Rechtsbegriffe sind nur eingeschränkt gegendarstellungsfähig.

Für einen Gegendarstellungsanspruch muss der Aussagegehalt der zu beanstandenden Äußerung eindeutig bestimmbar sein. Enthält die zu beanstandende Äußerung einen Rechtsbegriff, darf das Fachgericht nicht das eigene Fachwissen zugrunde legen. Es hat vielmehr auf das Verständnis des durchschnittlichen Zeitungslesers abzustellen. Mit dieser Begründung hat jetzt das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde eines Zeitungsverlags stattgegeben, die sich gegen die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung wendete.
Der Ausgangssachverhalt[↑]
Die beschwerdeführende Zeitungsverlegerin verlegt eine überregionale Boulevardzeitung. Mit der Schlagzeile „B. EXKLUSIV Millionen-Gläubiger packt aus – B. verpfändete auch das Haus seiner Mutter!“ kündigte diese ein Interview mit einem ehemaligen Geschäftspartner des ehemaligen deutschen Tennisprofis B. an. Das Interview war auf Seite 3 der Ausgabe abgedruckt. Aus dem Interview ging zutreffend hervor, dass B. unter anderem ein Hausgrundstück, auf dem seine Mutter wohnte, auf eine Sicherheitenliste hatte eintragen lassen. Diese Sicherheitenliste verschaffte seinem Darlehensgläubiger einen schuldrechtlichen Anspruch auf Eintragung eines Grundpfandrechts an den gelisteten Grundstücken, begründet aber kein Pfandrecht im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Die Entscheidung der Berliner Gerichte[↑]
Auf Antrag von B. erließ das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung. Danach wurde die Zeitungsverlegerin zum Abdruck folgender Gegendarstellung verpflichtet: „[…] Hierzu stelle ich fest: Ich habe das Haus meiner Mutter nicht verpfändet. […]“
Auf den Widerspruch der Zeitungsverlegerin bestätigte das Landgericht die einstweilige Verfügung1. Bei der Titelseitenschlagzeile, das Haus der Mutter sei verpfändet worden, handele es sich um eine selbständig erfassbare und zu würdigende Tatsachenbehauptung und nicht um eine bloße Ankündigung und Gesamtbewertung des auf Seite 3 abgedruckten Interviews. Für die Ermittlung des gegendarstellungserheblichen Tatsachenkerns sei ausschlaggebend, wie das Durchschnittspublikum die Titelschlagzeile als solche auffasse. Hier gewönne das durchschnittliche Publikum aufgrund der Titelschlagzeile den Eindruck, dass der Verfügungskläger das Hausgrundstück zur Sicherung seiner Darlehensschuld eingesetzt und damit dem einseitigen Zugriff seines Gläubigers ausgesetzt habe. Dies sei eine gegendarstellungsfähige Tatsache. Die beantragte Gegendarstellung sei auch weder offensichtlich unwahr noch grob irreführend, zumal der schuldrechtliche Anspruch auf Eintragung eines Grundpfandrechts dem Gläubiger gerade keine einseitige Zugriffsmöglichkeit auf das Grundstück verschaffe.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Zeitungsverlegerin verwarf das Berliner Kammergericht2. Die beanstandete Äußerung enthalte für den unbefangenen Leser die dem Beweis zugängliche Tatsacheninformation, der Kläger habe das Haus seiner Mutter verpfändet. Zwar müsse ein verständiger Leser die Aussage nicht in einem fachlich-technischen Sinne dahin verstehen, dass an dem Grundstück ein Grundpfandrecht bestellt worden sei. Dagegen spreche, dass viele Leser keine Vorstellung davon hätten, wie ein Grundstück „verpfändet“ werde. In der Alltagssprache sei ein Gebrauch des Begriffs „Pfand“ beziehungsweise „verpfänden“ üblich, der darauf abstelle, dass das Eigentum als Sicherheit für ein Darlehen gegeben werde. Danach liege das Charakteristische eines Pfandes darin, dass der Eigentümer die Sache „aus der Hand gegeben habe“ und daher nicht mehr über die unbelastete Sache verfügen könne, während der Gläubiger ein Recht erworben habe, das ihn gegebenenfalls zur Verwertung berechtige. Auf Grundlage dieses Verständnisses sei der Begriff „Verpfänden“ entgegen der Ansicht der Zeitungsverlegerin nicht gleichbedeutend mit den Formulierungen „als Sicherheit stellen“ oder „als Sicherheit andienen“. Eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines Grundpfandrechts werde aus Sicht des Lesers mit dem Begriff der „Verpfändung“ nicht zutreffend beschrieben. Auch bestehe ein Interesse des Verfügungsklägers an der beantragten Gegendarstellung, da sie weder offenkundig unwahr noch grob irreführend sei. Denn die Gegendarstellung sage nicht aus, dass der Verfügungskläger nicht zur Bestellung eines Grundpfandrechts bereit gewesen, sondern lediglich, dass ein Pfandrecht nicht bestellt worden sei.
Die Verfassungsbeschwerde[↑]
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Zeitungsverlegerin eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit und des Willkürverbots. Die Erstmitteilung „B. verpfändete auch das Haus seiner Mutter“ sei als wertende Stellungnahme nicht gegendarstellungsfähig. Sie begründe beim Durchschnittspublikum keine hinreichend konkrete Vorstellung tatsächlicher, in diese Wertung gekleideter Vorgänge. Stattdessen sei die alltagssprachliche Verwendung der Begriffe „Pfand“ und „verpfänden“ lediglich diffus. Die Würdigung des Tatsachenkerns der Titelschlagzeile durch das Landgericht und das Kammergericht risse diese Schlagzeile in verfassungswidriger Weise aus ihrem Kontext. Zudem sei die Gegendarstellung irreführend, da sie unterschlage, dass der Verfügungskläger tatsächlich eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Bestellung eines Grundpfandrechts eingegangen sei. Darüber hinaus sei die fachgerichtliche Würdigung der Titelseitenschlagzeile in mehrfacher Hinsicht in sich widersprüchlich und stelle sich damit als willkürliche und krasse Fehlanwendung des § 10 Berliner Pressegesetz dar.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts[↑]
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gab ihr statt. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellung verletzt die Zeitungsverlegerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG.
Gegendarstellungen – und der Schutzbereich der Pressefreiheit[↑]
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Zeitungsverlegerin in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.
Einschlägig ist der Schutzbereich der Pressefreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, in dessen Zentrum die Freiheit der Gründung und Gestaltung von Presseerzeugnissen steht. Die Gestaltungsfreiheit wird sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Hinsicht gewährleistet und enthält das Recht der Zeitungsverlegerin, über Inhalt und Gestaltung ihrer Presserzeugnisse grundsätzlich frei zu bestimmen. Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auch auf das Titelblatt einer Publikation3.
Die Verpflichtung zum Abdruck von Gegendarstellungen auf dem Titelblatt der Zeitschrift der Zeitungsverlegerin beeinträchtigt diese in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit. Wegen der besonderen Bedeutung, die dem Titelblatt von Zeitschriften zukommt, ist eine solche Beeinträchtigung regelmäßig als schwerwiegend anzusehen4.
Die Beeinträchtigung der Pressefreiheit ist nicht gerechtfertigt. Indem die Gerichte die Grundrechtsschranke des § 10 Berliner Pressegesetz in einer Weise ausgelegt hat, die dem Verfügungskläger einen Gegendarstellungsanspruch zuspricht, haben sie den Anwendungsbereich der Vorschrift überdehnt. Damit haben sie Bedeutung und Tragweite der Pressefreiheit verkannt.
Gegendarstellungsfähig ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Berliner Pressegesetz eine Tatsachenbehauptung, die die Presse zuvor aufgestellt hat. Im Blick auf die Abhängigkeit der Gegendarstellung von der Erstmitteilung verlangt die Pressefreiheit, dass die Erstmitteilung bei Auslegung der Vorschrift in einer den Anforderungen von Art. 5 Abs. 1 GG gerecht werdenden Weise gedeutet und eingeordnet wird. Dabei ist eine von der weiteren Berichterstattung im Innenteil von Presseerzeugnissen gesonderte Würdigung der Titelseitenschlagzeile und die Zuerkennung daran anknüpfender Gegendarstellungsansprüche grundsätzlich ohne Verletzung des Gebots der kontextabhängigen Würdigung von Äußerungen möglich. Dies setzt allerdings voraus, dass bereits die Schlagzeile als solche – ohne Berücksichtigung des damit betitelten oder angekündigten Berichts – einen gegendarstellungsfähigen Tatsachenkern aufweist5. Bietet eine Titelschlagzeile dem jeweils maßgeblichen Verkehrskreis eine Bandbreite von Verständnismöglichkeiten, muss der gegendarstellungserhebliche Aussagegehalt zudem eindeutig bestimmbar sein, um einen Gegendarstellungsanspruch zu begründen6. Andernfalls wäre nicht klar, hinsichtlich welcher Tatsachen die die Gegendarstellung beanspruchende Person der in der Titelschlagzeile gemachten tatsächlichen Behauptung entgegentritt7. Ein Verstoß gegen die Pressefreiheit liegt vor, wenn eine Gegendarstellung abgedruckt werden muss, die von der gesetzlichen Grundlage nicht gedeckt ist, weil es sich bei der Erstmitteilung nicht um eine Tatsachenbehauptung handelte8.
„Verpfändung“ als Rechtsbegriff[↑]
Die Titelschlagzeile „B. verpfändete auch das Haus seiner Mutter“ konnte hiernach keinen Gegendarstellungsanspruch begründen. Dem in der Aussage verwendeten Rechtsbegriff der „Verpfändung“ fehlt ein hinreichender tatsächlicher Gehalt, der seine Verwendung für schuldrechtliche Sicherungen ausschlösse.
Bereits aus der notwendigen Spiegelbildlichkeit der Gegendarstellung zur angegriffenen Tatsachenbehauptung ergibt sich, dass die aufgestellte Behauptung unter Ausscheidung anderer möglicher Deutungsvarianten auf einen Inhalt verdichtet werden können muss, der eine hinreichend konkrete tatsächliche Gegendarstellung erlaubt. Dies gilt umso mehr bei der fachgerichtlichen Würdigung von in Titelschlagzeilen verwendeten Rechtsbegriffen. Diesen ist das normative und wertende Element besonders immanent, gegenüber dem Gegendarstellungsansprüche ihrer gesetzlichen Funktion nach nicht greifen9. Gegendarstellungsfähig sind daher nur die mit der Verwendung bestimmter Rechtsbegriffe implizit behaupteten Tatsachen und Vorgänge, nicht die Richtigkeit der daraus abgeleiteten rechtlichen Wertung10. Ist für die Würdigung von Titelschlagzeilen das Verständnis des durchschnittlichen Zeitungsleserpublikums maßgeblich, dürfen die Fachgerichte ihr eigenes fachspezifisches Begriffsverständnis nicht an die Stelle des Laienpublikums setzen11. Stattdessen müssen sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln des Prozessrechts den gegendarstellungserheblichen Tatsachenkern ermitteln, wie er sich nach dem Verständnis des der deutschen Sprache mächtigen Durchschnittspublikums darstellt. Zu diesen Möglichkeiten können die Herbeiziehung gängiger alltagssprachlicher Wörterbücher, die Einholung linguistischer Gutachten oder – im einstweiligen Verfügungsverfahren – eigene stichprobenartige Erkundigungen des Gerichts zählen.
Dies haben die Fachgerichte vorliegend verkannt. Die Bestimmung des Tatsachenkerns der Titelschlagzeile durch die Gerichte und die daran geknüpfte Anerkennung eines Gegendarstellungsanspruchs genügen nicht den dargestellten Anforderungen an die Würdigung von Titelschlagzeilen, die Rechtsbegriffe enthalten. Die Entscheidungen haben einen konkreten und damit gegendarstellungsfähigen Tatsachenkern des Begriffs „verpfänden“ in der insoweit maßgeblichen Laiensphäre nicht ausreichend feststellen können. Da schon der Parteivortrag zeigte, dass der in der Schlagzeile verwendete Rechtsbegriff eine erhebliche alltagssprachliche Bedeutungsvielfalt aufweist, war es unzulässig, in Ansehung eines solchen Vortrags ohne andere Belege oder Erkenntnisanstrengungen einen spezifischen, ersichtlich der rechtlichen Vorbildung der Gerichte geschuldeten Tatsachenkern zu behaupten. Die Gerichte haben ihrer Entscheidung trotz der Behauptung, es handele sich um das Begriffsverständnis des durchschnittlichen Publikums, in der Sache ihr eigenes, fachspezifisches Verständnis zugrunde gelegt. Dies zeigt sich etwa an der vom Landgericht vorgenommenen, ausschließlich juristisch gebildeten Personen verständlichen Unterscheidung zwischen dem dinglichen und dem schuldrechtlichen Rechtsgeschäft, die es als maßgebliches Auslegungskriterium heranzieht („einseitiger Zugriff“ versus „schuldrechtlicher Anspruch auf Eintragung“). Das Kammergericht stellt im Ergebnis ebenso auf diese Unterscheidung ab, indem es feststellt, der Kläger habe kein Pfandrecht bestellt, sondern sich lediglich zur Bestellung eines solchen verpflichtet. Dabei unterstellt das Kammergericht, die Leserschaft könne zwischen einem „nicht mehr über die unbelastete Sache verfügen können“ und der schuldrechtlichen Verpflichtung zur Bestellung eines Grundpfandrechts differenzieren, ohne dies zu belegen.
Die unzureichende Bestimmung des Tatsachenkerns der Titelschlagzeile durch die Fachgerichte und die darin liegende Verkennung der Funktion des Gegendarstellungsrechts wird darüber hinaus aus dem Inhalt der zugesprochenen Gegendarstellung deutlich. Denn diese ist schlichtweg die ihrerseits wieder interpretationsbedürftige Negation der Titelschlagzeile, nicht eine echte Gegendarstellung zu dem implizit mit der Titelschlagzeile behaupteten Tatsachenkern. Der Gegendarstellungsanspruch, soweit er verfassungsrechtlich zulässig ist, muss jedoch der tatsächlichen Gegendarstellung, nicht der bloßen Gegenbehauptung oder Richtigstellung unvertretbarer Rechtsbehauptungen dienen.
Die angegriffenen Urteile beruhen auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern und sind aufzuheben. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen werden. Wegen der festgestellten Verletzung der Pressefreiheit der Zeitungsverlegerin kann offenbleiben, ob weitere – von der Zeitungsverlegerin gerügte – Grundrechte verletzt worden sind.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. November 2018 – 1 BvR 2716/17
- LG Berlin, Urteil vom 05.09.2017 – 27 O 438/17[↩]
- KG, Beschluss vom 30.10.2017 – 10 U 91/17[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 144[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 144 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 151 f.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2018 – 1 BvR 442/15 22 und 24; ebenso bereits BVerfGK 13, 97, 102 ff.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.02.2018 – 1 BvR 442/1520[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 150 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 125, 147; BVerfG, Beschluss vom 07.02.2018 – 1 BvR 442/1520[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2004 – VI ZR 298/03, NJW 2005, S. 279, 282; bestätigend BVerfG, Beschluss vom 08.05.2007 – 1 BvR 193/05, NJW 2008, S. 358, 359[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 266, 296[↩]
Bildnachweis:
- Landgericht Hamburg: Juliette Kober