Schließt ein öffentlicher Auftraggeber ein Unternehmen ohne hinreichenden sachlichen Grund generell von der Vergabe von Aufträgen oder der Teilnahme an Vergabeverfahren aus, steht dem ausgeschlossenen Unternehmen gegen die Umsetzung einer solchen rechtswidrigen Vergabesperre ein Unterlassungsanspruch zu.

Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich nicht im bloßen Nichtstun, sondern umfasst auch die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn allein dadurch dem Unterlassungs- gebot Folge geleistet werden kann1.
Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der den gesetzlichen Schutz lediglich ergänzt und eine ansonsten bestehende Schutzlücke schließt. Er bietet keine Handhabe, den Schutz dort auszudehnen, wo ihn das Gesetz gerade verwehrt2. Für seine Anwendung ist auch kein Raum, wenn der Sachverhalt bereits durch spezielle Normen geregelt ist3. Das hier insbesondere in Betracht kommende Kartell- und Vergaberecht gewährt gegenüber einer Vergabesperre keinen abschließenden Schutz, weshalb entgegen der Ansicht des Kammergerichts4 eine Schutzlücke besteht.
Ein Unterlassungsanspruch nach § 33, § 20 Abs. 1, § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB kommt hier bereits deshalb nicht in Betracht, weil das Kammergericht die Normadressateneigenschaft des Beklagten nicht festgestellt hat und hierfür auch nichts ersichtlich ist.
Ein Vorgehen gegen einen generellen Ausschluss von Vergabeverfahren außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens ist weder für Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB, also ab Erreichen oder Überschreiten der Schwellenwerte des § 106 GWB, noch unterhalb dieser Schwellenwerte spezialgesetzlich normiert. Der Gesetzgeber hat weder allgemein geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine Vergabesperre verhängt werden kann5, noch, unter welchen Voraussetzungen gegen eine solche Vergabesperre vorgegangen werden kann. Aus dem Fehlen solcher Regelungen kann aber nicht geschlossen werden, dass das Vergaberecht Rechtsschutz gegen eine Vergabesperre außerhalb eines Vergabeverfahrens ausschließen will.
Wird ein Unternehmen aufgrund einer Vergabesperre von einem konkreten Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. GWB ausgeschlossen, hat es die Möglichkeit, den Ausschluss in einem Nachprüfungsverfahren nach §§ 155 ff. GWB überprüfen zu lassen. Die im Nachprüfungsverfahren getroffene Entscheidung wirkt aber nur für das der Nachprüfung unterzogene Vergabeverfahren und nicht für alle folgenden Vergabeverfahren, die derselbe öffentliche Auftraggeber führt.
Da die Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag mit erheblichen Kosten verbunden sein kann und die generelle Nichtberücksichtigung in Vergabeverfahren nicht nur wirtschaftlich nachteilig, sondern auch geeignet sein kann, als Makel des Unternehmens im Wettbewerb wahrgenommen zu werden, etwa wenn das betroffene Unternehmen aufgrund seiner Stellung auf dem Markt und seines Angebots in der Vergangenheit in Vergabeverfahren regelmäßig zum Zuge kam, erfordert es der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, dass das Unternehmen auch außerhalb eines Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff. GWB gegen eine Vergabesperre vorgehen kann.
In Fällen, in denen ein Vergabeverfahren ohne öffentliche Ausschreibung oder Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird, wird das von einer Vergabesperre betroffene Unternehmen von der beabsichtigten Auftragsvergabe in der Regel nichts erfahren. In diesen Fällen hat es tatsächlich keine Möglichkeit, gegen seine Nichtberücksichtigung im konkreten Vergabeverfahren aufgrund der Vergabesperre vorzugehen. Selbst wenn es – wie im Streitfall – von seinem Ausschluss ausnahmsweise erfährt, hat es nicht notwendigerweise einen Anspruch darauf, zur Abgabe eines Angebots aufgefordert zu werden. Würde in einem solchen Fall die Möglichkeit verneint, die Rechtmäßigkeit einer Vergabesperre unabhängig von einem konkreten Vergabeverfahren gerichtlich klären zu lassen, bliebe dem Unternehmen gegen eine rechtswidrige Vergabesperre jeglicher Rechtsschutz versagt.
Der Ausschluss von Vergabeverfahren eines öffentlichen Auftraggebers greift unmittelbar in das Recht des Bieters am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein.
Ein unmittelbarer Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt nur vor, wenn der Eingriff gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen ist und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft6. Unter dem Begriff des Gewerbebetriebs im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB ist all das zu verstehen, was den Betrieb in seiner Gesamtheit zur wirtschaftlichen Betätigung befähigt, also nicht nur Betriebsräume und Betriebsgrundstücke, Maschinen und Gerätschaften, Einrichtungsgegenstände und Warenvorräte, sondern auch Geschäftsverbindungen, der Kundenkreis und Außenstände7. Die Verletzungshandlung muss sich gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richten8. Diese Voraussetzungen können auch dann erfüllt sein, wenn nur einzelne Geschäftsaktivitäten des Unternehmens beeinträchtigt werden6.
Die Weisung (hier: des zuständigen Berliner Staatssekretärs), das Unternehmen von Auftragsvergaben als ungeeignet ausschließen, stellt zwar nur einen innerbehördlichen Vorgang dar, ihre Umsetzung verhindert aber jede Geschäftstätigkeit des Bieters mit der Senatsverwaltung und greift dadurch in die Geschäftstätigkeit des Bieters unmittelbar ein9. Da die Anwendung der Vergabesperre im hier entschiedenen Fall bereits zum Ausschluss des Bieters von Vergabeverfahren der Senatsverwaltung geführt hat, droht nicht nur ein erstmaliger Eingriff10 in sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern es besteht Wiederholungsgefahr.
Der Eingriff des öffentlichen Auftraggebers in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des von der Vergabesperre betroffenen Unternehmens rechtswidrig, wenn die vom öffentlichen Auftraggeber angeführten Gründe einen generellen Ausschluss des Unternehmers von der Vergabe öffentlicher Aufträge weder im Bereich der Vergabe nach §§ 97 ff. GWB noch im Unterschwellenbereich rechtfertigen.
Beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb handelt es sich um einen offenen Tatbestand, dessen Inhalt und Grenzen sich aus einer Interessen- und Güterabwägung ergeben. Die Behinderung der Erwerbstätigkeit ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt11.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. Juni 2020 – XIII ZR 22/19
- BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73, 76 – Straßenverengung[↩]
- BGH, Beschluss vom 10.12.2002 – VI ZR 171/02, Rn. 10; BGH, Urteil vom 24.01.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 Rn. 93[↩]
- BGH, Urteil vom 16.06.1977 – III ZR 179/75, BGHZ 69, 128, 138 f. mwN[↩]
- KG, Urteil vom 28.06.2019 – 9 U 55/18[↩]
- vgl. die Begründung zu § 126 GWB-E im Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drs. 18/6281, S. 111; siehe aber die speziellen Regelungen z.B. in § 21 SchwArbG, § 19 MiLoG und § 21 AEntG[↩]
- BGHZ 193, 227 Rn. 21[↩][↩]
- BGHZ 193, 227 Rn.19[↩]
- BGH, Urteil vom 06.02.2014 – I ZR 75/13 12 – Aufruf zur Kontokündigung[↩]
- vgl. zur Umsetzung einer innerbehördlichen Maßnahme BGH, Urteil vom 26.05.1987 – KZR 13/85, BGHZ 101, 72, 78 27] – Krankentransporte[↩]
- vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.09.2004 – V ZR 230/03 11 mwN[↩]
- vgl. BGHZ 193, 227 Rn. 27 mwN[↩]