Hat eine Handwerkskammer, die ihre Mitgliedsbeiträge nach den vom Finanzamt festgesetzten Gewerbeerträgen bemisst, ihrer Beitragsfestsetzung erkennbar einen falschen, nämlich zu geringen Gewerbeertrag zu Grunde gelegt, so ist sie, wie jetzt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden hat, grundsätzlich berechtigt, die fehlenden Beiträge nachzuerheben.

Zunächst ist dabei von dem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts1 und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts2 anerkannten Grundsatz auszugehen, dass ein Beitragsbescheid3 regelmäßig nur einen ausschließlich belastenden Verwaltungsakt darstellt, nicht aber zugleich auch einen begünstigenden Verwaltungsakt mit dem Inhalt, eine weitergehende als die festgesetzte Forderung sei ausgeschlossen. Dementsprechend ist eine Nacherhebung nicht durch die Bestandskraft des Ausgangsbescheides oder die Bestimmungen über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte (§ 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG) ausgeschlossen oder begrenzt, wenn sich etwa nachträglich herausstellt, dass im Ausgangsbescheid zu Unrecht nur eine Teilforderung geltend gemacht worden ist. Etwas anderes gilt nur dann4, wenn die Nacherhebung nach dem maßgeblichen materiellen Recht generell ausgeschlossen oder zumindest eingeschränkt ist, der Nacherhebung im Einzelfall ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen des Abgabenschuldners entgegensteht oder dem Ausgangsbescheid ausnahmsweise ausdrücklich oder sinngemäß eine solche Einschränkung des Nacherhebungsrechts zu entnehmen ist. Keiner dieser Sonderfälle ist bei den Mitgliedsbeiträgen der Handwerkskammern gegeben.
Zunächst enthalten die Ausgangsbescheide weder eine ausdrückliche noch eine sinngemäße Regelung mit dem Inhalt, dass damit für das jeweilige Beitragsjahr eine Nacherhebung ausgeschlossen oder eingeschränkt sei. Eine solche Regelung kann insbesondere nicht aus dem Hinweis entnommen werden „Liegt der für die Berechnung maßgebende Gewerbeertrag … noch nicht vor oder wird dieser berichtigt bzw. neu festgesetzt, erfolgt eine Nachberechnung bzw. Berichtigung des Beitrages“. Damit wird lediglich auf die sich aus § 113 Abs. 2 HwO i. V. m. §§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 171 Abs. 10 AO ergebende Folge der Anknüpfung des Kammerbeitrages an die Festsetzung des Gewerbeertrages durch einen sog. Grundlagenbescheid des Finanzamtes hingewiesen, dass eben jede Änderung des Gewerbeertrages automatisch auch eine Änderung des rechtmäßig festgesetzten Mitgliedsbeitrags bewirkt. Mit diesem Hinweis auf die Rechtslage ist hingegen keine Aussage zu der Unzulässigkeit der Nacherhebung von Beiträgen in den Fällen der anfänglichen Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheides verbunden, etwa wenn sich die zu Grunde liegende Satzung als unwirksam herausstellt oder die zu niedrige Festsetzung auf einem für den Beitragsschuldner erkennbaren Fehler oder auf einem sonstigen Irrtum der Beklagten beruht. Vielmehr muss auch dem mit den Einzelheiten der Abgabenerhebung nicht vertrauten, durchschnittlichen Beitragsschuldner nach Auffassung des Gerichts klar sein, dass die Handwerkskammer weder einen Anlass hat, über die Folgen eines der oben genannten Fehler beim Erlass des Bescheides schon vorab zu belehren, noch gar im voraus auf eine etwaige Beitragsnacherhebung zu verzichten, und dies vorliegend auch nicht getan hat.
Die demnach nicht schon einzelfallbezogen durch den Inhalt der Ausgangsbescheide ausgeschlossene oder eingeschränkte Nacherhebung ist auch generell mit dem Satzungsrecht der Beklagten und den Regelungen der Handwerksordnung über das Beitragsverfahren (§ 113 HwO) zu vereinbaren. Denn weder das Satzungsrecht der Beklagten noch § 113 HwO enthalten insoweit Regelungen, die von dem dargelegten Grundsatz abweichen, dass eine Nacherhebung regelmäßig zulässig ist. Dementsprechend wird auch in der Literatur davon ausgegangen, dass Handwerkskammern Beiträge nacherheben dürfen5.
Schließlich steht der Nacherhebung auch kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen6 des Klägers entgegen. Dazu müsste das zu dem Beitrag veranlagte Kammermitglied überhaupt schutzwürdig angenommen haben, die erfolgte Beitragsfestsetzung sei rechtmäßig und abschließend, er müsste dieses Vertrauen betätigt haben und dieses Vertrauen müsste schließlich gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer gleichmäßigen und vollständigen Beitragserhebung vorrangig sein. Hier mangelt es schon an den beiden ersten Voraussetzungen.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 04. Mai 2009 – 8 LC 106/08
- vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.10.2003 – 9 B 95/03 -, m. w. N.[↩]
- vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.12.2006 – 9 LA 32/05 -, NVwZ-RR 2007, 275 f.[↩]
- ebenso für andere Abgaben OVG Münster, Beschluss vom 03.06.2008 – 9 A 2762/06 -, KStZ 2008, 177 ff.[↩]
- vgl. OVG Weimar, Beschluss vom 29.04.2008 – 4 ZKO 610/07 -, LKV 2009, 35 ff., m. w. N.[↩]
- vgl. Honig/Knörr, HwO, 4. Aufl., § 113, Rn. 20, und Karsten, in: Schwannecke (Hrsg.), HwO, § 113, Rn. 47, m. w. N.[↩]
- vgl. zu den insoweit erforderlichen, nachfolgend genannten Voraussetzungen: BVerwG, Urteil vom 18.03.1988 – 8 C 92/87 -, BVerwGE 79, 163 ff.[↩]