Prüfungsumfang bei der gegenseitigen Anerkennung einer Tierarzneimittelzulassung

Im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung einer Tierarzneimittelzulassung hat die nationale Behörde nur zu prüfen, ob Anlass zu der Annahme besteht, dass die Zulassung eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit oder die Umwelt darstellt. Eine (weitergehende) Rechtmäßigkeitskontrolle der von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Referenzzulassung erfolgt nicht.

Prüfungsumfang bei der gegenseitigen Anerkennung einer Tierarzneimittelzulassung

Nach § 25b Abs. 2 AMG ist, wenn das Tierarzneimittel bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen worden ist, die Zulassung auf der Grundlage des von diesem Staat übermittelten Beurteilungsberichts anzuerkennen, es sei denn, dass Anlass zu der Annahme besteht, dass die Zulassung des Arzneimittels eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt darstellt. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die deutsche Zulassungsbehörde aufgrund dieser Bestimmung weder verpflichtet noch befugt ist, die Referenzzulassung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung soll gerade dazu dienen, keine eigene Prüfung aller Zulassungsvoraussetzungen vorzunehmen, sondern die von dem anderen Mitgliedstaat bereits erfolgte Prüfung der eigenen Entscheidung zugrunde zu legen. Das dient dem Abbau von Handelshemmnissen und der Harmonisierung der Zulassungspraxis innerhalb der Gemeinschaft; zudem vermeidet es Doppelarbeit. Der Europäische Gerichtshof hat deshalb festgestellt, dass die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung in strikter Weise geregelt sei; das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit bilde den einzigen Grund, auf den sich ein Mitgliedstaat berufen dürfe, um einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Humanarzneimittels die Anerkennung zu versagen1. Nur für diesen Fall sieht das Unionsrecht deshalb auch ein Schiedsverfahren vor, an dessen Ende eine verbindliche Entscheidung der Kommission steht (vgl. Art. 36 ff. Richtlinie 2001/82/EG). Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung lässt somit keinen Raum für eine Versagung der Anerkennung eines Tierarzneimittels durch eine nationale Zulassungsbehörde aus anderen als den in Art. 33 Abs. 1 RL 2001/82/EG, § 25b Abs. 2 AMG benannten Gründen.

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Die Zulassungsbehörde hatte folglich nicht zu prüfen, ob die britische Zulassung von Enroxil als generische nationale Zulassung oder richtigerweise nur im Wege der gegenseitigen Anerkennung hätte erteilt werden dürfen, weil sich daraus unter keinem Gesichtspunkt materielle Gefahren für die öffentliche Gesundheit oder für die Umwelt ergeben können. Ebenso musste sie nicht prüfen, ob die Referenzzulassung deshalb rechtswidrig war, weil die Beigeladene keine eigenen Ökotox-Daten vorgelegt hatte. Der deutschen Behörde durfte und musste genügen, dass die Referenzzulassung wirksam erteilt und nicht angefochten worden ist. Rechtmäßigkeitsmängel, namentlich der behauptete Verstoß gegen die drittschützende Regelung über die Einhaltung von Schutzfristen bei der generischen Zulassung und eine eventuell nach britischem Recht schon seinerzeit bestehende Pflicht des Zweitantragstellers zur Vorlage eigener Ökotox-Daten hätten die Klägerinnen oder die britische Tochtergesellschaft als Inhaberin der britischen Erstzulassung mit einer Anfechtung der Referenzzulassung geltend machen müssen; dies ist jedoch nicht geschehen.

Für die Anerkennung der Zulassung eines anderen Mitgliedstaates findet gemäß § 25b Abs. 4 AMG Kapitel 4 der Richtlinie 2001/82/EG Anwendung. Liegt für das Tierarzneimittel zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen vor, so erkennen die betroffenen Mitgliedstaaten gemäß Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2001/82/EG die von dem Referenzmitgliedstaat erteilte Genehmigung an. Zu diesem Zweck ersucht der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen den Referenzmitgliedstaat, entweder einen Beurteilungsbericht über das Tierarzneimittel zu erstellen oder, falls erforderlich, einen bereits bestehenden Beurteilungsbericht zu aktualisieren. Der Referenzmitgliedstaat erstellt oder aktualisiert den Beurteilungsbericht innerhalb von 90 Tagen nach Erhalt eines gültigen Antrags. Der Beurteilungsbericht sowie die genehmigte Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels, die Etikettierung und die Packungsbeilage, die genehmigt wurden, werden den betroffenen Mitgliedstaaten und dem Antragsteller übermittelt. Eine Übermittlung der Antragsunterlagen selbst, die zur Zulassung des Referenzarzneimittels geführt haben, ist danach nicht vorgesehen. Insbesondere ist im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung insoweit kein Raum für eine „Bezugnahme“ auf Unterlagen im Sinne des § 24b AMG. Dass in dem britischen Beurteilungsbericht zur Umweltverträglichkeit – notwendigerweise – der britischen Behörde mitgeteilte Daten verwertet und beurteilt werden, liegt in der Natur der Sache.

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Da das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung auf einer Umsetzung von Unionsrecht beruht, ist es nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen, solange die Europäische Union einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Union generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleicht2. Das ist namentlich durch die unionsrechtlichen Grundfreiheiten und die durch Art. 6 EUV in der bis zur Änderung durch den Lissabon-Vertrag geltenden – hier maßgeblichen – Fassung in Bezug genommenen Grund- und Menschenrechte gewährleistet. Der von den Klägerinnen insoweit angeführte Schutz der unternehmerischen Freiheit sowie das Eigentumsrecht und der Schutz des geistigen Eigentums werden indes durch die Regelungen über die gegenseitige Anerkennung von Arzneimittelzulassungen nicht verletzt. Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung, namentlich die beschränkte Prüfungspflicht des anerkennenden Mitgliedstaates, ist durch vernünftige Gemeinwohlgründe gerechtfertigt; es dient – wie gezeigt – dem Abbau von Handelshemmnissen und der Harmonisierung der Zulassungspraxis innerhalb der Gemeinschaft, zudem vermeidet es Doppelarbeit. Diese Zwecke würden nicht erreicht, wenn der anerkennende Staat eine Rechtmäßigkeitskontrolle der Referenzzulassung vornehmen müsste. Dazu besteht auch unter Rechtsschutzgesichtspunkten kein Anlass. Vielmehr liegt es im Verhältnis von Referenzzulassung und Anerkennung nahe, diejenige Behördenentscheidung anzugreifen, die die behauptete Rechtsverletzung durch eine fehlerhafte Gesetzesanwendung herbeigeführt hat, hier also die britische Referenzzulassung. Dass dies nicht möglich gewesen wäre, ist weder von den Klägerinnen schlüssig dargelegt worden noch sonst ersichtlich. Die mit den Gemeinschaftskodizes für Arzneimittel verbundene Harmonisierung der Zulassung von Arzneimitteln und das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung beruhen auf dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens. Jedenfalls solange sich nicht aufdrängt, dass ein Referenzmitgliedstaat die im jeweiligen Zulassungsverfahren zu beachtenden Rechte Dritter systematisch verletzt und effektiven Rechtschutz nicht gewährleistet, besteht im Anerkennungsverfahren kein Raum für eine Überprüfung, ob bei der Referenzzulassung Rechte Dritter verletzt wurden3

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Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.02.20124 rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs betraf die Frage der unbefugten Weitergabe von Zulassungsunterlagen durch einen ausgeschiedenen Mitarbeiter. Das Gericht hat diese Unterlagen, jedenfalls soweit sie nicht veröffentlicht sind, als Betriebsgeheimnisse eingestuft, deren unbefugte Sicherung und Weitergabe gegen § 17 UWG verstößt. Darum geht es hier jedoch nicht; die Beklagte hat Ökotox-Daten zu Baytril weder „unbefugt“ gesichert noch weitergeleitet, sondern gesetzeskonform den Beurteilungsbericht der britischen Behörde im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung zugrunde gelegt. Eine Offenbarung der Daten gegenüber der Beigeladenen ist nicht erfolgt.

Auch die Entscheidungen des Gerichts der Europäischen Union vom 25.04.20135 sind nicht einschlägig. Es geht nicht darum, dass die Beklagte (oder die britische Behörde) im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung Zulassungsunterlagen ohne Zustimmung ihres Eigentümers publiziert hat; die Behörden haben vielmehr den gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebenen (internen) Informationsaustausch in Form der Übermittlung eines Beurteilungsberichts betrieben.

Für eine Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof besteht kein Anlass. Die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage, ob Art. 13 der Richtlinie 2001/82/EG der Verwendung von Ökotox-Daten eines Erstanmelders im Rahmen der Erteilung einer Zulassung für den Nachantragsteller entgegensteht und ob nationale Vorschriften, die eine solche Bezugnahme ermöglichen, mit den europäischen Grundrechten des Erstantragstellers vereinbar sind, stellt sich in diesem Verfahren nicht. Sie betrifft die generische Zulassung für Enroxil in Großbritannien unter Bezugnahme auf die britische Zulassung für Baytril. Eventuelle Mängel jenes Verfahrens wirken sich, wie dargestellt, nicht auf die Rechtmäßigkeit der hier angefochtenen Zulassung aus.

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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. September 2013 – 3 C 22.12

  1. EuGH, Urteil vom 16.10.2008 – Rs. C-452/06 [Synthon], Slg. I 7681 Rn. 26 und 28[]
  2. BVerfGE 73, 339, 387[]
  3. vgl. EUGH, Urteile vom 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 [N.S. u.a.], EuGRZ 2012, 24 Rn. 75 ff., 79, 94; und vom 29.01.2013 – C-396/11 [Radu], EuGRZ 2013, 152 Rn. 33 ff.[]
  4. BGH, Urteil vom 23.02.2012 – I ZR 136/10[]
  5. EuG, Urteile vom 25.04.2013 – T-73/13 R und T-44/13 R[]