Sonntage, Feiertage – und die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat auf Normenkontrollanträge einer Gewerkschaft und zweier evangelischer Gemeindeverbände die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung insoweit als nichtig beurteilt, als sie eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen in den Bereichen Videotheken und öffentliche Bibliotheken, Callcentern und Lotto- und Totogesellschaften zulässt.

Sonntage, Feiertage – und die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung

Soweit die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung eine solche Beschäftigung in den Bereichen Brauereien, Betriebe zur Herstellung von alkoholfreien Getränken oder Schaumwein, Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis zulässt, hat das Bundesverwaltungsgericht keine abschließende Entscheidung über die Gültigkeit der Verordnung getroffen, weil es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz, des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel1 fehlte.

Soweit die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen in dem Bereich des Buchmachergewerbes zulässt, ist sie nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts dagegen wirksam.

Nach dem Arbeitszeitgesetz dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Das Arbeitszeitgesetz sieht hiervon zahlreiche Ausnahmen vor und ermächtigt u. a. die Landesregierungen, weitere Ausnahmen zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berücksichtigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für Betriebe zuzulassen, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Die Hessische Landesregierung hat gestützt auf diese Ermächtigung durch eine Rechtsverordnung, die Hessische Bedarfsgewerbeverordnung, die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zeitlich beschränkt zugelassen, u. a. in den Bereichen: Videotheken und öffentliche Bibliotheken, Getränkeindustrie und großhandel, Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis und Großhandel damit, Buchmachergewerbe, Callcenter sowie Lotto- und Totogesellschaften.

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Auf die Normenkontrollanträge der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft (ver.di) sowie der Evangelischen Dekanate Darmstadt-Stadt und Vorderer Odenwald hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel die Verordnung insoweit für nichtig erklärt1. Die weitgehende Freigabe der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Getränkeindustrie und großhandel, in Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis und im Großhandel damit sowie in Callcentern habe wegen ihrer Bedeutung nur durch den parlamentarischen Gesetzgeber, nicht aber durch den Verordnungsgeber geregelt werden dürfen. Soweit die Bereiche Videotheken und öffentliche Bibliotheken sowie Lotto- und Totogesellschaften betroffen seien, sei nicht erkennbar, dass eine Ausnahme von der Sonn- und Feiertagsruhe zur Vermeidung erheblicher Schäden erforderlich sei. Die Ausnahme zugunsten des Buchmachergewerbes sei zu unbestimmt, weil nicht erkennbar sei, dass damit nur Pferdewetten hätten erfasst werden sollen, für die eine Ausnahme zulässig sei.

Auf die hiergegen gerichtete Revision des Landes Hessen hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs nun überwiegend bestätigt:

Das Bundesverwaltungsgericht hat neben Religionsgemeinschaften auch Gewerkschaften die Befugnis zuerkannt, verwaltungsgerichtliche Normenkontrollanträge zu stellen, die sich gegen untergesetzliche Rechtsnormen, wie Rechtsverordnungen der Landesregierungen, richten, welche dem Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe dienen sollen, nach Auffassung der Gewerkschaft aber hinter dem gesetzlich gebotenen Schutzniveau zurückbleiben.

In der Sache ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern in Videotheken und öffentlichen Bibliotheken an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung nach einer Freizeitgestaltung nicht erforderlich, weil DVDs, Computerspiele oder Bücher für eine Nutzung am Sonn- oder Feiertag vorausschauend schon an Werktagen ausgeliehen werden können. Es stellt keinen erheblichen Schaden i.S.d. des Gesetzes dar, wenn der Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe nicht hinter den Wunsch zurücktreten muss, spontan auftretende Bedürfnisse auch sofort erfüllt zu bekommen. Aus den gleichen Gründen ist eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Lotto- und Totogesellschaften zur elektronischen Geschäftsabwicklung nicht erforderlich. Soweit die Verordnung eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Callcentern zulässt, ist sie mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht vereinbar, weil sie eine solche Beschäftigung in allen gegenwärtig und künftig vorhandenen Callcentern zulässt, gleichgültig für Unternehmen welcher Branche oder für welchen Tätigkeitsbereich das Callcenter tätig wird. Dass der Betrieb von Callcentern in diesem Umfang erforderlich ist, um tägliche oder an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, lässt sich nicht feststellen.

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Entgegen der Auffassung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die Zulassung einer Beschäftigung von Arbeitnehmern in den Bereichen der Getränkeindustrie und den Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis sowie dem damit zusammenhängenden Großhandel nicht schon deshalb nichtig, weil derartige Ausnahmen wegen ihrer Wesentlichkeit für den Sonn- und Feiertagsschutz nur durch den parlamentarischen (Bundes)Gesetzgeber, nicht aber durch eine bloße Rechtsverordnung einer Landesregierung hätte zugelassen werden dürfen. Die Produktion in diesen Betrieben ist allerdings nur dann auch an Sonn- und Feiertagen zur Deckung täglicher Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich, wenn die Kapazitäten der Hersteller nicht ausreichen, um ohne eine Produktion rund um die Woche auch in Spitzenzeiten der Nachfrage, also insbesondere im Sommer bei länger anhaltenden Hitzeperioden, einen dann gegebenen erhöhten Bedarf täglich decken zu können. Hierzu fehlen bisher tatsächliche Feststellungen. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht insoweit die Sache zur weiteren Klärung des Sachverhalts an den Verwaltungsgerichtshof zurückverweisen.

Die Beschäftigung im Buchmachergewerbe durfte an Sonn- und Feiertagen zugelassen werden. Sie bezieht sich nach der Verordnung nur auf die Entgegennahme von Wetten für Veranstaltungen, die an diesen Tagen stattfinden und für die sich deshalb aus anderen Vorschriften ergeben muss, dass sie an diesen Tagen etwa aus Gründen der Freizeitgestaltung der Bevölkerung auch stattfinden dürfen. Ferner dürfen die Wetten nur an der Stätte der Veranstaltung entgegen genommen werden. Erfasst werden damit insbesondere Rennsportveranstaltungen, etwa auf Pferderennbahnen. Insoweit handelt es sich bei der Annahme von Wetten um einen spezifischen Sonn- und Feiertagsbedarf, der als Bestandteil des Freizeiterlebnisses, um nicht den Freizeitgenuss insgesamt zu gefährden, nur an Ort und Stelle befriedigt werden kann.

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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. November 2014 – 6 CN 1.2013 –

  1. VGH Hessen, Urteil vom 12.09.2013 – 8 C 1776.12.N[][]