mit dieser Regelung deutlich gemacht, dass er die unterschiedlichen Nutzungsformen des Küstenmeeres im Blick hatte und grundsätzlich keiner der aus dem Gemeingebrauch hergeleiteten konkurrierenden Nutzungsformen gegenüber der Muschelfischerei eine Vorrangstellung einräumt. Nur im Einzelfall kann sich eine solche Vorrangstellung ergeben. Erforderlich ist dabei eine bewertende Abwägung der aus den einander gegenüberstehenden Nutzungsformen entstehenden Interessen, wobei die jeweils Betroffenen nur die Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen verlangen können. Eine unangemessene Beeinträchtigung des vom Kläger bislang ausgeübten Gemeingebrauchs, nämlich der berufsmäßigen Krabbenfischerei, ist für die Oldenburger Verwaltungsrichter hier nicht feststellbar.

Abgesehen davon, dass die beruflichen und wirtschaftlichen Interessen der Krabbenfischer gegenüber denen der Muschelfischer nicht deshalb grundsätzlich höher zu bewerten sind, weil es wesentlich mehr Krabbenfischer gibt als Muschelfischer3, spricht gegen eine unangemessene Behinderung der Krabbenfischer durch die Muschelfischer ganz allgemein die Tatsache, dass die Muschelfischer nur einen geringfügigen Anteil des Niedersächsischen Küstenmeeres für ihre Zwecke nutzen und sich dieser Anteil seit Jahren nicht verändert hat. Ausweislich der Angaben aus dem Raumordnungskonzept für das Niedersächsische Küstenmeer4 und der von dem Beklagten vorgelegten Studie weist das Niedersächsische Küstenmeer eine Gesamtfläche von rund 588.000 ha auf. Die in der Muschelfischerei tätigen Betriebe bewirtschaften ca. 1.300 ha5. Selbst wenn die Muschelfischerei ausschließlich in dem Bereich des Niedersächsischen Küstenmeeres betrieben würde, in dem Krabben gefangen werden können und die den Krabbenfischern durch die Muschelkulturen verloren gegangenen Fanggründe aus den vom Kläger genannten Gründen größer wären als die von den Muschelfischern bewirtschafteten 1.300 ha, so betrüge der von den Muschelfischern genutzte Anteil nur rund 1 % der für den Krabbenfang zur Verfügung stehenden Fläche des Niedersächsischen Küstenmeeres. Denn der Krabbenfang kann auf einer Fläche von ca. 184.000 ha betrieben werden. Das vorgenannte prozentuale Verhältnis besteht seit Jahren, wobei die Beschränkung für die Anlage von Muschelkulturflächen nicht den Interessen der Krabbenfischer, sondern der gewünschten „unbeeinflussten Entwicklung des Lebensraumes Miesmuschelbank“ geschuldet ist6. Aus diesem Grunde wurde dem Beigeladenen die Anlage der hier streitigen Miesmuschelkulturfläche auch erst dann genehmigt, als er andere Miesmuschelkulturflächen in nahezu gleichem Umfang verkleinerte bzw. aufgab.

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Es ist auch nicht erkennbar, dass die in Rede stehende Muschelkulturfläche wegen ihrer konkreten Positionierung die rechtlich geschützten Interessen des Klägers unangemessen beeinträchtigen würde. Zum einen ist der vom Beklagten vorgelegten Seekarte „Miesmuschelkulturflächen“ zu entnehmen, dass die in Rede stehende Muschelkulturfläche vereinzelt südlich der Insel Langeoog gelegen ist, während sich der weitaus überwiegende Anteil der vorhandenen Muschelkulturflächen in der Emsmündung südlich der Inseln Borkum und Juist oder im Jadebusen befindet. In gehäufter Anzahl sind also keine Muschelkulturflächen nahe des Heimathafens des Klägers zu finden. Zum anderen ist dem Kläger der Krabbenfang im für ihn glaubhaft als äußerst ertragreich bezeichneten Fanggebiet „Langeooger Wattfahrwasser“ nach wie vor eingeschränkt möglich, weil die Muschelkulturfläche das Fanggebiet nicht nahezu komplett abriegelt. Dies hat er unter Vorlage einer Seekarte in der mündlichen Verhandlung dargelegt. So kann er etwa bei Flut ununterbrochene „Hols“ durchführen, indem er die Muschelkulturfläche nördlich passiert. Auch sind nach seiner Darstellung beschränkte „Hols“ möglich, wenn er im Gebiet der Muschelkultur des Beigeladenen das Fanggerät einzieht.

Von Bedeutung bei der Bewertung der einander gegenüberstehenden Interessen ist ebenfalls der Umstand, dass der Kläger als Krabbenfischer nicht in gleicher Weise ortsgebunden seiner beruflichen Tätigkeit nachgehen muss wie der Beigeladene als Muschelfischer, sondern täglich flexibel auch auf andere – wenngleich möglicherweise nicht so ergiebige – Fangebiete ausweichen kann. Dazu trägt auch bei, dass – wie der Beklagte überzeugend ausgeführt hat – die heutigen Krabbenfischer über größere und seetauglichere Schiffe verfügen, die es ihnen ermöglichen, weiter entfernt liegende Fanggründe zu erreichen. Der Kläger verfährt auch auf diese Weise. Für das Jahr 2006 belegen die vom Beklagten vorgelegten Satellitenortungsauswertungen, dass der Kläger mit seinem Kutter ACC 1 „Gerda-Bianca“ den ganz überwiegenden Teil seines Krabbenfangs nördlich der Nordseeinseln Norderney, Baltrum und Langeoog sowie nordwestlich des Vogelschutzgebietes Trischen getätigt hat. Selbst wenn diese Vorgehensweise im Jahr 2006 dem Umstand geschuldet war, dass das „Langeooger Wattfahrwasser“ stark veralgt gewesen ist, belegen die Satellitenortungsauswertungen zumindest, dass dem Kläger auch andere Fanggebiete zur Verfügung stehen, auf die er ausweichen kann und die für ihn in zumutbarer Zeit auch zu erreichen sind. Längere Anfahrtswege sind im Übrigen nicht generell unzumutbar7. Ein vergleichbares Bild ergab im Übrigen die Auswertung der Satellitenortung der Jahre 2005 bis 2007 für den vom Kläger besonders angeführten Kutter eines Kollegen (ACC 12).

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Schließlich vermögen auch die vom klägerischen Krabbenfischer vorgetragenen (nicht belegten) jährlichen Umsatzeinbußen in Höhe von 15.000,- – 20.000,- € (bei einem Gesamtumsatz von 195.000,- – 240.000,- €) nach Ansicht des VG Oldenburg die Bewertung, der Gemeingebrauch sei unangemessen beeinträchtigt, gerade nicht zu rechtfertigen. Erst recht belegen diese Angaben nicht, dass der Betrieb des Klägers existentielle wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen hätte.

Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom 27. Mai 2009

  1. s. OVG Lüneburg, Urteil vom 2. März 1989 – 3 L 10/89 -; VG Oldenburg, Urteil vom 26. November 1986 – 2 VG A 37/86 -[]
  2. zum Planfeststellungsrecht vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Februar 2005 – 7 ME 289/04 – juris[]
  3. OVG Lüneburg, Urteil vom 2. März 1989, 1 L 10/89 – V.n.b.[]
  4. www.mi.niedersachsen.de/master/C15078500_N15074562_L20_D0_I522.html[]
  5. s. Umweltbericht des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt und Klimaschutz „Fischerei“ unter www.umwelt.niedersachsen.de[]
  6. siehe dazu u. a. Bewirtschaftungsplan Miesmuschelfischerei im Nationalpark „Niedersächsisches Wattenmeer“ vom 27. Juni 2004[]
  7. OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Februar 2005 – 7 ME 289/04 – zit.n.juris[]